Geschrieben am 20. Februar 2013 von für Musikmag

Mohr Music: Wochenrückblick KW 6 & 7

20130217_211405Das Ende der Männer?

– Diese Ausgabe von Mohr Music ist ein Experiment und wird möglicherweise einmalig bleiben – aber die Mischung aus Sozialstress, hartnäckigen Erkältungen UND ständig neu eintreffender Releases aus dem Buch- und Tonträgerbereich erforderten dieses Mal die Form des schnöden Rückblicks, sprich: Rezeption = Rezension. Der inhaltliche Zusammenhang (sofern erkennbar) ergab sich dabei wie von selbst…

Kein anderes Buch wurde in den vergangenen Wochen so ausgiebig diskutiert wie „Das Ende der Männer“, jüngstes Werk der 1970 in Israel geborenenen und in New York City aufgewachsenen Journalistin Hanna Rosin. Ihr Artikel „The End of Men“, der 2010 in The Atlantic erschien, sorgte für so großes Aufsehen, dass Rosin sich dazu überreden ließ, ein ganzes Buch über ihre These zu schreiben. Diese lautet nämlich keineswegs, dass es bald keine männlichen Mitmenschen mehr geben wird (im englischsprachigen Original „The End of Men“ noch missverständlicher), sondern – und im Buch spricht ausgerechnet ein Theologe diesen Satz aus: „Das eigentliche Problem ist nicht das Ende der Männer, sondern das Verschwinden der Männlichkeit.“

Genauer gesagt: der (US-amerikanische) Mann hat Anpassungsschwierigkeiten, die Frauen nicht haben.Frauen kommen anscheinend besser mit den sich rasant verändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen klar und ergreifen ihre Chancen, während Männer sich noch immer im Pleistozän wähnen und nur mit Unverständnis und Passivität darauf reagieren, dass der urmännliche Jäger- und Sammlertyp nicht mehr gefragt ist. Oder: Männer werden arbeitslos und gehen angeln; Frauen übernehmen derweil besser dotierte Jobs mit mehr Verantwortung und verdienen das gesamte Familieneinkommen.

Hanna Rosin_Das Ende der MännerRosin hat hunderte amerikanischer Paare und Familien interviewt, um diese Schieflage der Verhältnisse zu begründen. Es geht viel um Geld in diesem Buch, Jahresgehälter sind die Vergleichsgröße zwischen der „Plastikfrau“ und dem „Mann aus Pappe“, wie Hanna Rosin die neuen Frauen- und Männertypen nennt. Eine Verschiebung hat stattgefunden: Männer sind zunehmend häufiger zuhause und kümmern sich um die Kinder, die Frauen sind „draußen“ in der Arbeitswelt. Bei der Lektüre wird allerdings schmerzhaft klar, dass Rosins Untersuchung keineswegs den erstaunlichen Siegeszug des Feminismus in den USA aufzeigt: vielmehr halst sich die Plastikfrau (= Barbie) schier unmenschliche Belastungen auf, um die Familie durchzubringen, während der heimische Pappkamerad entweder gewalttätig, faul oder „effeminiert“ wird, was Barbie dann auch wieder nicht gefällt und sie – typisch männlich eigentlich – zur Waffe greift, um den unliebsamen Schwächling zu beseitigen.

Ich verkürze und übertreibe bewusst, aber im Grunde ist „Das Ende der Männer“ so deprimierend. Denn es widerstrebt mir, den durchaus überlebenswichtigen Pragmat- und Perfektionismus der Frauen (= so viel zu arbeiten, bis man tot umfällt, landläufig als „Karriere“ bezeichnet) positiv zu werten, ebenso wenig sympathisch oder zukunftsträchtig wirken die porträtierten Typen in ihrer Mischung aus Faulheit, Planlosigkeit und Missgunst. Okay, Rosin beschreibt amerikanische Verhältnisse, die nicht eins zu eins auf Europa übertragbar sind. Dennoch schwant der geneigten Leserin, dass Hanna Rosins Originalbuchtitel „The End of Men“ eher den Wunsch als ein Fazit der Autorin ausdrückt.

Das Ende der Männer: Und der Aufstieg der Frauen (The End of Men, 2012). Übersetzt von Heike Schlatterer und Helmut Dierlamm. Berlin Verlag 2013. 400 Seiten. 19,99 Euro. Zur Homepage der Autorin und zur Homepage des Verlags.

Tegan and Sara_HEARTTHRObUff, jetzt erstmal Musik, aber nur von Frauen, bitteschön:

Das Zeitalter des Zynismus ist vorüber – vor ein paar Jahren wäre Tegan and Saras neues Album „Heartthrob“ als ironisierendes So-tun-als-ob gewertet worden, als nicht ernst gemeinter Zitatpop, mit dem man quasi durch die Indie-Hintertür gut finden „darf“, was allenthalben als verwerflich gilt. Nämlich: emotionaler Achtzigerjahre-Breitwand-Discopop mit Synthies en masse, zwischen Starship und Tiffany, The Corrs und Wilson Phillips, „St. Elmo´s Fire“ und Madonnas „Crazy For You“.

Die internetermöglichte Gleichzeitig- und Verfügbarkeit jeglicher nur denkbaren musikalischen Stile und Epochen führt trotz aller Kritik auch zu neuer Freiheit – und wenn die kanadischen Zwillinge Tegan und Sara Quin ankündigten, dass dieses Album mit keinem anderen ihrer bisherigen Karriere verwechselt werden kann, treffen sie damit voll ins Schwarze.

Natürlich gefallen „Heartthrob“ und die mega-catchy Single „Closer“ vielen Leuten nicht. So stark wirkt Tegan and Saras fantastisches Debüt „The Con“, mit dem die Queer-Ikonen 2007 das Singer-/Songwriter-Feld ausloteten, noch nach, dass die prefab-Drumbeats und Synthiefanfaren durchaus verunsichern, ja abstoßen können. Aber man kann auch nicht behaupten, dass das elektronifizierte „Heartthrob“ die völlige Abkehr von einem fest eingeschlagenen Weg wäre: schon seit einiger Zeit kollaborieren die beiden mit DJs wie David Guetta und Tiesto.

„Heartthrob“ soll im Stadion und im Autoradio funktionieren, und das wird es: unverstellt lassen sich ewiggültige Liebesschwüre mitschmettern („The first time I saw your face / I knew I was meant for you“, „Love They Say“), Schlussmachdramen nachspielen („Why do you exit go it alone when you could just talk to me?“; „Now I´m All Messed Up“) oder der Verzweiflung ob des Verschmähtwerdens freien Lauf lassen: “How come you don´t want me now? / She´s got nothing to show you“.

“Heartthrob” wirkt auf beste Weise kathartisch: wenn man erstmal seinen selbst auferlegten Coolnesspanzer aufgebrochen hat, will man nur noch mit Tegan und Sara tanzen und schmachten.

Tegan und Sara: Heartthrob. 9,99 Dolaar. Warner. Zur Homepage.

destinys Child _ Love SongÜppig-hymnisch

Zugegeben: die aktive Zeit von Destiny´s Child liegt schon etwas länger zurück. 2005 trennte sich das R’n’B-Trio, damals bestehend aus Kelly Rowland, Michelle Williams und Beyoncé Knowles, um Solokarrieren voranzutreiben. Sehr erfolgreich, wie sich in den letzten acht Jahren zeigen sollte. Reunion-Gerüchte sind seither nie verstummt und Destiny´s Child füttern ihre Fans mit Bedacht an: Anfang Februar traten die Drei erstmals seit der Bandauflösung beim Super Bowl auf, Superstar Beyoncé durfte außerdem zusätzlich alleine singen.

„Love Songs“ ist zwar kein neues Album von Destiny´s Child, sondern das dritte innerhalb einer Compilation-Reihe, aber immerhin gibt es einen neuen Song, produziert von Pharrell Williams: „Nuclear“ heißt der Track, eine Ballade, aufgepeppt mit moderaten Breakbeats und einprägsamem L.O.V.E.-Vokabular. Im Zentrum steht die vertraute Stimme von Beyoncé Knowles – also durchaus ein „Nummer-sicher“-Song, der aber vielleicht wirklich ein Vorbote der sehnlich erwarteten neuen Platte ist.

Balladen gibt es ohnehin viele auf dem „Love Songs“-Sampler, langweilig wird es aber kaum. Vielmehr zeigt diese geballte Packung „contemporary soul“, dass Destiny´s Child zu Recht weltweit über 60 Millionen Tonträger verkauften. Engelsgleicher Gesang, sexy und sinnlich, dabei nicht zu deftig, zeitgemäß üppig-hymnische Produktionen. Hits wie „Now That She´s Gone“, „Brown Eyes“ und natürlich „Say My Name“ huldigen den großen Vorbildern wie The Supremes und The Vandellas, sind im Sound aber klar den späten Neunzigern und frühen 2000er-Jahren verpflichtet. Und nochmal zugegeben: ich tät’ mich über mehr neues Material von den drei Ladies freuen…

Destiny´s Child: Love Songs. . SonyMusic. 7,08 Euro. Zur Homepage und zum Video.

Inzwischen bin ich mental soweit gefestigt, auch wieder von Männern – diesen scheußlichen haarigen Biestern – gemachte Musik hören zu können. Man verzeihe mir bitte den ungerechten Schnelldurchlauf, aber sonst wird das zu umfangreich hier:

whos that man _ tributeProduzentenlegende

Der 1987 im Alter von nur 47 Jahren an Krebs verstorbene Konrad „Conny“ Plank ist der wohl einflussreichste Producer deutscher Herkunft. In seinem Studio in Wolperath entstanden wegweisende Alben von Kraftwerk, Neu!, La Düsseldorf, Brian Eno, Can, Ultravox, DAF, Devo, Eurythmics und unzähligen mehr – dennoch ging Plank, dessen Laufbahn als Toningenieur beim Westdeutschen Rundfunk begann, keineswegs wahllos vor, er hatte zum Beispiel keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit mit David Bowie, verweigerte U2 den Zutritt zum Studio („Ich kann mit diesem Sänger nicht arbeiten“) und produzierte nach „Autobahn“ kein weiteres Album mehr von Kraftwerk, weil er deren Werdegang als „Designerband“ nicht unterstützen wollte.

Plank war ein geniales Unikum, ein bäriger Hippie von eindrucksvoller Statur und guter Laune – so lange man ihn machen ließ. Seine Begeisterung für Technik („Ich mag Synthesizer, wenn sie wie Synthesizer klingen“) und die Fähigkeit, im Studio eine Atmosphäre vollsten Vertrauens zu schaffen, ließen ihn zum Geburtshelfer von Krautrock und Elektro, New Wave und Neuer Deutscher Welle werden. Man glaubt es kaum, aber auch Herbert Grönemeyer wurde einst von Conny Plank produziert: Herberts Album „Zwo“ (1981) entstand in Wolperath.

Auf Grönemeyers Label Grönland erscheint nun die längst fällige Würdigung des Plank’schen Werks in einem 4-CD-Boxset. Zwei CDs widmen sich Planks Producer-Tätigkeit, erstaunliche Tracks von Phew, La Düsseldorf, Psychotic Tanks und Plank selbst sind zu hören; CD 3 featuret Remixe von Justus Köhncke, Kreidler oder Automat, CD 4 beinhaltet ein Livekonzert von Plank, Arno Steffen und Dieter Möbius anno 1986 in Mexiko.

Who’s That Man: A Tribute to Conny Plank. . Boxset, 4 CD. Grönland Records (Rough Trade). 33,99 Euro. Zur Homepage von Conny Plank. Zur Webseite des Labels.

schorsch Kamerun _ Der mensch lässt nachTrifft ins Schwarze

One of the hardest working men in theater business ist Schorsch „Tuffi“ Kamerun, der mit „Der Mensch lässt nach“ so etwas wie musikalisch begleitete Notizzettel aus zwei Jahren Theaterarbeit in Leipzig, Köln, Hamburg, München und Düsseldorf veröffentlicht. Instrumental unterstützt wurde Kamerun von Carl Oesterhelt/F.S.K., Thomas Wenzel, Sebastian Wehle, Anton Kaun und vielen anderen.

Das wichtigste sind aber die Texte: Collagen, zusammengestellt aus unzähligen Gesprächen, mitgehört und selbstgeführt. Beschreibungen der Zustände, Umstände, sich einmischend, ins-Schwarze-treffend-beim-seitlich-dran-vorbeigehen: „Ich werde räumen, will mir was wünschen. Ich glaube alles was ich finde / Ich brauche Sachen, ich laufe seitwärts. Ich sollte mich bei euch entschuldigen / Man hat mich angestellt und nicht mehr ausgemacht“ (Vergessen Auszumachen).

Oder die Bilanz des kultischen Beklagens des Leids der Anderen: „Ich weine um Libyen und in Tokyo die Lichter aus / Ich weine um Kabul, wegen Schalke 04 / ich weine dort, trauere hier…“ (Ich Meine Ich Weine). Jede Menge Zitatfähiges also, aber zum Glück lässt Schorsch Kamerun einen ja nicht so einfach davonkommen. Und mit dem Albumtitel schließt sich für mich der Kreis zum Ausgangsbuch. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Vorhang.

Schorsch Kamerun: Der Mensch lässt nach. Buback. 17,98 Euro.  Zur Webseite des Labels.

Christina Mohr

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