Im Mainstream eine Nische
Ja. Radiohead. Radiohead, verdammt! Neues Album. Nach vier Jahren! Hysterie allerorten. Andererseits, ach Gott, Radiohead, sind die denn überhaupt noch relevant? Als Radiohead-Anhänger macht man sich mittlerweile ja fast lächerlich. Sind die denn nicht auf dem Weg, die neuen Coldplay zu werden? Alle wollen es plötzlich scheiße finden. Dazu wieder diese Veröffentlichungspolitik: Eine Schnitzeljagd durchs Internet, mit teasernden Stop-Motion-Filmchen, alles muss man sich zusammensuchen, können die nicht EINFACH MAL Musik verkaufen, Jeezuz!
Und dann das: die ersten Töne es Openers und vorab veröffentlichten Single „Burn The Witch“ ein Sonntagsalbum (weil an einem Sonntag veröffentlicht und natürlich über Nacht, wie James Blake, wie Beyonce etc. pp.), und endlich wieder ein softes, songbetontes Album, das an die gloriosen Zeiten von „OK Computer“ anknüpft. Nicht, dass die eher elektronischen Alben wie „Kid A“ oder „Amnesiac“ nicht großartig waren, von wegen, sie waren bahnbrechend – aber eben auch hermetisch, fast abweisend. Auch „King Of Limbs“, dazu Yorkes Soloalben und sein Projekt Atoms for Peace: Alles nix für den Massenmarkt. Dagegen dürfte dieses Album bei aller Virtuosität auch im Mainstream seine Nische finden.
Alles kommt hier zusammen, was zusammen gehört. Für das Video von „Daydreaming“ zeichnet Paul Thomas Anderson verantwortlich, Regisseur legandärer Filme wie „Magnolia“ oder „Boogie Nights“. Im Video lässt er Thom Yorke – der übrigens mit solcher Würde altert, dass wir uns davor verneigen – durch endlose Räume, Gänge, Türen wandern, bis er sich zuletzt in eine Höhle mit Lagerfeuer zurückzieht und wilde Dinge stammelt. Das ist schon mal ein Höhepunkt, doch es folgen weitere, z. B. das von himmlischen, barocken Chören getragene „Desk Dark“ oder das grandiose „Ful Stop“: ein treibender, krautrockartiger Rhythmus, dazu sanfte elektronische Einsprengsel und Thom Yorkes Klage: „You messed up everything … Take me back“. Spätestens hier wird das Thema von „A Moon Shaped Pool“ evident, nämlich die Trennung von seiner langjährigen Lebensgefährtin (und das „Take me back“ werden wir als „Come back“ auch bei Beyoncé wiederhören). „Identikit“ ist der sofort erkennbare moderne Klassiker, der sich einreiht in die Phalanx der großen Radiohead-Songs wie „Paranoid Android“ und „Karma Police“. Aber auch eine ruhige, jazzig angehauchte Nummer wie „Numbers“ bekommen sie im Schlaf hin, ebenso wie die lateinamerikanische Unterwanderung („Present Tense“). Ich könnte mir wirklich vorstellen, dass dieses Album der Band neue jugendliche Fans bescheren könnte. Die alten kennen viele der Songs ja eh schon aus Livedarbietungen der Band.
Ab Juni ist „A Moon Shaped Pool“ auch als CD und Vinyl erhältlich, bis dahin nur als Download. Bis dahin hat die Community auch zweifelsfrei herausgefunden, was Yorke am Ende von „Daydreaming“ murmelt.
Tina Manske
Radiohead: A Moon Shaped Pool. XL Recordings.