Geschrieben am 8. April 2010 von für Musikmag

Mardi Gras.bb: Von Humboldt Picnic

Mardi Gras.bb: Von Humboldt PicnicPetite mort im Herzen der Finsternis

Wem es an entsprechender Urlaubskasse mangelt, der kann in diesem Frühling mit Pauken und Trompeten und mit Kopfhörern auf musikalische Weltreise gehen. Von Tina Manske

Auf ihrem mittlerweile neunten Album begeben sich Doc Wenz und seine Mannheimer Brassband auf eine Weltreise. Dabei zitieren sie munter drauflos, was es in den zu Wasser und zu Land befahrenen Ländern und Städten alles an musikalischen Referenzen zu plündern gibt. Und auch tageszeitlich ist hier alles schön chronologisch. Es beginnt mit einem indischen Raga, der den schönen Morgen besingt, bevor die Liebe zu Montréal besungen wird, auch wenn auf exzellente Französischkenntnisse hier niemand großen Wert legt. Danach befinden wir uns plötzlich auf dem „Blvd. de Clichy“ in Paris, wo man nach dem „petite mort“ schon wieder von neuen Küssen träumt – Caterina Valente lässt grüßen.

Da wir schon dabei sind: nicht nur in Clichy gibt’s stille Tage, auch im Klischee, wie jeder Kalauerkenner weiß. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass Mardi Gras.bb mit „Von Humboldt Picnic“ den denkbar leichtesten Weg gegangen sind – sie wandern gleichsam auf dem Seitenstreifen der Autobahn, statt sich durchs Unterholz zu schlagen. Wie es die Assoziation zum titelgebenden Humboldt schon andeutet, ist diese Platte voller bildungsbürgerlicher Verweise (wo Songs „Heart Of Darkness“ heißen, wenn man sich in Afrika befindet), die so offensichtlich sind, dass man sie noch nicht einmal mehr entschlüsseln muss (und ist man in Moskau, tritt einem innerhalb von Sekunden ein nach Alkohol stinkender Landsmann entgegen, wofür aber die Begegnung mit der Gedichte lesenden Irina sofort entschädigt – puh!).

Folklore

Wenn es also stimmt, dass Mardi Gras.bb hier alte Reise- und Abenteuergeschichten von Jules Verne, Herman Melville, Jack London und Konsorten verbinden wollten mit ihren eigenen, auf Tour gemachten Erfahrungen, dann haben sie bei ihren eigenen Reisen wenig erlebt (bis auf eine U-Bahn findet sich kaum Zeitgenössisches). Ungeachtet dessen ist aber die Musik wieder einmal auf höchstem Niveau: zwischen ihrem bereits bekannten Südstaaten-Bläsersound, Funk, Jazz und Soul findet sich so einiges, zu dem man auf eine ganz unkomplizierte Art und Weise in Gedanken reisen kann, immer schön einfach, damit’s auch jeder kapiert: in Südamerika klingen Mariachis („Americanos (Need The Coke)“, der beste Song), in Russland dominieren die traurigen Molltöne, in Deutschland herrschen Variété-Klänge der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Man hätte Mardi Gras.bb etwas mehr Mut zum Experiment gewünscht, aber sie wollen nun einmal Folklore, also gibt es Folklore.

Es ist sowieso davon auszugehen, dass der wahre Charme dieser Musik sich erst in den zahlreichen Live-Shows der Band entfalten wird, wo man sich – das weiß man ja aus Erfahrung – auf leidenschaftliche Abende gefasst machen kann.

Mardi Gras.bb live:

16.04.10 Dortmund, FZW

17.04.10 Halle, Objekt 5

24.04.10 Reutlingen, Franz K.

27.04.10 Oldenburg, Staatstheater

29.04.10 Heidelberg, Karlstorbahnhof

30.04.10 CH-St. Gallen, Festival

01.05.10 AT-Innsbruck, Treibhaus

06.05.10 Krefeld, Kulturrampe

07.05.10 Emlichheim, Haus Ringerbrüggen

12.05.10 Karlsruhe, Tollhaus

14.05.10 Jena, Kassablanka

15.05.10 Dresden, Groovestation

04.06.10 Ulm, Ulmer Zelt

19.06.10 Erfurt, New Orleans Music Festival

03.07.10 Nürnberg, Südstadtfest

18.07.10 Saarbrücken, Schloss

07.08.10 Aalen, Galgenberg

21.08.10 Offenbach, Rukstock Open Air

22.08.10 Gießen, Stadtfest

08.10.10 Leipzig, Schaubühne Lindenfels

03.11.10 Kassel, Schlachthof

05.11.10 Bremen, Lagerhaus

18.12.10 Altenburg, Jazzclub

Tina Manske

Mardi Gras.bb: Von Humboldt Picnic. Hazelwood Vinyl Plastics (Vertrieb: Rough Trade).

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