Geschrieben am 29. Februar 2012 von für Musikmag

Mohr Music: Duos

Christina Mohr schaut in ihrer Duo-Rubrik heute etwas genauer hin und findet, dass Zweierkisten nicht immer das Gelbe vom Ei sind, manchmal aber eben doch fruchtbar, und – hach, es wird Frühling!

Jaja, der Frühling kommt, langsam aber sicher. Die Vöglein stehen früher auf und zwitschern, was das Zeug hält; die Eisdiele hat seit Wochen wieder geöffnet, in den Schaufenstern dominieren Farben wie Apricot, Pink und Hellblau. Was auch bedeutet: es ist Flirtsaison, neue Pärchen finden sich, alte finden wieder zueinander, schlendern wie einst im Märzen der Bauer händchenhaltend durch die Fußgängerzonen. Aber wartet nur ab, bis in ein paar Wochen Christiane Rösingers neues Buch erscheint, „Liebe wird oft überbewertet“ wird es heißen und euch die Osterhasenohren gehörig langziehen.

Rösingers harsches und unerbittliches Infragestellen der Romantischen Zweierbeziehung („RZB“) mag dazu beigetragen haben, dass Frau Mohr in ihrer aktuellen Duo-Kolumne diesmal etwas genauer hinschaut und nicht mehr vorbehaltlos toll findet, was von zwei Menschen allein gemacht wird. Manchmal braucht man eben doch ein paar kreative Freunde und manchmal ist es vielleicht sogar besser, man zieht sich gänzlich ins Private zurück, bevor man die Welt weiterhin mit seinen halbgaren Erzeugnissen belästigt. Manchmal aber ist die Zweierkiste aber doch durchaus fruchtbar (im übertragenen Sinn natürlich) und bringt Erquickliches hervor, aber nun genug der Vorrede, los geht’s:

Kraków Loves Adana: InterviewIntensiv und leidenschaftlich

Ist es doof zu schreiben, dass sich das Album „Interview“ gar nicht so anhört, als stamme es von einer deutschen Band? Genau dieser Gedanke aber kam der Rezensentin gleich nach den ersten Minuten, die sie dem Freiburger Duo Kraków Loves Adana lauschte. Sängerin und Gitarristin Deniz Cicek und Robert Heitmann (alle anderen anfallenden Instrumente) hatten sich nach ihrem Erstling „Beauty“ bewusst zurückgezogen, um sich von äußeren Erwartungen und Anforderungen zu befreien, quasi ein „Interview“ mit sich selbst zu machen – dementsprechend intim klingt die Platte, aber keineswegs einsiedlerisch.

Kraków Loves Adana sind offen für verschiedenste Einflüsse, die von Cat Power über New Order, Blackmail, Get Well Soon bis PJ Harvey reichen. Aber die beiden drehen ihr eigenes Ding, was vor allem an Deniz’ wirklich fantastischer, dunkelrauchiger Stimme liegt, die den Songs eine Portion Schwermut und Traurigkeit mitgibt, auch tanzbaren wie „For Those Who Think Young“ oder „Monsters Hide In The Dark“. Am stärksten aber sind Cicek und Heitmann, wenn sie sich in düster-melancholischen, kammerspielartigen Indie-Folk-Blues versenken und Stücke wie der Opener „Avantgarde“, „On/Off“ und das rohe, gitarrenlastige „Montmartre“ dabei herauskommen. Kraków Loves Adana sind so intensiv und leidenschaftlich wie The Kills oder Blood Red Shoes, ohne deren rüde Rockattitüde, dafür mit abwechslungsreichen Arrangements – Cicek und Heitmann sind ein positives Beispiel dafür, dass es für tolle Musik manchmal wirklich nicht mehr als zwei Leute braucht.

Kraków Loves Adana: Interview. Clouds Hill (Rough Trade).

The Ting Tings: Sounds From Nowheresville Zeit für Pärchenurlaub

Vor vier Jahren sorgten die britischen Ting Tings für gewaltigen Wirbel: ihr in DIY-Manier aufgenommenes Debütalbum “We Started Nothing” mit Hits wie “That´s Not My Name” und “Great DJ” ging derart durch die Decke, dass sich Katie White und Jules De Martino plötzlich als Fashion Week-Gaststars und Werbesonglieferanten wiederfanden. Chart-Topplatzierungen, Welttournee und Millionenverkäufe muss man erstmal verdauen. Das zweite Album gestaltete sich jedoch schwierig, die Aufnahmen verliefen zäh, White und De Martino emigrierten verunsichert nach Südspanien. Dort fand man wieder zu sich selbst, aber die Inspiration hatte deutlich gelitten: wo “We Started Nothing” nassforsch, energiegeladen und voller (geklauter, aber trotzdem guter) Ideen steckte, dümpelt “Sounds From Nowheresville” seltsam kraftlos und unentschlossen herum.

Katies Stimme ist nicht mehr Riot-Spice, sondern Vorstadt-Karaoke ohne Biss. Und die Songs? Ein halbherziges “Potpourri”, ein “bunter Reigen” aus altgedienten Indiepop-Versatzstücken, von schlappem Reggae (“Soul Killing”) über kitschige Formatradio-Anbiedereien (“Day To Day”) zu schmerzhaft altmodischem Crossover aus Gitarrenrock und HipHop (“Guggenheim”, “Hang It Up”), bei dem die Ting Tings ungefähr so street und cool rüberkommen wie Whale anno 1993 mit “Hobo Humpin‘ Slobo Babe”. Die beiden ersten Stücke “Silence” und “Hit Me Down Sonny” sollen einstige Power beschwören, die trotz funky beats aber nicht erscheinen will. Unser Tipp an The Ting Tings: nochmal einen langen Pärchenurlaub in Südspanien oder sonstwo (Nowheresville vielleicht) einlegen und dort überlegen, ob man das mit der Musik wirklich weitermachen will.

The Ting Tings: Sounds From Nowhereville. Sony Music. Zur Homepage.

Phantogram: Nightlife Weltreise, dann Kind

Auch Josh Carter und Sarah D. Bartel alias Phantogram wurden von ihrem Erfolg schier überrumpelt: das Duo aus Saratoga begeisterte mit dem Debüt „Eyelid Movies“ in 2009 Fans und Musikerkollegen mit einem schlüssigen Mix aus LoFi-Folk und HipHop-Beats, Konzerte mit The XX oder den Antlers festigten Reputation und Bekanntheitsgrad. Kein Wunder eigentlich, dass Phantogram für ein „ganzes“ Album keine Zeit haben – bzw. sich nicht wie The Ting Tings dem Druck aussetzen, unbedingt mindestens zehn neue Songs herauszupressen, komme was da wolle. Bartel und Carter gehen besonnener vor und geben das heraus, was sie wirklich für gelungen halten und das sind zum jetzigen Zeitpunkt eben nur sechs Tracks, die inklusive Radio Edit der Single „Don´t Move“ auf der EP „Nightlife“ landeten.

„Nightlife“ präsentiert ein selbstbewusstes Musikerpaar, das auf „Eyelid Movies“ noch wesentlich schüchterner klang, wenn man die eigene Stärke auch durchaus spürte. Der Opener „16 Years“ verfängt wie „Don´t Move“ sofort – Folk und HipHop, Stadt und Land, Straße und Feldweg sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen, ergänzen sich, bedingen einander. Die Paarberatung empfiehlt: jetzt nichts überstürzen, lieber Zeit lassen und überhaupt lieber noch eine gute EP wie „Nightlife“ statt des nächsten großen Albums. Übersetzt ins „normale“ Beziehungsleben hieße das: macht erstmal die Weltreise, dann das Kind.

Phantogram: Nightlife. Barsuk. Phantogram bei MySpace.

Boy Friend: Egyptian Wrinkle Mehr Rage, Baby!

Allllllsoooo: eigentlich (also wenn man schon mit “eigentlich” anfängt, stimmt was nicht) müsste man bei Boy Friend alles gut finden. Christa Palazzolo und Sarah Brown aus Austin, Texas, seit fünfzehn Jahren dicke Freundinnen, aus ihrer ersten gemeinsamen Band Sleep Over entstand im letzten Jahr Boy Friend, das einzige Girl/Girl-Duo dieser Kolumne – eigentlich alles prima. Und auch Boy Friends Musik: zarter, atmosphärisch-berückender, fragiler Post-Shoe-Gaze mit Engelsstimmen, Hall und Zwielicht, so schwerelos schwebend, dass die meisten MitbewerberInnen neben Palazzolo und Brown wie trampelige Elefantinnen erscheinen – eigentlich tadellos.

Und doch: trotz schöner Songs wie “Lazy Hunter” und “Egyptian Wrinkle” verlässt zumindest mich exakt nach diesen beiden Stücken die Geduld. Der Weg vom Einlullen zum Lullaby, vom Verzaubern zum Einschläfern ist bei Boy Friend ziemlich kurz, denn möglicherweise haben Christa und Sarah ihre besten Ideen schon bei Sleep Over verpulvert. “Egyptian Wrinkle” stagniert zehn Tracks lang wie eine Staubfluse im flirrenden Gegenlicht eines trägen Sonntagnachmittags – ab und zu schwebt eine Variation in Gestalt sakral anmutender Chorgesang vorbei, der von dumpfen, verhaltenen Beats abgelöst wird (“Breathe”), das war´s aber auch schon. Das kann man gut finden – schließlich steht nirgendwo geschrieben, dass ein Album zehn verschiedene Songs enthalten muss -, sollte dann aber seinen grünen Tee mindestens eine Viertelstunde lang ziehen lassen, damit wenigstens von innen etwas Spannung ins Geschehen kommt. Frau Mohrs Rat an Palazzolo und Brown: sucht euch total langweilige Boyfriends, die euch so sehr in Rage bringen, bis ihr Zuflucht in Lydia Lunch-Platten sucht.

Boy Friend: Egyptian Wrinkle. Hell, Yes! Die Band bei Facebook und Tumblr.

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