Geschrieben am 18. Februar 2015 von für Musikmag

Mohr Music: Punk 45 x 2

punk45akronPUNK 45 x 2

Es scheint, als hätten Soul Jazz-Gründer Stuart Baker und Popkritiker Jon Savage ihre Berufung gefunden: Die beiden (okay, Savage nicht durchgängig) compilen und kommentieren mit nicht nachlassendem Eifer ein PUNK 45-Album nach dem anderen. Nach einem großformatigen Buch zu Singles-Cover-Art und drei Alben über britischen, amerikanischen und Proto-Punk erschienen unlängst zwei neue Ausgaben, die qua Titel den Niedergang des Mittleren Westens der USA thematisieren: Exemplarisch dafür stehen die Städte Akron und Cleveland, nur knapp 50 km voneinander entfernte, in den sogenannten „Rust & Manufacturing Belts“ gelegene, einstige Vorzeigestädte des industriellen Aufstiegs.

In Rubber City Akron wurden in unzähligen gummiverarbeitenden Betrieben Autoreifen hergestellt (Motor City Detroit ist nicht weit); Cleveland beherbergt heute zwar die Rock’n’Roll-Hall of Fame, aber die besten Zeiten der Stadt sind lange vorüber. Spätestens mit der Ölkrise der 1970er-Jahre ging es mit Akron und Cleveland wirtschaftlich bergab; vor allem Cleveland, einst sechstgrößte Stadt der USA („sixth city“) erlebte einen regelrechten Exodus, von knapp einer Million Einwohnern im Jahre 1930 schrumpfte the mistake on the lake (Erie) bis 2010 auf 300.000.

punk45clevelandSchrumpfende, ausblutende Städte mit leerstehenden Gebäuden und ohne Jobperspektiven sind ohne Zweifel deprimierend, aber ein idealer Nährboden für Punk: In Akron und Cleveland entstanden Musikszenen, die sich mit denen von Metropolen wie New York City, Detroit und Washington messen konnten. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man anmerken, dass Gummi-Ausdünstungen offenbar zu besserer Laune, resp. sehr speziellem Humor führten als allgemeiner Niedergang: So stammen DEVO und The Waitresses aus Akron, Rocket From the Tombs/Pere Ubu und electric eels aus Cleveland. Akron-Songs heißen „Laugh“ oder „Puppet Wipes“, in Cleveland schreit David Thomas „Life Stinks“ und „Final Solution“.

Ganz so einfach ist die Rechnung natürlich nicht: auch in Cleveland wurde getanzt, auch aus Akron kam derber, zynischer Punk Rock. Dennoch ist dem grünen Akron-Album eine gewisse Leichtigkeit eigen, während die feuerrote Cleveland-Platte böse Funken sprüht oder sich in krautigem Postrock ergeht. Wie auch auf den vorangegangenen Compilations führen Baker & Savage vor, dass Punk kein homogener Musikstil war, sondern vor allem (und überall, ganz nebenbei) großen Spaß an der Zerstörung alter Helden hatte. Bands wie The Bizarros, Rubber City Rebels, Jazz Destroyers oder Defnics ließen keinen Zweifel offen, wie sehr sie althergebrachten Rock’n’Roll, Hippies und die peacefullen Sixties verachteten – auch wenn ihre Musik natürlich diese Zeit beerbte. DEVO sind ein Thema für sich, die 1972 gegründeten De-Evolutionisten gelten als die New-Wave-Vorläufer schlechthin, ihr Einfluss auf verschiedenste Stile ist bis heute unüberseh- und -hörbar.

Bei Soul Jazz versteht es sich von selbst, dass die Alben mit aufwendigen Booklets inklusive zahlreicher Fotos ausgestattet sind – PUNK 45 Vol. 4 & 5 machen da keine Ausnahme. Es lohnt sich, die Band-Biografien (so kurzlebig sie auch gewesen sein mögen) nachzuverfolgen, neben den Bekannteren (s. o.) lassen sich viele spannende Entdeckungen machen. Kurzlebig sind übrigens nicht alle Punk-Bands: Pere Ubu tourten gerade gewohnt übellaunig und großartig durch deutsche Clubs.

Christina Mohr

Burn, Rubber City, Burn! Akron, Ohio: Punk and the Decline of the Mid-West 1975 – 80; Extermination Nights in the Sixth City. Cleveland, Ohio: Punk and the Decline of the Mid-West 1975 – 82. Soul Jazz Records

Tracklisting AKRON
1. The Bizarros — I Bizarro
2. The Waitresses — The Comb
3. Hammer Damage — Laugh
4. Devo — Mechanical Man
5. Tin Huey — Squirm You Worm
6. The Bizarros — Lady Doubonette
7. Chi-Pig — Ring Around The Collar
8. Devo — Auto Modown
9. Rubber City Rebels — Kidnapped
10. Denis DeFrange and Mark Frazier — The Manikin Shuffle
11. Jane Aire and The Belvederes — When I Was Young
12. Tin Huey — Puppet Wipes
13. Chi-Pig — Apu Api
14. The Bizarros — Nova
15. Rubber City Rebels — Such A Fool
16. Denis DeFrange — Sector Wars
17. Ralph Carney — Closet Bears
18. 15 60 75 Numbers Band — Narrow Road

Tracklisting CLEVELAND
1. The Pagans — Street Where Nobody Lives
2. Jazz Destroyers — Love Meant To Die
3. Pere Ubu — Final Solution*
4. The Broncs — Tele-K-Killing
5. electric eels — Splittery Splat
6. The Pagans — Dead End America
7. X-X — Approaching The Minimal With Spray Guns
8. The Defnics — 51%
9. Pere Ubu — Heart Of Darkness*
10. The Human Switchboard — No !
11. X-X — A
12. Pressler Morgan — You’re Gonna Watch Me
13. The Pagans — I Juvenile
14. Poli Styrene Jazz Band — Drano In Your Veins
15. The Mirrors — Hands In My Pockets
16. electric eels — Bunnies
17. Styrene Money — Everything Near Me
18. Rocket From The Tombs — Life Stinks*

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