Geschrieben am 23. November 2011 von für Musikmag

Mohr Music: Frauen und Popkultur

Immer noch unter dem Eindruck der Buchmesse hat sich Christina Mohr in dieser Woche noch einmal Musikbücher angesehen, die sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten mit Frauen im Musikbusiness und -medien auseinandersetzen.

Maren Volkmann: Frauen und PopkulturDiskursbestimmende Journalistinnen

Der Buchtitel „Frauen und Popkultur“ ist ein wenig unglücklich, weil man denken könnte, dass hier zwei im Grunde unvereinbare Dinge miteinander verknüpft werden sollen, wie z. B. „Männer und Gefühle“. Maren Volkmanns fast 500 Seiten starke Untersuchung ist aber nicht weniger als die Bestandsaufnahme und Analyse feministischen Handelns innerhalb der Popkultur. Volkmann stellt die These auf, dass der sogenannte Third Wave-Feminismus hierzulande weniger durch Theorie und Wissenschaft, sondern durch Musik, Bands und Journalismus Verbreitung fand.

Um diese These zu belegen, holt Volkmann weit aus und erklärt anhand vorwiegend angloamerikanischer Cultural Studies seit den 1970er-Jahren, wie Frauen im popkulturellen Kontext agieren, mitmachen, das eigene Handeln und das anderer Frauen kommentieren. In die Analysen fließen Mädchenmagazine ebenso ein wie Judith Butlers „Gender Trouble“, die Spice Girls als materialistische Ausformung des Frühneunziger-Postfeminismus und Riot Grrrlism als musikalische und politische Post-Punk- und Post-Grunge-Bewegung.

Autorinnen wie Kerstin Grether betonten vor einigen Jahren die Kreativität weiblicher Fans und werteten damit das Fantum auf, das im männlich dominierten Popmusikkosmos bislang als passive und lächerliche Eigenschaft galt – Sichtweisenwechsel wie dieser sind wichtige Wegmarken in Volkmanns Buch, das sich im letzten Drittel ausgiebig dem gedruckten Wort widmet: im Kapitel „Musik und Gender in der Popliteratur von Frauen“ untersucht Maren Volkmann Romane von Silvia Szymanski, Claudia Kaiser, Françoise Cactus, Jenni Zylka und Kerstin Grether. Alle Romanprotagonistinnen sind Musikerinnen und spielen in Bands, übernehmen also aktive Parts im Popgeschehen und stehen damit für eine sehr pragmatische Third Wave-Feminismus-Position, die in allen behandelten Romanen nicht explizit erwähnt, sondern wie nebenbei und selbstverständlich (häufig mit ironischen Kommentaren versehen) gelebt wird.

Ob dies ein verallgemeinerbarer Trend oder die subjektive Erlebniswelt der schreibenden Musikerinnen/musizierender Schriftstellerinnen ist, muss offen bleiben. Im selben Themenabschnitt stellt Volkmann auch drei stil- und diskursbestimmende Journalistinnen vor: die bereits genannte Kerstin Grether, Missy Magazine-Herausgeberin Sonja Eismann und die viel zu früh verstorbene Tine Plesch. Grether, Eismann und Plesch trugen/tragen dazu bei, dass feministische Themen in den deutschsprachigen Popjournalismus Einzug gefunden haben und genuin weibliche Perspektiven immer wichtigere Rollen spielen: allein dafür gebührt ihnen Dank und Respekt – verbunden mit dem Bedauern, dass man die guten Popschreiberinnen noch immer an einer Hand abzählen kann.

Maren Volkmann: Frauen und Popkultur. Feminismus, Cultural Studies, Gegenwartsliteratur (Posth Verlag, Broschur, 480 Seiten). Zur Verlagshomepage.

Klarsichtig und messerscharf

Maren Volkmann erwähnt in „Frauen und Popkultur“ mehrfach die 2006 verstorbene amerikanische Journalistin Ellen Willis, die 1968 von der Zeitschrift The New Yorker als erste PopmusikkritikerIN angeheuert wurde. Dieser Schritt war in zweierlei Hinsicht eine Sensation, denn damals galt das Schreiben über Pop- und Rockmusik noch als zwielichtig und unnötig, die großen Zeiten von Greil Marcus, Nick Tosches und Lester Bangs were yet to come; für dieses Thema jedoch auch noch eine! Frau! zu beordern, erschien dem New Yorker selbst ziemlich gewagt, weshalb man Ellen Willis bat, ihre Artikel mit „E. Willis“ zu unterschreiben, da derzeit angeblich so viele weibliche Autoren für die Zeitschrift schrieben. Ellen Willis bestand auf ihrem vollen Namen und setzte damit ein sichtbares Zeichen ihrer Haltung dem Leben und der Arbeit gegenüber.

Willis wuchs in Manhattan, Queens und der Bronx als Tochter jüdischer Eltern auf, studierte Literaturwissenschaften und entwickelte als junge Frau ein dezidiert linkes und feministisches Bewusstsein, das ihre journalistische Arbeit bestimmen sollte. Ihr erster längerer Text über Bob Dylan, geschrieben 1967, wirkt auch heute noch so vorausschauend, umfassend, klarsichtig und messerscharf analysiert, dass man kaum glauben kann, was Willis nur sechs Jahre nach Dylans erstem Erscheinen auf der Popbühne über ihn zu sagen wusste. Willis schrieb sieben Jahre lang für den New Yorker, daneben und danach für The Village Voice, den Rolling Stone und andere Publikationen. In den späten sechziger und siebziger Jahren befasste sie sich neben politischen und gesellschaftlichen Themen hauptsächlich mit Musik, schrieb über Janis Joplin, Bessie Smith, Joni Mitchell, The Velvet Underground, immer wieder Dylan und ihre erklärten Lieblingsbands Creedence Clearwater Revival und die Rolling Stones (und die Widersprüche, die sie als Feministin diesen Bands gegenüber verspürte), Woodstock und die Beatles. Ihr Blick war unbestechlich, subjektiv (sie schrieb fast ausschließlich in der Ich-Form) und so selbstbewusst, dass sie so manche Musikströmung mit voller Absicht ignorierte.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Willis war weder eitel noch selbstgefällig. Niemals hätte sie sich als allwissende Instanz ausgegeben, sie benannte ihre Zweifel und schrieb auf, was sie hörte, fühlte und wusste. Kurzum: Ellen Willis sollte das Vorbild einer/s jeden Journalisten/in sein – nicht nur im Popmusik-Bereich. In den frühen Achtzigern entschloss sich Willis, nicht mehr über Musik zu schreiben, weil ihr Pop (und auch Punk, wohlgemerkt!) zunehmend zu unpolitisch und belanglos wurde. Was ein Jammer ist, zu gerne hätte man ihre Gedanken zu weiblichen Superstars wie Madonna oder Britney Spears erfahren. Willis schrieb weiter, vornehmlich zu politischen Themen und unterrichtete künftige Journalistinnen an der Universität. Als die Nichtraucherin Ellen Willis vor fünf Jahren an Lungenkrebs starb, überschlugen sich Kollegen wie Robert Christgau, Rob Sheffield und Greil Marcus mit Lobeshymnen: „As a writer and a thinker, Willis set out many of the ideas that define my calling to this day. The persona she established was pretty cool too — skeptical, sexual, and political; affectionate, vulgar, and very smart“, so Christgau im Vorwort zu “Out of the Vinyl Deeps”, dem von Willis‘ Tochter Nona Willis Aronowitz herausgegebenen Buch mit ihren wichtigsten Texten. Highly recommended!

Nona Willis Aronowitz, Daphne Carr, Evie Nagy (Hg.): Out of the Vinyl Deeps: Ellen Willis on Rock Music (University of Minnesota Press, Broschur, 232 Seiten). Zur Verlagshomepage.

Jochen Bonz, Juliane Rytz, Johannes Springer (Hg.): Lass uns von der Hamburger Schule redenOral history

Wenn von der “Hamburger Schule” gesprochen wird, sind meistens Bands wie Blumfeld, Die Sterne, Tocotronic, Die Erde, Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs und Kolossale Jugend gemeint. Alles Männer – was ja per se nicht schlimm ist, vor allem, weil die Genannten jeglichen Sexismen weitgehend abhold sind. Dennoch stimmt die Geschichte aber so nicht: im Hamburg der späten achtziger und frühen neunziger Jahre waren jede Menge musizierende, produzierende, konzertveranstaltende und promotende Frauen unterwegs. Die Bookerin Myriam Brüger zum Beispiel, Ladomat-Gründerin Charlotte Goltermann und Journalistin Katha Schulte, und natürlich die Musikerinnen Ebba Durstewitz (Ja König Ja), Elena Lange (TGW, Stella), Bernadette la Hengst, Patricia Wedler alias DJ Patex und auch Almut Klotz und Christiane Rösinger – die Lassie Singers schrieben ihre Liebeserklärung “Hamburg” ja nicht ohne Grund.

Im Ventil Verlag ist nun die nötige Korrektur zur Hamburger Schule-Geschichtsschreibung erschienen: die HerausgeberInnen Jochen Bonz, Juliane Rytz und Johannes Springer lassen in ihrer oral history die weiblichen Schülerinnen zu Wort kommen, die in der Zwischenzeit längst zu Lehrerinnen geworden sind.

Jochen Bonz, Juliane Rytz, Johannes Springer (Hg.): Lass uns von der Hamburger Schule reden: Eine Kulturgeschichte aus der Sicht beteiligter Frauen (Ventil Verlag, Broschur, 175 Seiten). Zur Verlagshomepage.