Geschrieben am 23. Februar 2011 von für Musikmag

Mohr Music: Duo Spezial – Interview

Danielle de Picciotto/Alexander Hacke: Hitman's HeelSpaß und Romantik

– Ein Interview mit dem Duo Danielle de Picciotto und Alexander Hacke von Christina Mohr.

Die in den USA geborene Künstlerin Danielle de Picciotto und Einstürzende Neubauten-Bassist Alexander Hacke sind schon einzeln betrachtet in puncto Arbeitspensum und Kreativität schwer zu übertreffen. Hacke fungierte zum Beispiel als Fremdenführer und Hauptfigur in Fatih Akins Film über Istanbul, „Crossing the Bridge“, er komponiert Filmmusik, produziert verschiedene Künstler und veröffentlicht Soloplatten wie zuletzt die EP „Doomed“ (2009). Seine Gattin Danielle de Picciotto spielte einst in der Band Space Cowboys, begründete die „Love Parade“ mit, ist Teil von Gudrun Guts „Ocean Club“ und ist vor allem eine renommierte Malerin und Zeichnerin, die weltweit ausstellt und deren Werke unter anderem vom Auswärtigen Amt Deutschlands gekauft wurden. Gemeinsam haben de Picciotto/Hacke schon Sebastian Brants berühmtes Werk „Narrenschiff“ (1492) vertont und mit Aufsehen erregenden Visuals auf die Bühne gebracht. Gerade erschienen ist das gemeinsame Album „Hitman’s Heel“, das so anachronistisch wie in sich stimmig ist: Als hätten de Picciotto und Hacke überhaupt nichts mit Berlin oder irgendeiner anderen Großstadt zu tun, tauchen vor dem geistigen Auge Bilder von staubigen Landstraßen im Süden der USA auf, Wüsten, Saloons, Typen wie aus David Lynchs Film „Wild At Heart“ und Gemälde von Frida Kahlo. Und das alles in völlig analogem Klanggewand: Gesang, Gitarre, Keyboards, Schlagzeug, Autoharp. Kein Sound of Berlin, nirgends. Oder doch? Christina Mohr befragte das umtriebige Künstlerpaar zum Album, der Arbeit zu zweit und zum Unterwegssein…

CM: Ihr seid beide Berliner/Großstädter: wieso ist „Hitman’s Heel“ eine so offensichtliche Abkehr vom Urbanismus, ein bewusst „unmodisches“ Western-Roadmovie-Frida-Kahlo-inspiriertes Werk geworden?

Danielle: Bei „Hitman’s Heel“ geht es ums Reisen, die Bewegung. Das Album repräsentiert den Zustand, den wir seit einigen Jahren leben – die Tournee. Große Reisen finden meistens in einem neutralen Raum statt – in der Luft, im Zug, auf der Autobahn, im Bus. Auf langen Reisen geht es nicht um Mode oder Szene, sondern um praktische Notwendigkeiten – in welchen Schuhen pfeift das Sicherheitsgerät am Flughafen nicht, und in welchem Rock kann ich einen Reifen wechseln? Welche Kosmetik kann ich ins Flugzeug nehmen, welches Buch wiegt am wenigsten und was muss ich in meiner Handtasche auf alle Fälle dabei haben falls mein Koffer nicht ankommt – Pass, Kontaktlinsen und Kreditkarten oder mehr? Die Herausforderung liegt darin, wie man bei ständig wechselnden Zeitzonen, Jetlag und Junkfood trotzdem Spaß haben kann und es zu einem spannenden Abenteuer macht und das Ganze nicht nur ein nerviges, rastloses Sich-durchschlagen ist… Romantik spielt dabei eine große Rolle, Wärme, Freundschaft, Schulterschluss. Ohne Unterstützung können fremde Sprachen, Währungen oder verlorene Hotelschlüssel lebensbedrohlich werden. Szene-, kontinente- und jahrzehnteübergreifende Freundschaften und Inspirationen bleiben übrig – sie überleben. Sie werden das „Zuhause“, das man in seinem Herzen mitträgt, um „Verlorensein“ zu verhindern.

Frida Kahlo war eine Künstlerin, die trotz großer Schicksalsschläge ihr Leben und ihre Welt in ein faszinierendes Universum verwandelte – eine immer währende, zeitlose Inspiration. Und der Wilde Westen lebt mit all seiner Mystik und Herausforderung überall dort weiter, wo Grenzen erweitert und neu überprüft werden…

Alexander: Wir wollten mal wieder etwas machen, bei dem wir uns einzig und allein auf unsere Fingerfertigkeit und intellektuellen Fähigkeiten verlassen, und eben in diesem Sinne kommen die modernen technischen Hilfsmittel, die der Großstädter so zum Überleben braucht, nicht wirklich auf der Platte vor. Es gibt keine Samples, Beats, Loops und vor allem keine Apps. Im Zweifelsfall brauchen wir nicht mal Strom, um die Stücke zu spielen, obwohl ich elektrisch verstärkte Musik der rein akustischen in unserer Arbeit doch vorziehe, denn allein die Möglichkeit von Lautstärke ist eine beruhigende Voraussetzung für mich. Im Großen und Ganzen steht und fällt das Projekt zur Abwechslung eben mit uns und nicht mit Apple MacIntosh.

CM: Ihr führt derzeit ein nomadisches Leben – wie muss man sich das vorstellen? Und warum habt ihr euch von Berlin verabschiedet?

Alexander: Ich bin vor über 40 Jahren in Berlin geboren, dort aufgewachsen und habe, natürlich abgesehen von permanenten Touren und ein paar Jahren in Hamburg in den Achtzigern immer da gelebt. Nun, die Stadt hat sich extrem verändert in der Zwischenzeit, ich mich auch. In jedem Fall hat mich Berlin geprägt und auch ich bilde mir ein, dort nicht ohne Auswirkungen gearbeitet zu haben, aber auf immer und ewig nur mit diesem einen Ort assoziiert zu werden und mich exklusiv darauf beschränken zu müssen, reicht mir nicht aus. Meine Entwicklung braucht mehr Platz und ist mir auch wichtiger als geografische Details.

Danielle: Unsere Aufträge haben sich in den letzten Jahren dahin verschoben, dass wir so gut wie alle zwei Monate irgendwo anderes hinbestellt werden, um entweder aufzutreten, auszustellen oder etwas zu erarbeiten. In Berlin initiieren wir seit Jahren Projekte, ohne dabei wirklich Geld zu verdienen. Bei den allgemein steigenden Kosten können wir uns das nicht mehr erlauben.

CM: Worauf (welches Ding, Tier, Instrument, Kleidungsstück) könnt ihr beim Unterwegsein auf keinen Fall verzichten und warum?

Alexander: Ich zitiere die Stranglers: „Home is a black leather jacket sweetly fitting to my brain.“ Also, ich habe keinen Führerschein und kein Auto, das heißt dass ich die Annehmlichkeiten eines Wagens am Körper tragen muss: Gutes Schuhwerk, Gürtel, Kopfbedeckung, (Sonnen-)Brille und besagte Lederjacke sind unerlässlich. Zwar ist die Domestizierung des Wolfes meiner Meinung nach eine der größten Errungenschaften des Menschen, aber leider verbietet unser Lebensstil, einen Hund zu halten, obwohl wir das gerne täten.

Danielle: Sobald Spaß und Romantik wegfallen geht gar nichts mehr.

CM: Welche Musik habt ihr während der Aufnahmen zu „Hitman’s Heel“ gehört, was hat euch beeinflusst?

Danielle: Bob Dylan, die neue Massive Attack, Calexico.

Alexander: … auch Gillian Welch, altes Rockabilly-Zeug wie Link Wray und Filmmusiken. Aber wenn ich meine Steuern machen muss, kann ich eigentlich nur Cannibal Corpse oder Sick Of It All hören.

CM: Der für euch wichtigste Track auf „Hitman’s Heel“ und warum?

Alexander: Der Text „Flowers“, den ich für Danielle geschrieben habe, soll mich daran erinnern, immer für frische Blumen für sie zu sorgen, und wenn wir auf der Bühne „Even Further“ spielen, freut es mich zu sehen, wie viel Spaß sie dabei hat.

Danielle: Es gibt für mich keinen wichtigsten Track – jeder einzelne spricht über ein mir wichtiges Thema. Den Titeltrack „Hitman’s Heel“ liebe ich aber besonders, da es das totale Liebeslied ist. Ich habe es für Alex geschrieben mit ihm in meinem Kopf und er singt es mir jeden Tag zu.

CM: Ihr arbeitet sehr häufig mit anderen Künstlerinnen zusammen – weil ihr so nett seid oder woran liegt das?

Danielle: Es gibt besonders viele besonders tolle Künstlerinnen!

CM: Sind Hacke & Picciotto bzw. Hitman’s Heel ein offizielles Duo oder sind eure Zusammenarbeiten (wie auch z. B. zu „Ship of Fools“) als einzelne/abgeschlossene Projekte zu betrachten?

Danielle: Wir machen immer nur das, was gerade für uns persönlich angesagt ist – wir erlauben uns diese Ausschließlichkeit, da wir als selbstständige Undergroundkünstler, die auf keine Trends oder verkaufsorientierte Werbemaßnahmen achten, kein Sicherheitsnetz haben, auf das wir zurück fallen können. Es ist ja schließlich besser, am Ende das zu bereuen was man gemacht hat, als das zu bereuen, was man nicht gemacht hat! Von daher können wir noch nicht wissen, ob Hitman’s Heel ein zeitlich begrenztes Projekt ist oder ein offizieller Bandname.

Alexander: Hacke und de Picciotto sind auf alle Fälle ein offizielles Duo, wir sind ja schließlich verheiratet und „Hitman’s Heel“ ist die englische Übersetzung unserer italienischen bzw. deutschen Familiennamen.

CM: Vor- und Nachteile der Duo-Arbeit?

Alexander: Der Vorteil ist, dass man nicht allein ist mit den tausend Entscheidungen und der ganzen Verantwortung, sondern im Gegenteil ein Gegenüber hat, dem man bedingungslos vertrauen kann. Ich bin einer der wenigen Menschen, die ich kenne, der das von sich behaupten kann, das macht mich sehr glücklich. Der Nachteil ist, dass diese Konstellation von der Außenwelt nicht immer angemessen zur Kenntnis genommen wird und dass manchmal sogar äußerst respektlos versucht wird, uns zu spalten, das kann sehr anstrengend sein.

Danielle: Vorteil: es ist ein wunderbares Ping-Pong-Spiel, bei dem man sich ununterbrochen inspirieren kann. Nachteil: als Künstlerin wird man oft als Anhängsel betrachtet.

CM: Eure jeweiligen künstlerischen Biographien sind sehr eindrucksvoll: ist es gerade für Alexander mit den Einstürzenden Neubauten im Hintergrund manchmal hinderlich, als autonomer Künstler gesehen zu werden?

Alexander: Ich möchte an meiner Arbeit gemessen werden – alleine, mit Danielle oder in anderen Zusammenhängen, und ich arbeite die ganze Zeit, ohne Unterbrechung, also ist die Chance, dass das auch wahrgenommen wird, verhältnismäßig groß.

CM: Geht ihr mit „Hitman’s Heel“ auf Tour und gibt es Pläne für danach?

Danielle: Wir werden im März auf Tournee gehen. Sie heißt „The Burn Baby Burn Tour“ und es ist ein wunderschönes Gesamtpaket von unterschiedlichen Bands. Nachdem wir seit acht Jahren alleine als Duo reisen, hatten wir mal wieder Lust, den Tourbus mit anderen Musikern zu teilen. Khan, Chris Hughes, Kid Congo und Julee Cruise werden dabei sein. Eine USA-Tournee für den Herbst ist in Arbeit. Außerdem werden wir eine Lesetournee im Mai machen – zu meinen Berlin- Memoiren, die im Gestalten Verlag im April 2011 herauskommen werden.

Alexander: Ich sehe… ein zweites Album in 2012?

Das Interview führte Christina Mohr.

Danielle de Picciotto & Alexander Hacke: Hitman’s Heel. Potomak (Indigo).
Die Homepage zu Hitman’s Heel sowie die von Danielle de Picciotto und Alexander Hacke.
Hitman’s Heel, Danielle de Picciotto und Alexander Hacke auf Myspace.

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