Geschrieben am 28. September 2011 von für Musikmag

Mohr Music: Love Will Tear Us Apart oder: Suicidal Tendencies

Suizid kommt im Popbiz nicht besonders häufig vor, das kann man bemerkenswert finden oder auch nicht. Christina Mohr jedenfalls erinnert in dieser Woche an zwei der berühmtesten Popstars, die den Freitod wählten.

Suicide will tear us like teen spirit

Viele MusikerInnen sterben an drogeninduzierten Unfällen, also den vorurteilsmäßig rock’n’roll-typischen Tod. Wesentlich mehr werden von ganz profanen und ebenso scheußlichen Dingen wie Krebs, Hirnblutungen, Hausbränden und Flugzeugabstürzen dahingerafft oder werden vom eigenen Vater erschossen wie Marvin Gaye. Erstaunlich wenige Stars legen selbst Hand an sich (es sei denn, man interpretiert Drogenabhängigkeiten aller Art als grundsätzliche Todessehnsucht), Punk-Legende Wendy O’Williams von den Plasmatics mag einem einfallen, aber dann landet man schon bei Ian Curtis von Joy Division und Nirvanas Kurt Cobain. Diese zwei in einen Artikel zu packen, erscheint zugegebenermaßen ein bisschen billig und allzu offensichtlich, ich mache es aber trotzdem. Die Biographien/Leidensgeschichten beider Protagonisten wurden schon tausende Male erzählt und dürften als bekannt vorausgesetzt werden; Curtis und Cobain wurden durch ihre lange vorbereiteten und mitnichten überstürzten Entschlüsse, sich aufzuhängen bzw. zu erschießen, zu Ikonen der „Generation Underground“ (siehe auch Mohr Music vom 21.9.2011).

Nirvana: NevermindKurt

Ian Curtis, schockierende 23 Jahre jung, griff am 18.5.1980 zum Strick, nachdem er Werner Herzogs Film „Stroszek“ geguckt und Iggy Pops Platte „The Idiot“ gehört hatte; in der Nacht, bevor Joy Division auf große USA-Tournee gehen sollten. Kurt Cobain schoss sich 27-jährig auf dem Zenit von Nirvanas Erfolg in den Kopf. Vorher schrieb er einen Abschiedsbrief, in dem er erklärte, dass seine Tochter Frances Bean ohne ihn viel besser dran sein würde und dass es außerdem besser wäre zu verbrennen, als langsam zu verblassen. Neil Young spielte den Song, der Pate für Cobains letzte Worte stand, nie wieder live. Nicht nur für Neil Young, den Schöpfer der Zeilen „It´s better to burn out than to fade away“, ist Kurt Cobains Suizid von erschütternder Bedeutung. Wie bei 9/11 wissen die meisten Menschen der Indie-Generation noch genau, was sie am 5. April 1994 gemacht haben. Ich zum Beispiel stand hinter einer Kneipentheke und schenkte Bier aus. Als die Kunde von Cobains Tod publik wurde, dröhnte aus der Anlage „Nevermind“ von Nirvana, was sonst. Noch viele Wochen später kam mir Musik, die nicht von Nirvana stammte, seicht und unwürdig vor. Nur um kultische Verehrung zu erlangen, hätte Cobain sich nicht erschießen müssen. 1993 nahm Juliana Hatfield den Song „Nirvana“ auf, in dem es heißt:

Here comes the song, I love so much
Makes me wanna go fuck shit up
Now, I got nirvana in my head
I´m so glad I´m not dead

Dass Hatfield ausgerechnet wegen Nirvana froh ist, nicht tot zu sein, entbehrt angesichts Cobains Lebensmüdigkeit nicht einer gewissen Ironie. Cobain war erschöpft vom Heroin, das er angeblich nur gegen seine chronischen Magenschmerzen nahm, erschöpft vom Erfolg und vielleicht auch erschöpft davon, Vater und Ehemann zu sein (und NEIN, wir hacken an dieser Stelle nicht auf die böse Witwe ein). Und doch gaben Nirvana so viel Kraft und Hoffnung, zum Beispiel dafür, dass es möglich war, harte Rockmusik zu spielen und kein lächerlicher, posender Mackerrock-Dinosaurier zu sein. Natürlich hat der Seattle-Grunge auch viele schlimme Dinge zu verantworten wie Nu‘ Metal, aber für kurze Zeit, so zwischen 1991 und 1993 schien alles gut: man konnte Karohemden tragen und verfilzte Haare haben und gehörte trotzdem zu den Coolen, Bands wie Nirvana, Mudhoney und L7 (eine der wenigen Frauenbands) vereinten Punks und Metaller, Fußballfans und GermanistikstudentInnen, Bier- und Rotweintrinker. Dann kamen die Stadionkonzerte für Nirvana und Pearl Jam, und Kurt Cobain wollte nicht mehr mitmachen. Okay, das ist ein wenig verkürzt, aber im Grunde zutreffend. Cobain trug gerne Frauenkleider und Nagellack und hatte ohnehin einen sehr speziellen Humor, der von Stadionrängen aus nicht mehr so gut verstanden wurde.

Joy DivisionIan

Ian Curtis litt gute fünfzehn Jahre zuvor sehr darunter, dass er seine epileptischen Anfälle nicht unter Kontrolle bekommen konnte. Seine Krankheit in Kombination mit Erfolgsdruck und früher Familiengründung wusste Curtis nicht anders zu bewältigen, als sich allem zu verweigern. Endgültig. Seine entsetzten – und auch wütenden – Bandkollegen und Fans suchen bis heute nach Spuren und Erklärungen in Curtis‘ Nachlass. Bernard Sumner sagt, dass Joy Division sich vor über dreißig Jahren keine Gedanken um Ian Curtis‘ Texte machten: „die Worte klangen einfach gut zur Musik“. Sumner, Peter Hook und Steven Morris waren damals Anfang 20, wollten das trübe Manchester hinter sich lassen und eine erfolgreiche Band werden. Mit ihrem distanzierten Post-Punk-Sound sollte ihnen das auch gelingen, Joy Division gelten bis heute als einflussreichste Band der frühen 1980er-Jahre. Nach Curtis‘ Suizid erscheinen Zeilen wie

Mother, I tried, please, believe me
I’m doing the best that I can
I’m ashamed of the things I’ve been put through
I’m ashamed of the person I am
(„Isolation“)

oder

My illusion
Worn like a mask of self-hate
Confronts and then dies
Don’t walk away
(„Atmosphere“)

in gruseliger Weise wie Hinweispfeile auf seinen Gemütszustand und die scheinbar unaufhaltbare Absicht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Curtis und Cobain sind wegen ihrer unmännlichen Männlichkeit zu Ikonen geworden, zu Ikonen des Underground und darüber hinaus. Ihr musikalisches Erbe ist überschaubar klein und unermesslich wertvoll. Deshalb erscheinen regelmäßig neue Publikationen über Curtis und Cobain, respektive Joy Division und Nirvana, die sich an diesen Phänomenen abarbeiten (beinahe selbstverständlich konnten beide Bands den Tod ihres wichtigsten Mannes nicht überleben und lösten sich auf bzw. formierten sich neu). Im Herbst 2011 wird der 20. Jahrestag des Erscheinens von Nirvanas erfolgreichstem Album „Nevermind“ begangen. Anlässlich dieses Jubiläums erscheint eine 2-CD-Deluxe-Edition mit dem Originalalbum und bisher unveröffentlichen Live- und Studioaufnahmen plus Singles-B-Seiten, was Jens Balzer in der Frankfurter Rundschau zu einem hämischen Bericht hinriss. Das Leichenfleddern der Plattenfirmen missbilligen wir selbstverständlich auch, nicht aber die Bedeutung von „Nevermind“ für das Jahr 1991, die Rockmusik und für unsere eigenen kleinen Biographien. Come As You Are.

Foto: Kevin Cummings

Von Joy Division existieren nur wenige Fotos, die meisten davon hat Kevin Cummins geschossen. Kürzlich veröffentlichte edel einen luxuriöser Bildband, der die Arbeit des New Musical Express-Hausfotografen mit der jungen Band aus Manchester dokumentiert – inklusive zahlreicher Memorabilia wie von Ian Curtis‘ verschickter Postkarten, eines Interviews mit Cummins und Bernard Sumner und eines Vorworts von Jay McInerney.

Christina Mohr

Kevin Cummins: Joy Division. edel. Gebunden. 208 Seiten. ISBN-13: 978-3841900371
Nirvana: Nevermind. Deluxe Edition. 2 CDs. Geffen (Universal).

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