Geschrieben am 5. März 2014 von für Musikmag

Mohr Music – Das WWW-Projekt: We Are Scientists, The Woodentops, Wild Beasts

Manche Leute essen an geraden Tagen keine weißen Lebensmittel, andere tragen freitags ausschließlich grüne Klamotten – ich habe am vergangenen Wochenende nur neue Platten von Bands gehört, deren Namen mit einem „W“ beginnt. Ein www-weekend also, haha.

woodentopsThe Woodentops

Womit ging´s denn los? Ah richtig, mit The Woodentops: nur wenige Bands sind mit einer bestimmten Phase meiner Adoleszenz so eng verbunden wie sie. Die Londoner Band um das quecksilbrige Mastermind Rolo McGinty (Ex-Wild Swans und The Jazz Butcher) bereitete mich und meine Clique aufs Abitur vor und untermalte den Umzug ins Studentenwohnheim; auf den B-Seiten der Cassetten befanden sich z.B. Phillip Boa & The Voodoo Club, The Cure, The Housemartins und die Pixies und liefen im ersten eigenen oder geliehenen Auto in Dauerschleife.

The Woodentops spielten meine/unsere Aufbruchsmusik, wild, übermütig, voller Erwartungen. Wer das Album „Giant“ nicht mochte oder zu „(Love Affair With) Everyday Living“ nicht tanzte, war irgendwie suspekt.

The Woodentops waren außerdem sowas wie eine Konsensband; Morrissey war Fan, man nannte sie mit britischen Indie-Ikonen wie Prefab Sprout und Aztec Camera in einem Atemzug, sogar einige kleine Charterfolge waren ihnen vergönnt. Dass sie nie so richtig berühmt und bedeutend wurden, mag verschiedene Gründe haben, beispielsweise erschienen The Woodentops erst auf der Bildfläche, als die absolute Hochphase des britischen Gitarrenwave bereits abgeebbt war. Und trotz ihres Faibles für Funk- und Discobeats passten sie in den Hacienda-Rave auch nicht hinein. Das Ende der Woodentops in den frühen 1990ern war absehbar. Und wie es so ist im Leben, ich hatte sie kaum vermisst – für ganz arge nostalgische Anwandlungen hatte ich ja die alten Platten (nicht nur die Cassetten!) zuhause.

Und doch wurde ich ein bisschen hibbelig und kribbelig, als Cherry Red Records ein neues Album der Woodentops announcten, so hibbelig und kribbelig, wie Rolo früher klang. 25 Jahre hatte die Band pausiert, zumindest keine neue Platte herausgebracht (seit 2006 traten die Woodentops mit verändertem Line-up wieder live auf) – eine Ewigkeit im Popgeschäft, allerdings auch nicht soooo selten, siehe My Bloody Valentine.

Das Fazit vorweg: „Granular Tales“ ist ein gutes Album. Keine Spur peinlich oder bemüht, keine penetrant herausgestellte Jugendlichkeit. Und nun ein paar Einschränkungen: The Woodentops 2014 sind nicht The Woodentops anno 1986, und zwar nicht nur, weil es ein paar Umbesetzungen gab. Der flirrende, fiebrige, lodernde Funkbeat der frühen Tage ist domestiziert, ein bisschen behäbiger geworden; und ganz klare Hits wie „Move Me“ oder „Good Thing“ springen auch nicht sofort hervor. Trotzdem ist „Granular Tales“ kein lahmes Alterswerk, eher ein verzögertes Anknüpfen an die Vergangenheit.

Die Grundelemente sind dieselben geblieben: treibende, mitreißende, funky Indiepop-Hymnen wie „Third Floor Rooftop High“, das man sich wie „Stay Out Of The Light“ live als endlose crazy Jam-Session vorstellen kann, mit Bassist Frank de Freitas und Rolo McGinty als ehrenvoll ergraute, aber immer noch hungrige Bühnenjunkies. Oder die Verschnaufpausen in Gestalt nachdenklicher Balladen wie „A Little More Time“, mit dem das Album interessanterweise anfängt. Oder der dunkle verschachtelte Reggae-Groove in „Conversations“ und die Latin-Elemente in „Every Step Of The Way“ – wie früher haben The Woodentops keinen roten Faden, sondern viele bunte Facetten. Die Farbtöne sind ein bisschen dunkler, können aber immer noch funkeln und leuchten.

wearescientistsWe Are Scientists

Nach dieser erfreulichen Überraschung hatte ich dank „T.V. En Francais“ von We Are Scientists einen echten Downer – wobei das fünfte Album des New Yorker Trios vielleicht gar nicht so richtig schlecht ist, es ist (mir) nur so furchtbar egal. Seit mehr als zehn Jahren rumpeln die drei Buddys in der gleichen Fahrspur wie Kaiser Chiefs, The Wombats oder Maximo Park herum, haben zweifelsohne Humor (Selbstbeschreibung auf ihrer Facebook-Seite: „They´re a three piece, like Sting´s old band, Green Day“) und man würde gern mal mit Keith Murray und Chris Cain ein paar Folgen Sponge Bob gucken oder an der Hotelbar Cocktails nehmen und Witze über die Handelsreisenden reißen – aber bitte keine „neuen“ Songs von ihnen hören oder ein Konzert besuchen.

Aber das muss man ja auch gar nicht, denn „T.V. En Francais“ klingt genau wie „With Love And Squalor“ oder „Brain Thrust Mastery“ und man muss keinesfalls unüberlegte Ausgaben tätigen. Um ihre Fans nicht zu verschrecken oder zu überfordern, haben We Are Scientists an ihrem eingeführten Sound – Losgeh-Indie-Rock mit an Spaß-Glam à la Slade abgeguckten Mitsingchören – nichts, aber auch gar nichts verändert. Der Opener „What Do You Best“ verbreitet zunächst noch etwas Hoffnung, die sich aber spätestens im zweiten Song „Dumb Luck“ in Luft bzw. GUTER LAUNE auflöst.

We Are Scientists, bitte zurück ins Labor (schlappe Platten provozieren müde Witze, tut mir Leid).

wildbeasts_presenttenseWild Beasts

Der buchstäbliche Höhepunkt kommt natürlich zum Schluss: mit dem neuen Album der Wild Beasts habe ich zunächst etwas gefremdelt. Im Gegensatz zu „Smother“ und vor allem „Two Dancers“ kam mir „Present Tense“ fast konventionell vor, ein Eindruck, der sich nach ein paar Hördurchgängen komplett änderte. Das vierte Album der englischen Band ist vordergründig gefällig (radiokompatible Songs in „ordentlicher“ Länge, kein unentschlossenes Changieren zwischen Zwei- und Zehnminütern), zeitgemäßes Producing von Leo Abrahams und Lexxx, ebenso zeitgemäßes Wildern im Fundus des Achtzigerjahre-Elektropop von Depeche Mode bis New Order, zeitgemäßes „Bauen“ von Tracks aus Bits und Pieces, Schnipseln und Fragmenten, keine Gitarren, ausschließlich Geräte. Der Titel „Present Tense“ als augenzwinkernde und gleichzeitig ernstgemeinte Bestandsaufnahme.

Und doch (und zum Glück): Wild Beasts sind so exaltiert und schwul wie eh und je. Die Single „Wanderlust“ wartet nicht nur mit einem stolperfallen-mäßigen Kubismus-Beat auf, sondern auch mit Textzeilen wie „Don´t confuse me with someone who gives a fuck“ – die Liebe, ganz ernsthaft und ohne ironische Theatralik wie auf dem Erstling „Limbo, Panto“ ist das zentrale Thema von „Present Tense“, Sex und Romantik, Verführung und Vertrauen, das ganze Programm. Ungefiltert, mal zum Tanzen, mal zum …

Und das Wechselspiel von Hayden Thorpes Kopfstimme und Tom Flemings Bariton ist sowieso nicht für den Mainstream geeignet – auf „Present Tense“ werden sich viele einigen, aber ganz bestimmt nur die Guten.

Christina Mohr

We Are Scientists: T.V. En Francais (100% Records/Rough Trade/Verstärker). Zur Homepage der Band.
The Woodentops: Granular Tales (Cherry Red). Zur Homepage der Band, Woodentops bei Facebook. Ein Video finden Sie hier.
Wild Beasts: Present Tense (Domino). Zur Homepage der Band.

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