Mit diesen beiden Platten werde ich gut durch den Herbst kommen, da bin ich mir sehr sicher – und nicht nur, weil die Cover so hübsch nebeneinander aussehen, geradezu miteinander zu kommunizieren scheinen. Die musikalische Schnittmenge von Fay Hallam und Roseau ist dabei gar nicht groß, es ist vielmehr die ruhige, leicht melancholische Stimmung, die in beiden Alben herrscht und kalte Tage erwärmt…
Bei jedem Hören mehr Facetten
Die in Colchester geborene und in London lebende Roseau ist keine Novizin im Popgeschäft: Die 30-jährige Britin mit irischen und karibischen Wurzeln heißt eigentlich Kerry Leatham und war mit Peter Lyons als Duo Peter & Kerry unterwegs, einem akustischen Folkprojekt, das liebenswerte Alben wie „Clothes, Friends, Photos“ (2011) veröffentlichte. Vor ein paar Jahren entdeckte Kerry das Musikmachen am Laptop für sich, lud das Programm Logic runter und lernte mit youtube-Tutorials, wie sie ihren „handgemachten“ Zugang zum Komponieren mit ein paar techy skills anreichern kann. Ihre Versuche sorgten umgehend für Aufmerksamkeit, Kerry kooperierte mit Bonobo und Lapalux, Lianne La Havas und Laura Mvula nahmen sie mit auf Tour, ihre Songs wurden in Serien wie „Grey’s Anatomy“ und „Adulthood“ gespielt.
Kein Wunder, dass es deshalb ein wenig gedauert hat mit dem Debütalbum, aber nun ist es ja da und das Warten hat sich wahrhaftig gelohnt: Dass die Songs auf „Salt“ von der Atmosphäre einer leerstehenden Lagerhalle in der Nähe von Essex inspiriert wurden, vermutet man angesichts der knapp 45 Minuten dauernden Demonstration sanfter, warmer Eleganz nicht. Durchaus verwandt mit La Havas ist Roseaus Ansatz, klassischen Soulpop mit zeitgenössischen Elementen zu verbinden, Roseau klingt jedoch freier, moderner, urbaner. Tracks wie das starke, synthiepop-beeinflusste „Kids and Drunks“ oder „New Glass“ zeugen von einem kundigen, selbstbewussten Umgang mit Stilen wie Dubstep und Grime, aber Roseau bleibt stets betont popaffin, ist weniger radikal als Cooly G oder Kate Tempest, die ja auch den new sound of London prägen. Man hört ihrer Musik an, dass Kerry/Roseau aus der Folk-Tradition stammt, dass der Song das Wichtigste ist, die Melodie über dem Sound rangiert.
Ihre klare, honigfließende Stimme hüllt die HörerIn kuschlig ein, man driftet angenehm weg… bis Roseau ein supereingängiges Stück wie „Florida“ aus dem Ärmel schüttelt und man wieder nur staunen kann über die unaufdringliche Kunst dieser Frau – und jetzt fällt mir auch wieder ein, an wen ich die ganze Zeit denken musste: An Gabrielle (genau, die mit der Augenklappe) und ihren Hit „Dreams“ – ungefähr so, nur viel weniger Neunziger und weniger Mainstream klingt Big-Dada-Neuzugang Roseau, deren Album bei jedem Hören mehr Facetten bekommt.
Roseau: Salt (Big Dada). Zur Facebook-Seite.
Tanzbar, mit dem gewissen twist
Wäre „altgedient“ nicht so ein uncharmantes Wort, träfe es auf die britische Keyboarderin und Sängerin Fay Hallam schon irgendwie zu, schließlich hat sie mit so vielen Bands und Leuten zusammengespielt, dass man unmöglich alle zusammenbekommen kann: The Prime Movers, Makin‘ Time und ihre eigene Band Fay Hallam Trinity sind nur einige Wegmarken, legendär ist ihre Zusammenarbeit mit Billy Childish und anderen Vertretern der sogenannten „Medway-Scene“, und wahrscheinlich hat Fay Hallam auch schon an deinem Wohnort gespielt, ja genau, in dem verrauchten Keller, wo Lager Beer ausgeschenkt wird. Zuletzt erschien ihr gemeinsames Album mit The Bongolian, „Lost in Sound“.
Auf ihrem Soloalbum „Corona“ frönt Fay Hallam ihrer Liebe zur Bossa Nova der Jobim- und Gilberto-Schule, zu Northern-Soul, Jazz, Rhythm’n’Blues, klassischem Erwachsenenpop á la The Carpenters und all things sixties. Sie covert Paul McCartneys „Maybe I’m Amazed“ und man ist erstaunt, was doch eine unterschiedliche Stimme ausmacht: Fay singt mit dunklem Alt, ganz anders als der fröhlich quäkende McCartney… sorry, Paul! Von Beginn an – der langsamen Bossa „Se mi Ami“ ist die Stimmung nokturn, aber spielerisch. Dunkel, weniger depressiv denn nachdenklich, verhangen und zuweilen desillusioniert: „he said he loved me / but I know that he didn’t“, singt Fay auf „1000 Blue Ribbons“, einem Anti-Liebeslied. Aber auf „Corona“ geht es immer wieder auch sehr tanzbar zu, siehe „Beck“ oder „Soul Revolution“, denn untreuen Liebhabern nachzuweinen ist Hallams Sache nicht, dafür macht sie viel zu gute Musik.
Lässt man die Gedanken schweifen, kommen der geneigten HörerIn Bands wie Working Week, Blue Rondo a la Turk, aber auch The Style Council und die frühe Sade in den Sinn – höchst geschmackvolle, retroide Sachen mit dem typisch britischen twist, der auch Fay Hallams Songkollektion (dreizehn Tracks sind auf „Corona“, und ich drücke sofort wieder auf „start“, wenn das Album durchgelaufen ist) bestimmt. Kurzum: Ich habe Fay Hallam spät entdeckt, und lasse sie jetzt nicht mehr weg.
Fay Hallam: Corona (Blow Up / Cargo).