Geschrieben am 25. Mai 2011 von für Musikmag

Planningtorock: W

Planningtorock: WDie Dunkelheit ist tanzbar

– Planningtorock ist weder weiblich noch männlich, weder traurig noch fröhlich, weder leise noch laut. Janine Andert über das neue Album einer Künstlerin, die sich auf vielen Ebenen mit Identität auseinandersetzt.

Die Engländerin Janine Rostron alias Planningtorock legt mit ihrem zweiten Album „W“ (lies ‚double you’) ein Meisterwerk der melancholischen Euphorie hin. Es ist von einer eigensinnigen Schönheit, die in keine Schublade passen will. Nicht nur oberflächlich besteht eine Verwandtschaft zu Fever Ray – der Hang zu Maskierungen, die beiden Damen haben es mit Nasen, und verqueren elektronischen Soundcollagen, die Bilder funkelnder Alptraumwelten im Kopf entstehen lassen. So überrascht es wenig, dass Rostron und eben Karin Dreijer Andersson aka Fever Ray im vergangenen Jahr zusammen am Soundtrack für die Oper „Tomorrow in a Year“ arbeiteten, einer Vertonung von Charles Darwins Evolutionstheorie – Rostron als Planningtorock und Andersson zusammen mit ihrem Bruder als The Knife. Doch der Vergleich trifft schnell auf seine Grenzen. Planningtorock ist viel popaffiner und letztlich sogar tanzbar. Unzählige Ideen werden zu einem einzigartigen Sound verwoben, der neue Maßstäbe auf dem Sektor innovativer Musik setzt.

Über das musikalische Moment hinaus geht es um das Ich. Versteckt es sich hinter einer Maske oder ist die Maske nicht vielmehr die Erweiterung des Ich? Wer jetzt an Künstlerinnen wie Cindy Sherman oder Orlan denkt liegt ganz richtig. Sherman, die sich in ihren Fotoserien konzeptionell mit Fragen der Identität, Rollenbildern, Körperlichkeit und Sexualität auseinandersetzt und darauf besteht, dass ihre Arbeiten nicht autobiographisch sind, obwohl sie auf jedem Foto abgebildet ist. Orlan, die ihren Köper unaufhörlich durch plastische Chirurgie verändern lässt, sich formt, wie klassisch eine Skulptur erschaffen wird. Es geht um die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Körpers, aus der heraus sich die eigene Identität entwickelt. Fragestellungen dieser Art tauchen auch bei Planningtorock auf und werden um das Diskursfeld der Musik erweitert. Da kommt Rostrons Kunststudium in Sheffield durch, das sie mit einem Diplom in Video Arts abschloss.

Die nun in Berlin lebende Verwandlungskünstlerin wartet gleich mit einem ganzen Kunstkonzept auf, das sich der Frage nach dem Ich widmet. Ihre Inszenierung als Biest aus „Die Schöne und das Biest“ ist keine Werbestrategie, sondern Teil des Gesamtkunstwerks. Ihr Gesicht ließ sie dafür von Maskenbildner Gerald Kidd verändern, mit dem sie für die Zukunft weitere Projekte plant. Die Maskerade setzt sich in den 12 Titeln des Albums fort. Verfremdet, verlangsamt, mal als Mann, dann wieder als Disco-Queen, ist Rostrons Stimme in jedem Song eine andere.

Beschäftigt sich das 2006er-Debüt „Have It All“ noch mit autobiographischen Themen der Künstlerin, bleibt das Ich auf „W“ ungewiss. Gesungen wird von Gefühlen, Liebe, es geht um große Emotionen und die Entdeckung des Unbekannten. Ob der befremdlichen verzerrten Stimme, aber auch lyrisch lässt sich da nichts auf die Person Janine Rostron festnageln. In „I’m your Man“ schlüpft sie in die Rolle eines Mannes und beteuert „the right man for you“ zu sein. Die „Wah-Wah-Wah“-Einlagen im Background könnten auch von blonden Muppet-Girls eingesungen werden. Ein Schmunzeln kann hier niemand unterdrücken. Programmatisch auch das Arthur-Russell-Cover „Janine“. Einerseits eine Anspielung auf den Vornamen Rostrons, andererseits inhaltlich genauso ambivalent und kryptisch wie alles an dieser Frau. Unklar, wer im Text spricht, was das lyrische Ich mit Janine tun soll und warum sie nicht mit den Jungs mitgehen soll.

Und wer sich für diesen ganzen intellektuellen Kram nicht interessiert, wird ebenfalls nicht enttäuscht. Unterm Strich ist „W“ ein originelles Stück Musik, das zwischen unbehaglich klopfendem Beat, vielschichtig treibenden Melodien und Popappeal hin und her wandelt, als wäre etwas anderes gar nicht möglich. Das geht mitunter mächtig in die Beine.

Herzstück des Albums ist „The Breaks“: Schleppender Tanz-Rhythmus trifft auf 80er-Jahre-Synthiewand. Die Stimme erinnert entfernt an eine melodramatische Grace Jones in Höchstform. Die Worte „Don’t be surprised if I’m ripping out my eyes/ I’m on fire/…/ We break too easily“ lassen den Hörer verwirrt zurück und erwecken doch so etwas wie ein Seufzen und – sehr merkwürdig – den Drang mitzusingen. In absurdem, überdimensioniertem 80ies-Pop folgt der nächste Song, um dann doch wieder in einen verschrobenen Angstkosmos mit Geigen zurückzukehren. Das hat eine verbotene, düstere Sexyness, die in diesem Zusammenhang Ver- und Bewunderung hervorruft.

Dreieinhalb Jahre dauerte die Arbeit an „W“. Großteils auf sich allein gestellt, friemelte Rostron in ihrem Berliner Studio am Album herum. Was ist da in der Luft am Kottbusser Tor, wo sich momentan die halbe Berliner Kunst- und Musikszene rumtreibt? Die künstlerische Energie muss dort so ungeheuerlich sein, dass sie durch geschlossene Türen wabert, hinter denen Janine das gesamte Album selbst eingesungen und von Keyboard über Gitarre und Streicher alles selbst gespielt hat. Ok, ein bisschen Unterstützung gab es von Christoffer Berg (Jazzmusiker), Hjörleifur Jónsson (Perkussions, die sich als Samples durch das Album ziehen) und Pat Mahoney (Schlagzeuger, der schon beim LCD Soundsystem mitwirkte). Abgemischt wurde das Album aber Ende 2010 in Schweden.

Janine Andert

Planningtorock: W. DFA/Cooperative Music (Universal). Zur Homepage, dem Facebookprofil und der MySpace-Seite der Band.