Geschrieben am 18. September 2013 von für Musikmag

Nine Inch Nails: Hesitation Marks

nineinchnails_hesitationmarksAlte neue Liebe

– Als NIN-Fan hat man es nicht leicht. Aus purem Selbstschutz gibt man die Hoffnung auf ein neues Album gerne mal auf. Mit der „Wave Goodbye“-Tour schien die Sache gegessen, Trent Reznor ist im Filmbusiness angekommen und will seinen Fans obendrein mit der Band „How to Destroy Angels“ eins auswischen. Tief im Inneren wusste man aber, er hat uns alle nur verarscht. Es folgt eine Liebeserklärung an meinen Lieblingskünstler, der hier auch einiges falsch macht.

Ich weiß, die Analogie ist abgeschmackt, aber es ist nunmal so: Musik ist wie Liebe. Man geht eine Beziehung ein und im schlimmsten Fall wird man bitter enttäuscht. Irgendwann kommt nichts Neues oder Spannendes mehr, aus Langeweile zieht man weiter und lässt das Gegenüber hinter sich. Für mich gibt es nichts furchtbareres, als nach großer Vorfreude festzustellen, dass mir eine neue Platte gleichgültig ist, weil alles schon mal da war. Reznor dagegen hat mich immer wieder überrascht, jedes Album steht für sich alleine, reiht sich aber in einen bestimmten Klangkosmos ein.

Dementsprechend erfürchtig schiebe ich die CD in den Player und setze mich. Ich will einfach nicht, dass Trent und ich uns auseinandergelebt haben. Er begleitet mich, seit ich bereit war einen Musikgeschmack außerhalb von Charts-Compilations zu haben. „What a pathetic string of words“ singt er und das mag auch so mancher Leser denken. Sei’s drum.

„Copy Of A“ ist überraschend poppig, elektronisch, leicht monoton, aber eingängig. Ein Dorf-DJ würde wahrscheinlich sagen: „Es geht ordentlich nach vorne“. Das schreckliche Wort „zeitgenössisch“ schwirrt in meinem Kopf herum – aber im positiven Sinne. Die Vorab-Single „Came Back Haunted“ folgt, zu der – wie könnte es anders sein – David Fincher das Video beisteuert. Wirklich großes Kino ist das Filmchen nicht, erfüllt mit der ‚Könnte Anfälle verursachen‘-Warnung und gewohnter Morbidität aber das Band-Klischee. Das Stück selbst treibt weiter in Richtung Elektro, ist aber basslastiger und refrainorientierter. Mit „All Time Low“ fühle ich mich an das Album „The Fragile“ von 1999 erinnert, aber auch an „Year Zero“ aus 2007. Die Vocals stehen im Vordergrund, es frickelt und brummt. Nur irgendwie funkiger. Ich versuche zu beurteilen, ob ich die Songs mögen würde, wären sie nicht von dieser Band. Klares „ja“.

Bei manchen Tracks sieht das allerdings anders aus. „Everything“ ist das große Fragezeichen des Albums. Der Song war unüberhörbar ursprünglich nicht für dieses Album gedacht. Stümperhafte Teenie-Band trifft auf Foo Fighterschen Schnulz und die Attitüde, „sky“ auf „high“ und „fly“ zu reimen. Auch „Satellite“ ist keine Meisterleistung. Gesang und Beat sind so gewollt sleazy, dass Stripclub-Assoziationen nicht ausbleiben.

Versöhnlich wird es mit „I Would For You“ und „While I’m Still Here“, die beide so sehr in eine Kerbe schlagen. Schon immer prägen ruhigere, eigentlich traurige Stücke das Ende jeder Platte. Während aber ersteres die düsterere Variante ist und mit der großen Melodie um die Ecke kommt, ist „While I’m Still Here“ merklich positiver und passt zu einer tendenziell gelassenen Grundstimmung. „I’m okay“ zu hören tut manchmal auch gut.

Trotz der beiden Schnitzer ist „Hesitation Marks“ ein neues Kapitel Musikgeschichte, das noch nicht zu Ende ist. Trent Reznor ist nicht mehr der lebensmüde Düstermann von „The Downward Spiral“, er schleudert uns auch kein komplexes Doppelalbum wie „The Fragile“ um die Ohren. Er ist aber relevant wie immer. Ich bin glücklich, meine Beziehung ist gerettet.

Julia Hess

Nine Inch Nails: Hesitation Marks. Polydor (Universal).

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