Geschrieben am 15. Dezember 2016 von für Musikmag

Phillip Boa and The Voodooclub / The Human League

cm_humanleagueLieblingscompilations

Schon merkwürdig, wenn man sich kurz vor Jahresfrist mit der Lieblingsmusik seiner frühen Jugendjahre beschäftigt – unweigerlich kommt man in eine gleichsam melancholische wie euphorisierte Stimmung. Was natürlich auch an der nahenden Weihnachtszeit liegen kann, für die sich die vorliegenden Compilations ganz hervorragend als Geschenkideen eignen, aber das nur am Rande.

Mir ist nämlich jetzt aufgefallen, dass Phillip Boa and the Voodooclub und The Human League für mich klare Herbst-/Winter-Bands sind, beziehungsweise groups, eine Unterscheidung, auf die The Human League sehr großen Wert legen. Meine Einschätzung ist natürlich höchst willkürlich und subjektiv; aber ich kann mich ganz genau daran erinnern, dass ich „Mirror Man“ von The Human League zum ersten Mal im Dezember 1982 gehört habe – was gar nicht so sehr daneben liegen kann, denn die Single wurde im November ‚82 veröffentlicht. Und weil für mich als damaliger Pre-Teen Popmusik und Tagesgeschehen ohnehin wesenhaft, geradezu magisch miteinander verwoben waren, gehört „Mirror Man“ für mich zur Vorweihnachtszeit wie Wham!s „Last Christmas“.

Wer diese meine Erinnerungen nicht teilen kann, wird trotzdem große Freude am soeben erschienenen luxuriös zusammengestellten Anthology-BoxSet von The Human League haben: Erhältlich ist „Anthology: A Very British Synthesizer Group“ in verschiedenen Formaten, drei LPs oder zwei CDs oder drei CDs plus DVD. Ordentlich viel Material, möchte man meinen, doch rasch regten sich erwartbare Vorwürfe seitens Die-Hard-Fans, die eine bestimmte B-Seite oder einen besonderen Remix in den Zusammenstellungen vermissten. Über Detailfragen lässt sich immer streiten, unbestreitbar ist jedoch die Bedeutung von The Human League für den Synthiepop, oder besser: für Pop überhaupt, auch wenn Sänger Phil Oakey stets behauptet, Gitarren zu hassen.

Als sich The Human League 1977 in Sheffield aus der Kunststudentenband The Future formten und ein Jahr später mit “Being Boiled” ein erstes Meisterwerk herausbrachten, war noch nicht abzusehen, was bald folgen würde – obwohl „Being Boiled“ schon alles mitbrachte, was einen unsterblichen Hit ausmacht, mit seiner zittrigen und doch ungeheuer starken Synthiemelodie und der kühlen Ausstrahlung von Oakeys Vocals. Keine Achtziger-Party ohne diesen Song (und wenn ich eine Empfehlung abgeben darf: Am besten überhaupt keine Party ohne diesen Song), listen to the voice of Buddha! Doch erst 1981 mit der Single „Don’t You Want Me“ und dem Album „Dare“ wurden The Human League so richtig groß, läuteten gemeinsam mit ABC, Haircut 100 und Soft Cell eine vergleichslose Hochphase im britischen Pop ein.

Inzwischen gehörten Susanne Sulley und Joanne Catherall fest zu The Human League: Oakey hatte sie in einer Disco kennengelernt und als Backgroundsängerinnen für eine Tour engagiert, aber schnell war klar, dass der Gesang von Sulley und Catherall die Human League’sche Vision von Pop erst auf den Punkt bringt – zu der auch gehört, eine Group/Gruppe zu sein und keine Band: Oakey spielt keine Instrumente, Sulley und Catherall schreiben keine Songs, und doch sind sie The Human League. Auch anno 2016 übrigens: eine erfolgreiche Tour der Band, äh, Group ging gerade zu Ende.

„Anthology“ spannt den Bogen von „Being Boiled“ über die „Dare“-Phase und spätere Erfolge wie „Heart Like A Wheel“ oder „Human“, inklusive Remixes, Live-Aufnahmen, Videos, Maxi-Versionen und dickem Booklet mit der Human-League-Story. Macht viel Spaß, nicht nur zur Winterzeit.

The Human League: Mirror Man. www.thehumanleague.co.uk

cm_blankPhillip Boa and the Voodooclub: Blank Expression

Auch Phillip Boa and the Voodooclub sind für mich persönlich eng mit herbst-winterlichen Indoor-Szenarien verbunden: wenn wir Indie-Pop-Kids aus den Grillhütten in die Discos zogen, waren Ernst Ulrich Figgen (so Boas bürgerlicher Name) und sein Dortmunder Voodooclub immer mit dabei, entweder auf Cassette im Auto, oder gleich auf der Bühne, denn auch schon vor knapp dreißig Jahren war der Voodooclub ausgiebig live unterwegs – zurzeit tourt Phillip Boa auch gerade wieder, bis tief ins nächste Jahr hinein.

Dass er bekundet, „immer in Bewegung“ zu sein, verwundert daher nicht, auch wenn derselbe Mann mal gesagt hat, die größte Inspiration aus der Langeweile zu ziehen. Das mag paradox klingen, führt aber seit 1986 zu unablässigem Veröffentlichungsdrang, was ich viel weniger negativ meine, als es sich vielleicht liest. Doch man muss sich nichts vormachen, die stärksten Songs und Platten gelangen Phillip Boa in der frühen Phase – was ein Grund dafür sein mag, der „A History of Singles“-Collection ein Album mit zwölf neuen Songs namens „Fresco“ als „Bonus“ mit dazuzupacken.

Wobei ich sofort einlenken muss: Auch wenn die aktuellen Stücke nicht mehr den juvenilen Furor von Hits wie „Container Love“ (der erste Song über Objektophilie in meinem kleinen Universum), „Kill Your Ideals“ oder „This Is Michael“ in sich tragen, sind Songs wie „Death Is A Woman“, „Kill Your Vacation“, „Porno Nails“ oder „Twisted Star“ in ihrer Mischung aus Selbstbewusstsein und -ironie mehr als reine Weiterführungen des einst Begonnenen. Boa kann jetzt aus seiner gereiften Einsamer-Wolf-Stimme alles rausholen, ohne sich verausgaben zu müssen – und wirkt dabei ungemein entspannt. Und nein, von „Altersmilde“ und ähnlichem kann bei Boa nicht die Rede sein. Eher von silbern gesträhnter Melancholie, die sowieso schon immer vorhanden war.

Seine einstige kongeniale Liebes- und Gesangspartnerin Pia Lund ist längst nicht mehr dabei (Fans kennen die Geschichte natürlich), das wäre nach all den Jahren fast ein bisschen viel verlangt. Aber auch heute singt Boa gern mit Frauen zusammen (die aktuelle Sängerin der „Fresco“-Songs heißt im Bookleit schlicht „Nadine“), was nach wie vor viel zum Reiz des Voodooclub-Sounds beiträgt. Hört man die alten Songs heute wieder – ich zum Beispiel hatte lange keine Boa-Platte mehr aufgelegt – erstaunt die musikalische Vielfalt der frühen Stücke. War mir damals gar nicht so aufgefallen, weil ich vom Lund-Boa-Gesang so gefesselt war – aber hey, der Voodooclub hatte von Mariachi-Trompeten über Rip, Rig & Panic-artige Freejazz-Elemente und Avantgarde-Pop so einiges dabei, was im Indie-Deutschland der mittleren bis späten Achtziger kaum vorkam. „Blank Expression“ lohnt also ebenfalls sehr – wegen des Erinnerungsfaktors, klar, aber bitte auch „Fresco“ anhören!

Christina Mohr

Phillip Boa and the Voodooclub: Blank Expression (Deluxe Edition / 2 CDs: A History of Singles 1986 – 2016; Fresco – A Collection of 12 new Songs). Vertigo/Capitol/Universal. www.phillipboa.com. www.thevoodoo.club

Container Love:

http://www.clipfish.de/musikvideos/video/2978501/phillip-boa-and-the-voodooclub-container-love-video/
The Human League, Anthology: A Very British Synthesizer Group (diverse Ausstattungen)
Virgin EMI/Universal

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