Abschiedsworte
– Für Morrissey war die Autorin Shelagh Delaney ein ganz wichtiger Einfluss. Im November 2011 ist sie gestorben – Thomas Backs stellt post mortem die Verbindungen her.
Geplant war die Anschaffung schon lange, jetzt habe ich A Taste Of Honey endlich gesehen. Gemeint ist Tony Richardsons Verfilmung (1961) dieses Theaterstücks der englischen Autorin Shelagh Delaney. Im deutschsprachigen Raum ist es auch unter dem Titel Bitterer Honig bekannt. Wer die Musik des britischen Künstlers Morrissey und die Werke seiner früheren Band The Smiths mag, für den sind der Film und eine Beschäftigung mit der Autorin eigentlich Pflicht. „Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich zu fünfzig Prozent nur wegen Shelagh Delaney schreibe“, zitiert Len Brown den Sänger in der Sammlung Im Gespräch mit Morrissey (2009) mit einem Interview aus dem Jahr 1986.
Eine traurige Nachricht erinnerte mich Ende 2011 an meine Pläne, eine DVD von A Taste Of Honey zu erstehen. Steven Morrissey selbst informierte die weltweiten Leser von True To You* über Shelagh Delaneys Tod am 20. November 2011. „Shelagh Delaney exercised a wide influence with the shock of plain language, and shafts of satiric wit, into a severe and donnish 1950s world where working-class people had thus far been assumed to be simplistic, flag-waving cannon-fodder“, schreibt Morrissey in seinem kurzen Nachruf über die Autorin, die ihr Leben in Salford bei Manchester verbracht hat und 71 Jahre alt wurde.
A Taste Of Honey (1958) ist Delaneys mit Abstand bekanntestes Werk, der Handlungsraum des Stücks und seiner Verfilmung ist der der nordenglischen Arbeiter in den 1950er-Jahren. Eine Zeit, in der Literatur und Theater von Arbeiterkindern neu, ehrlich und ganz besonders mutig war. Die Verfilmung von Tony Richardson entstand drei Jahre nach Uraufführung des Stücks. Nach einem Drehbuch, das der Regisseur mit Shelagh Delaney gemeinsam erstellt hatte.
Auf deutsche Bühnen kam das Stück sehr spät, im Jahr 2006 inszenierte es Peter Zadek in Hamburg unter dem Titel Der bittere Honig, mit dabei waren unter anderen Julia Jentsch und Eva Mattes. In der Spielfilm-Version (1961) wird die Hauptrolle von der jungen Rita Tushingham gespielt. Erzählt wird die Geschichte der 17-jährigen Jo, die an der Seite ihrer allein erziehenden Mutter Helen im grauen Manchester der 1950er klar kommen muss. Helen ist als ziellose Alkoholikerin Belastung genug, nach einem kurzen Verhältnis mit dem schwarzen Matrosen Jimmy (Zitat: „I dreamt about you last night/ And I fell out of bed twice“) ist Jo dann auch noch schwanger. Der Seemann ist weg, dafür tritt mit Geoffrey (Zitat: „The dream has gone/ But the baby is real“) ein schwuler Mann in das Leben der jungen Frau. Ein gemeinsames Glück, das gibt es für diese beiden in A Taste Of Honey nur kurz. Nicht zu hören ist im Spielfilm das Instrumental „A Taste Of Honey“ (Bobby Scott/ Ric Marlow), das für eine Broadway-Version des Stücks geschrieben worden war. Bekannt wurde es dennoch: Als großer Hit für Herb Alpert und in einer Version der Beatles.
Trist und grau ist das Manchester, das Delaney und Richardson uns in diesem Werk zeigen, in den Lyrics früher Songs von The Smiths finden sich nicht wenige Zitate. Unschwer zu erkennen: Die oben genannten Männer sind auch in den Songs „Reel Around The Fountain“ und „This Night Has Opened My Eyes“ verewigt. Shelagh Delaney selbst ist auf zwei Covern der musikalischen Manchester-Legenden zu sehen: Auf der Single „Girlfriend In A Coma“ (1987) und der (damals) abschließenden Compilation Louder Than Bombs (1987).
Steven Patrick Morrissey selbst hat wie Shelagh Delaney seine Wurzeln in Irland und Manchester. Ein belesener Künstler, dessen Einflüsse sich zum Beispiel in der Interview-Sammlung Im Gespräch mit Morrissey (2009) – im Original: Meetings With Morrissey (2009) – von Len Brown nachlesen lassen, auch die Lektüre der Biografie Scandal & Passion (2004) von David Bret bringt interessante Erkenntnise.
Spurensuche: Oscar Wilde auf Vinyl, ein Cover mit Billy Fury
Eine Autobiografie, die hat Morrissey ebenfalls angekündigt. Zumindest rauschten Gerüchte dazu bereits durch Netzwelten und Altpapier. Bei der Frage nach Einflüssen dürfte eines klar sein: Wenn Shelagh Delaney allein 50 Prozent gehören, dann gehört ein zweiter großer Anteil wohl dem irischen Dichter Oscar Wilde (Smiths-Instrumental „Oscillate Wildly“, 1987). Mit „Talent borrows, Genius steals“ ist sogar eines von dessen berühmtesten Zitate in die Auslaufrille der Vinyl-Single „Bigmouth Strikes Again“ (1986) graviert. Und: So dramatisch wie das Leben und Werk Wildes inszeniert Morrissey gerne auch sein eigenes. „Die Geschichte Wildes hat etwas Unaufhaltsames, und für meine eigene gilt: Wahrscheinlich wurde die Geschichte schon einmal erzählt, aber es ist eine sehr ungewöhnliche Geschichte“, sagte der Künstler 1995 dem britischen Observer.
Verbrechen und Mord sind ein Themenfeld, das Morrissey bekanntlich besonders fasziniert. Die Moormörder Ian Brady und Myra Hindley („Suffer Little Children“), die Gangsterbosse Ronnie und Reggie Kray („The Last Of The Famous International Playboys“), der Filmklassiker Brighton Rock (1947) und dessen Romanvorlage von Graham Greene („Now My Heart Is Full“) spiegeln sich wie „Jack The Ripper“ im Werk. Berühmte Coverstars gibt es neben Shelagh Delaney viele: Alain Delon (Album The Queen Is Dead, 1986), Billy Fury (Single „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“, 1987), Truman Capote (Single „The Boy With The Thorn In His Side“, 1985), Dick Davalos (Album Strangeways Here We Come, 1987) und Elvis Presley (Single „Shoplifters Of The World Unite“, 1987) gehören zu den bekanntesten.
Fazit: Ende der 1950er, Anfang der 1960er, da war A Taste Of Honey auf den weltweiten Bühnen und im Kino ein riesiger Erfolg. 2012, also exakt 50 Jahre nach diversen Preisen bei den Filmfestspielen in Cannes und London, bringt ein Filmabend ein Reise in eine andere Zeit. Und die ist für Musikliebhaber eben immer wieder faszinierend.
Thomas Backs
* Seit einiger Zeit nutzt Morrissey selbst die Online-Version von True To You als Medium für eigene Mitteilungen. True To You ist ursprünglich ein von Julia Riley herausgegebenes Print-Magazin, dessen Verlag in der Stadt Newton, Massachusetts an der US-amerikanischen Ost-Küste sitzt.
A Taste Of Honey. Regie: Tony Richardson, 1961. Dauer: 96 Min. Mit Rita Tushingham, Dora Bryan, Robert Stephens.