Kammerflimmer Kollektief und David Lynch – zwei Platten, wie gemacht für die kalte, dunkle Jahreszeit! Findet jedenfalls Christina Mohr.
Verwerfungen
– Das Karlsruher Kammerflimmer Kollektief (Thomas Weber, Johannes Frisch, Heike Aumüller) macht mit „Teufelskamin“ seinem Ruf als experimentierfreudiges Ambient-Elektronik-Klanglabor alle Ehre: hier gibt es Vocals ohne Worte und Wüste ohne Sand, E-Gitarre ohne Rock und Bass ohne Beat. Dafür eine ganze Menge anderer Dinge: „Teufelskamin“ klingt wie eine unheimliche, aber freundlich gestimmte Jamsession seltsamer Geister an Halloween, wirkt wie ein weitausholender Kameraschwenk durch Jim Jarmuschs „Dead Man“ und „Nightmare Before Christmas“ von Tim Burton. Dieser „Teufelskamin“ ist anheimelnd, weird und autark.
Geräusche sind Musik, Musik ist Geräusch: Gitarren werden geschrubbt anstatt gezupft, das Harmonium brummt und zirpt, Albert Aylerscher Jazz weht hinein, um in einem elektronisch-akustischen Trip mit Geklingel und Gemaunze zu versumpfen. Surfsounds aus dunkleren Gestaden, in die sich die Beach Boys nicht trauten. Gesang wie von trägen Engeln auf LSD, hingeklöppelt sanfte Percussion, eine „Soft Machine“, die „New Ghosts“ anruft und dich „Nearly Able To Fly“ macht.
Kammerflimmer Kollektief laden zur Séance, die man angenehm gehirngewaschen als „A Different Karmic Thermal“ wieder verlässt. Was ist überhaupt ein Teufelskamin? Verwerfungen in Sandstein, die in Höhlen münden – etwas ganz Organisches also, ganz natürlich. Aber auch gefährlich: wer einmal reingerutscht ist, kommt so einfach nicht mehr raus.
Kammerflimmer Kollektief: Teufelskamin. Staubgold (Indigo). Zur Homepage.
Hässliches fasziniert
Selbst wenn man nicht tief in David Lynchs Werk drinsteckt, weiß man, dass Sound und Musik in Lynchs Filmen eine herausragende Rolle spielen. Von den Prä-Industrial-Gruselgeräuschfetzen bei „Eraserhead“ über die personalisierten Erkennungsmelodien in „Twin Peaks“, den bei Roy Orbisons „In Dreams“ weinenden Psychopathen (Dennis Hopper in „Blue Velvet“), Rammstein-Songs und Marilyn Manson-Auftritt in „Lost Highway“ bis zum beängstigenden Lärmchaos in „Inland Empire“ – Musik ist bei Lynch keine Bilduntermalung, sondern essentieller Bestandteil des Films.
Die langjährige Kooperation mit dem Komponisten Angelo Badalamenti ist für Lynchs Arbeit mindestens so stilbildend wie die Auswahl seiner Schauspieler; und da Lynch ohnehin auf -zig Feldern ackert (Fotografie, Malerei, Club-Betreiben, Sektenzugehörigkeit), überrascht es nicht, dass er jetzt mit „Crazy Clown Time“ sein Debütalbum vorlegt. Mit der Unterstützung von Danger Mouse und Dean Hurley entstanden vierzehn Tracks, die klingen wie man es aus Lynchs Filmen gewohnt ist: düster und unheimlich, verwirrend und beängstigend.
Aber auch lustig: in jedem Lynch-Film gibt es komische Momente, so auch in seiner Musik, die um dieselben Themen kreist wie sein filmisches Schaffen: Der amerikanische Traum mit seinen Obsessionen, Ikonen und Sehnsüchten und die Bedrohung dieses Traums von innen und außen. Der Opener „Pinky´s Dream“ fällt mit seiner rockigen Lebendigkeit aus dem Rahmen, außerdem singt hier Karen O von den Yeah Yeah Yeahs – ganz schön toll. „Strange And Unproductive Thinking“, „Football Game“, „Good Day Today“ und „Noah´s Arc“ wirken, als wären die Residents mit modernem Equipment in einer Bluesbar gestrandet.
Überhaupt ist Lynch ein großer Dekonstruktivist: Blues und Rock’n’Roll als typisch amerikanische Musiken durchziehen das gesamte Album und werden durch hypnotisch-wabernde Elektro-Beats, unheimliches Geflüster, Echo und Hall zu Klaustrophobie erzeugenden, surrealen Zerrbildern ihrer selbst.
Interessanterweise vermisst man bei Lynchs Musik die Bilder nicht – und nein, ich schreibe jetzt nicht, dass der Film beim Hören im Kopf entsteht. Noch schöner wäre es allerdings gewesen, wenn sich David Lynch mit der Rolle als Ton-Regisseur begnügt und auf den Songs nicht auch noch gesungen/geraunt/gemurmelt hätte, aber andererseits sind ja auch seine Filme gerade wegen der hässlichen Elemente so faszinierend.
Christina Mohr
David Lynch: Crazy Clown Time. PIAS/Sunday Best. Mehr hier und hier.