Geschrieben am 22. Juni 2011 von für Musikmag

Mohr Music: Les Animaux

Gebt ihr Tiernamen!

Christina Mohr hat eine neue Möglichkeit entdeckt, wie man Platten sinnvoll sortieren kann, nämlich nach ihrem Tierbezug. Willkommen zu einer tierischen Ausgabe von Mohr Music.

Als ich noch eine junge Studentin mit kleinem Besitzstand war, stellte das Sortieren meiner Bücher und Platten kein Problem dar: die Bücher nach Farben (sehr dekorativ: Insel-Bände und Suhrkamp-Taschenbücher), die Platten und ersten CDs nach Eingangsdatum. Diese Simplizität war bald Geschichte, Bücher und Tonträger breiteten sich unaufhörlich in allen zur Verfügung stehenden Räumen aus, und würde ich ein Haus bauen wollen, könnte das Fundament aus ausgelesenen Büchern und ungehörten Mixtapes gelegt werden.

Aber zurück zum Ausgangsthema Sortierverfahren. Unzählige Möglichkeiten tun sich auf, von der alphabetischen über die biographische bis zur thematischen Ordnung, die ich am reizvollsten finde. Und durchaus anspruchsvoll: bei Büchern mag die Sachgruppensortierung ja noch funktionieren, bei Musikalben wird es schon schwieriger, es sei denn, man ordnet ganz platt nach Stilrichtungen (mit quasi inhärentem Thema). Nicht wirklich schwierig, höchstens ein wenig infantil mutet die Sortierung nach Tier-Vorkommen in Künstler- und Albumnamen an, weshalb ich sie sofort vorschlage. Hier eine aktuelle Auswahl an Musik mit Tierbezug:

Gus Gus: Arabian HorseGus Gus: Arabian Horse

Pferde tauchen in diversen Mythologien auf und bedeuten meist nichts Gutes, vor allem das weiße Pferd trägt häufig Gevatter Tod auf seinem Rücken oder verkörpert ihn gleich selbst. Im moderneren amerikanischen Slang steht „Horse“ oder „White Horse“ für Heroin und wenn Sarah Palmer in David Lynchs Serie „Twin Peaks“ ein weißes Pferd im Wohnzimmer erscheint, ermordet ihr Gatte Leland währenddessen junge Frauen. Auch edle Araberpferde schleppen die morbide Hypothek mit sich herum – ob sich die isländische Band Gus Gus über all diese Implikationen Gedanken gemacht hat oder einfach nur ein schönes Tier auf dem Cover ihres neuen Albums haben wollte, lassen wir hier als offene Frage stehen. „Arabian Horse“ jedenfalls klingt gar nicht todessehnsüchtig, ganz im Gegenteil. Gus Gus haben sich mit ihrem ehemaligen Sänger Earth wiedervereint, „Arabian Horse“ kann also als Neubeginn oder Rückbesinnung auf frühere Zeiten verstanden werden.

In ihrer nunmehr sechzehn Jahre andauernden Karriere haben Gus Gus ihre musikalische Ausrichtung und ihre personelle Zusammensetzung schon oft geändert, auch Emiliana Torrini gehörte mal zu dem umtriebigen Projekt, das Techno, Ambient, Jazz, Downbeat und Soul zu tanzbaren Clubtracks verquirlt. „Arabian Horse“ erinnert teilweise an die frühen 1990er-Jahre, als Rave, House und Trip-Hop angesagt waren, die Dancemusic eine spirituelle Richtung einschlug. Besonders „Magnified Love“ und „Deep Inside“ sind so sphärisch wie ekstatisch, man sieht Neonstäbe vor sich, wie sie dicke Trockeneisnebelschwaden zerteilen. Gus Gus pumpen aber auch gerne straighte Technobeats und garnieren sie mit Soul- und Balkanmelodien, für die sie sogar echte Gypsy-Musiker ins Studio holten. Nach einer etwas inspirationsarmen Epoche scheinen Gus Gus den Spaß am Spielen und Ausprobieren wieder gefunden zu haben – und funktionieren ohne weiteres das weiße Pferd zum positiven Symbol um.

Gus Gus: Arabian Horse. Kompakt. Die Website der Band. Gus Gus bei Facebook und auf Myspace. Weitere Infos gibt es bei Kompakt.

HeadCat: Walk the Walk... Talk the TalkHeadCat: Walk the Walk… Talk the Talk

Head Cat oder auch The Head Cat bestehen seit elf Jahren und sind eigentlich ein feuchter Rock’n’Roll-Traum: Lemmy von Motörhead, Slim Jim Phantom (Stray Cats) und Rockabilly-Legende Danny B. Harvey (The Rockats) gründen eine Band, nachdem sie Stücke für ein Elvis-Tribute-Album aufgenommen haben. Fortan finden sie in unregelmäßigen Abständen zusammen, um ein bisschen katzengeilen Krach zu machen. Eigentlich toll. Könnten Head Cat jedenfalls sein. Das neue Album „Walk the Walk… Talk the Talk“ klingt allerdings ziemlich betulich, trotz aller Beschwörungen des wilden, echten, authentischen Rock’n’Roll. Die Platte wirkt, als hätten sich drei ältere Herren im Hobbykeller getroffen, um ein paar Songs zu spielen, was aber nicht zu laut werden durfte, damit sich weder Ehefrauen noch Nachbarn beschweren. Wahrscheinlich war es genau so.

Auf „Walk the Walk…“ befinden sich eine Eigenkomposition („The Eagle Flies On Friday“) und elf Coverversionen, darunter „Shakin‘ All Over“ und die zugegeben wirklich wilde Eddie Cochran-Nummer „Something Else“. Manche Auswahl überrascht, „You Can´t Do That“ von Lennon/McCartney oder die Johnny Meeks-Komposition „Say Mama“ hätte man wohl nicht auf einem Album erwartet, auf dem Lemmy Kilmister mitmischt. Bis auf wenige rüpelhafte Ausbrüche boogierockt das Album bierbäuchig vor sich hin, tut keinem weh und wird vielen älteren Herren (die mit den Hobbykellern, siehe oben) bestens gefallen. Man kann Künstlern ja nicht vorschreiben, was sie zu tun haben oder wie ihre Musik klingen sollte, aber die Rezensentin erlaubt sich trotzdem feuchte Rock’n’Roll-Träume: wie klänge wohl der „Stray Cat Strut“, wenn Lemmy den Text ins Mikro rotzen würde? Oder „Ace Of Spades“ im Rockabilly-Gewand? Das wär‘ doch mal einen Abend im Hobbykeller wert!

Headcat: Walk The Walk… Talk The Talk. Niji Entertainment. Die Musiker auf Myspace sowie deren Homepage.

Various: Everybody Wants To Be A CatVarious: Everybody Wants To Be A Cat

Von den Rock’n’Roll-Cats zu Walt Disneys Tierfiguren ist es dank unserer animalischen Ordnung nur ein, haha, Katzensprung: „Everybody Wants To Be A Cat“ ist eine Sammlung zeitgenössischer Jazz-Interpretationen von Disney-Filmmusikklassikern wie z. B. „Chim Chim Cher-ee“ aus „Mary Poppins“, „Alice In Wonderland“ (hier von Dave Brubeck) oder „You´ve Got A Friend In Me“(von Randy Newman für „Toy Story“ geschrieben, hier von Joshua Redman). Die Arrangements sind größtenteils recht glatt und familienfreundlich, einzig die latino-artige Session, die Alfredo Rodriguez aus dem gemütlichen „The Bare Necessities“ („Jungle Book“) macht, fällt aus dem Rahmen. Die Musikauswahl reicht von frühen Disney-Filmen wie „Snow White and the Seven Dwarfs“ von 1937 bis zu aktuellen Blockbustern wie „The Lion King“. Und klar, der Titeltrack „Ev’rybody Wants To Be A Cat“ stammt natürlich aus „Aristocats“ und wird von Roy Hargrove auf dem Sampler ziemlich gesoftet.

Various: Disney Jazz – Everybody Wants to be a Cat. Disney.

Ada: Meine zarten PfotenAda: Meine zarten Pfoten

Wer sein Album „Meine zarten Pfoten“ nennt und das Cover mit einem gemalten Esel ziert, ist entweder im Kindermusik-Sektor aktiv, oder hat – wenn das nicht der Fall ist – wirklich überhaupt keine Angst davor, seltsam rüberzukommen. Bei der Elektromusikerin Michaela Dippel alias Ada kann man davon ausgehen, dass sie sich vor nichts fürchtet. Vor sieben Jahren veröffentlichte die Kölnerin das viel beachtete Album „Blondie“, einen Techno-Pop-Hybriden, der 4/4-Takt-Puristen verstörte und offenere Menschen begeisterte.

Mit „Meine zarten Pfoten“ entfernt sich Ada noch weiter vom Strictly-Dancefloor-Gewerbe: viele Instrumente sind hinzugekommen und sanfte Stimmungen. Fluffige Bässe und sensible E-Gitarren, Glöckchen und Flöten. Der Computer ist noch sehr wichtig, aber nicht mehr ausschließlich. Ada covert Luscious Jackson („Faith“) und klingt wie St. Etienne und Stereolab. Sanft, verträumt, leicht – wie hinskizziert. Vögel zwitschern, Sonnenstrahlen breiten sich aus und erwärmen die Luft. Und hey, hier und dort klickern und klackern die Geräte ganz aufrührerisch, als wollten sie daran erinnern, dass das Herumspazieren in der Natur ja schön und gut ist, aber man solle doch bitte den guten alten Club nicht vergessen – nein, nein, tun wir nicht. Aber wir müssen erst noch ein bisschen auf zarten Pfoten durch den Park stromern, ganz zwanglos und entspannt. Den Cover-Esel soll übrigens DJ Koze gemalt haben!

Ada: Meine zarten Pfoten. Pampa (Rough Trade). Die Künstlerin bei Facebook und auf Myspace.

Patrick Wolf: LupercaliaPatrick Wolf: Lupercalia

Patrick Wolf ist schon qua Nachname dem Tierreich verbunden und nutzt die Symbolträchtigkeit seines Namens ausgiebig: sein erstes Album hieß „Lycanthropy“ (= Transformation Mensch in Wolf), in seinen Texten und Videos tauchen häufig Wölfe und Greifvögel auf. Auch seine neue Platte steht im Zeichen des Wolfes: Lupercalien nannte man die Frühlings- und Fruchtbarkeitsfeste, die im altertümlichen Rom zu Ehren des Gottes Faunus, der den Beinamen Lupercus („Wolfsabwehrer“) trug, gefeiert wurden. Wolfs „Lupercalia“ indes ist weniger bacchantisch als ungewöhnlich harmlos geraten und lässt den genialischen Wahnsinn von „The Bachelor“ und „Lycanthropy“ schmerzlich vermissen.

Keine Frage: Wolf, das multiinstrumentale ewige Pop-Wunderkind, ist noch immer ein fantastisch überkandidelter Komponist, Texter und Sänger, vergleichbar nur mit The Divine Comedy und Björk, könnten diese eine Personalunion eingehen. Allein, der Funke zündet nicht auf „Lupercalia“. Was möglicherweise daran liegt, dass Patrick Wolf verliebt ist und alle Welt daran teilhaben lassen will – und damit unfreiwillig das Klischee belegt, dass nur Unglück große Kunst hervorbringt. „The Days“, der beschwingte, bläserverzierte Opener „The City“ oder das hymnische „Time Of My Life“ sind Wolf-würdig bombastisch instrumentiert und verschenken ihre Gaben mit vollen Händen.

Die meisten anderen Stücke sind Kunstballaden, in denen das Thema Liebe elaboriert behandelt wird, mehr aber (leider) auch nicht, und manchmal sogar ziemlich klebrig: „This is the greatest peace I´ve ever known / Only your love makes house a home“ („House“)…. puhhh! Natürlich wünschen wir Patrick Wolf kein Pech in der Liebe, aber er sollte mal wieder mit Wolf und Greif ins Gebirg‘ ziehen und Lupercalien feiern.

Patrick Wolf: Lupercalia. Mercury (Universal). Die Website von Patrick Wolf. Der Künstler auf Myspace sowie bei Facebook.

Christina Mohr