In unserer lockeren Reihe zu Live-Klassikern der neueren Rockgeschichte schreibt Matthias Penzel in dieser Woche über das Album „Live Rust“ von Neil Young & Crazy Horse.
Kampfansage gegen die Nostalgie
Bei Musik geht es um mehr als Musik. Immer. Es geht um Plattencover, Image, Klamotten … Wer dem entgegensetzt, diese Faustregel habe so ihre Ausnahmen, es gäbe doch auch Konzerte ohne Pyrotechnik und Schnickschnack, Musiker ohne Plateausohlen oder Skandale, Leute also, die einfach nur Musik machen und darum gut sind, weil sie ihren Stiefel durchziehen, wer dies verkündet, ist nicht im Recht, sondern ein Idiot.
Das ist nicht das Wichtigste, es ist aber das Erste, was einem zu Neil Young einfällt. Bei dem Mann der an- und abschwellenden Feedbacks, dem Kanadier und guten Gewissen des Rock, dem Recycler (schon lange, bevor „Rockin In The Free World“ von Michael Moore auf Video verewigt wurde), dem, der mit den Wölfen heult und der anderen die Wolle eines Schafpelzes wie einen Bären aufbindet … Poet mit originellen, aber klappernden Metaphern. Der für „Der mit dem Wolf tanzt“ zwei seiner Büffel verlieh, dessen Weste weiß wäre, wäre sie eben nicht so verdreckt wie das bei einem in Gummistiefeln auf dem Land nach eigenen Maßstäben lebenden schrulligen Hippie der Fall ist. Es ist nicht das richtigste, es ist aber das erste, was einem bei Young auffällt: Beim Kultivieren von Kultappeal spielen Ruf und Reputation eine tragende Rolle. Young ist sich dessen sehr bewusst.
Neil Young, Folk-Ikone und Chartsstürmer seit Buffalo Springfield, Westcoast-Megastar seit Woodstock und Crosby, Stills, Nash & Young, alle Jahre wieder für querköpfige Aktionen gut, steht für dieses Phänomen der Image-Dekonstruktion als Imagepflege wie wenig andere. Besonders schön illustriert dies die Story aus den 80ern, als er nach Megahits wie „After The Goldrush“ und „Harvest“ gegen Reunions wetterte. Der Nostalgietrip einst erfolgreicher Acts sei ihm allzu pathetisch, außerdem seien mehrere übergewichtige alternde Mannen auf einer Bühne kein schönes Deja-vu, und da wechselte er von Reprise Records zu dem Label von David Geffen, einem der ganz großen Moguln von Hollywood, Drahtzieher hinter Joni Mitchells Erfolgen, Aerosmiths Comeback, Whitesnakes Wechsel in US-Arenen, Guns N’Roses usw. Geffen gab Young also einen dicken Scheck, totale künstlerische Freiheit – und der Westküsten-Folk-Gott lieferte „Trans“ ab, ein Album, dermaßen elektronisch, dass selbst seine vom Vocoder entstellte Stimme kaum so klang wie Young; gefolgt von einem Album voller Rockabilly-Nummern und dem Country/Folk-Mischling „Old Ways“. Es kam zu einem Präzedenzfall in der Geschichte der Musikindustrie: Geffen verklagte seinen Künstler aufgrund „unkommerzieller“ und „nicht charakteristischer“ Musik! Man einigte sich außergerichtlich, Young wechselte den Scheckgeber und nahm wieder Platten auf, die so klangen wie das, was der Name versprach. Der interessante Part an der Anekdote – nicht das erste, was einem dazu einfällt, aber das wichtigste – ist, wie die Fans den Fall sahen. Der Begriff Etikettenschwindel mag sich aufdrängen, doch die Fans: verehrten ihn noch mehr.
Drehen wir das Zeitrad zurück, zu einem der Punkte, an dem Hingabe und Liebe der Fangemeinde so getestet wurden, dass mancher Neil Young gern seine Rechte verlesen hätte. Schließlich ist es eine Sache, wenn jemand seinem Arbeitgeber das abliefert, was der für minderwertige Arbeit hält, obwohl es die rebellische Geste eines Freidenkers ist. Es ist aber eine andere Sache, wenn man als Kunde mit einem ausgestreckten Mittelfinger konfrontiert wird. So ein Test, Gratwanderung zwischen Genie und kommerziellem Selbstmord war die Sache mit „Rust“. Young trommelte die Mucker von Crazy Horse zusammen, zu erwarten war ein Kontrapunkt, so rockend und frisch wie das Livealbum, das auf „Harvest“ folgte. Wir schreiben das Jahr 1978, Elvis tot, der Laid-back-Sound der Westküste dudelt mit Fleetwood Mac in jedem Frisörsalon, alles Politische und Rebellische ist in Luxusstudios weggekokst oder zur Farce verkommen – oder in England von Punk umfrisiert worden. Und was macht ein Baumfällerhemden-Typ wie Young, dessen Zickzackkurs mal von Folk/Country-Größen, dann dem Londoner Symphony Orchestra begleitet wurde, der über Umweltschutz und versiegende Reiche sang, nölte und dichtete, der auf Doppel- und Trippelalben Hymnen und Balladen intonierte, auch mal an die sechzehn Minuten lang an einem Stück laborierte, der immer wieder Alben mit aus der Biotonne gefischten Alt-Songs auffüllte, ganz zu schweigen von den „Songs“, die man höchstens auf Democassetten im Zirkel intimer Freunde und lange nach Mitternacht vorspielt … Was macht also der gute Kanadier? Mit den legendären Krachexperten von Crazy Horse stiefelt er los und begibt sich am 16. September 1978 auf eine 25 Dates umfassende Tour. Das Resultat, „Rust Never Sleeps“, erscheint im Juni 1979 und wird dem Titel vollauf gerecht: Gerastet wird nicht, Oxidierung ist Youngs Sache nicht. Die Matte ist ab, gleich im Opener ein Kniefall vor Johnny Rotten, zugleich der unmöglich erscheinende Spagat: Die erste Plattenseite akustisch, die zweite so dröhnend und rockend, dass Fans den Eindruck hatten, gleich zwei Platten in einer zu erhalten. Wunderschön eingerahmt von den getrennten siamesischen Zwillingen „My My, Hey Hey“ und „Hey Hey, My My“. Alles ist ein Song. Von jedem Statement ist immer auch das Gegenteil richtig. Rock ist tot, und deshalb singe ich ein Stück, das das Gegenteil beweist, lyrisch kryptisch und dahingemurmelt für Eigenbrötler in Landkommunen, aber in seiner Ironie auch postmodern und unangreifbar: „The king is gone / but he’s not forgotten / This is the story / of a Johnny Rotten / It’s better to burn out / than it is to rust“. Das, dieses Trotzdem war noch Jahre später der Antrieb, der Dinosaur Jr. und Sonic Youth am Laufen hielt, der Pearl Jam Stadien und Grassroots unter einem Dach vereinigen ließ. Wie verkaufbar Unverdauliches ist, erprobte David Geffen erneut 1992, mit einer College-/Club-Band, deren Album „Bleach“ irgendwo zwischen Melvins und Tad rangierte. Diesmal bekam er, was er wollte: „Nevermind“.
Wie gesagt: Auch das Gegenteil ist richtig, auf den Rock & Roll folgte der Schwindel (oder umgekehrt?), bei Young ’79 fünf Monate später „Live Rust“: vier Plattenseiten, alles bekannte Stücke, einige gerade fünf Monate alt, Hits und Evergreens der Vergangenheit, wieder die original für eine frühere Vorgruppe – Lynyrd Skynyrd – komponierten Songs „Sedan Delivery“ und „Powderfinger“… aber alles mit einem Spirit, der sagte: Alles ist work-in-progress, das letzte Wort nicht gesagt, auch wenn es schon vorher gesungen wurde. Anders als auf „Rust Never Sleeps“ sind die Oszillate diesmal nicht nur live eingespielt, sondern 100 % von der Tour und mit hörbarem Publikum. Unter anderem hat das den Vorteil, dass man nicht mehr, wie auch beim hundertsten Hören von „Hey Hey, My My“ zum Plattenspieler eilt, um den Staubbollen von der Nadel zu pusten – und dann verdutzt auf den CD-Player starrend über Sinn und Unsinn einer dermaßen verzerrten Gitarre nachdenkt.
Rock in nassen Socken. Lagerfeuer-Ambivalenzen. Das Fanal des 70er-Hippies, Genesis des Godfather of Grunge. Den Göttern auf der Spur, so der Schriftsteller Navid Kermani in „Das Buch der von Neil Young Getöteten“. Lauter sattsam bekannte Stücke und alles eine Kampfansage gegen die Nostalgie. Der Test, das Genie/Wahn-Harakiri, ging auf. Der Kanadier zog viel schneller als andere Helden der wilden Westküste. Fotos auf „Live Rust“ zeigen genauso wie der dazugehörige Film, der in echter Young-Logik „Rust Never Sleeps“ heißt, die Selbsteinschätzung: Rock & Roll is here to stay, obwohl/weil die Musiker auf der Bühne vor in ihrer Übergröße ulkig amplifizierten Lautsprecher-Boxen wie Zwerge erscheinen (was für die „Ragged Glory“-Tour 1991 recyclet wurde, kurz zuvor in Dänemark von Disneyland After Dark). Den Spagat des nun ewig-jungen Young, den Spagat aus Lärm und Finesse symbolisiert der in Punk-Manier auf den Gitarrengurt gepinnte Button mit Hendrix-Portrait. Und dann eben, auch auf „Live Rust“, die Zeilen „Rock and roll is here to stay / It’s better to burn out / Than to fade away“, was Kurt Cobain bis zu seinem Abschiedsbrief als Lebens- und dann eben auch Sterbensmotto galt.
Rock als Antwort auf das Statement, Rock sei tot, wurde spätestens damit unsterblich. Das ist vielleicht nicht das Wichtigste oder das Einfachste, was einem zu Neil Young einfällt – aber es ist sicher das Richtigste.
Matthias Penzel
NEIL YOUNG & CRAZY HORSE: LIVE RUST. Reprise/Warner Bros. Records. Erschienen: 1979. Aufgenommen: Im Herbst 1978 in Nord-Amerika. Besetzung: Neil Young (Gesang, Gitarre, Keyboards, Harmonica), Frank Sampedro (Gitarre, Keyboards), Billy Talbot (Bass), Ralph Molina (Schlagzeug)
Songs:
1. Sugar Mountain (22. Oktober, San Francisco)i
2. I Am A Child (22. Oktober, San Francisco)
3. Comes A Time (22. Oktober, San Francisco)
4. Alter The Gold Rush (4. Oktober, vermutl. Boston)
5. My My, Hey Hey (Out Of The Blue) (22. Oktober, San Francisco)
6. When You Dance I Can Really Love (22. Oktober, San Francisco)
7. The Loner (14. Oktober, Chicago)
8. The Needle And The Damage Done (15. Oktober, St. Paul)
9. Lotta Love (15. Oktober, St. Paul)
10. Sedan Delivery (22. Oktober, San Francisco)
11. Powderfinger (22. Oktober, San Francisco)
12. Cortez The Killer (15. Oktober, St. Paul)
13. Cinnamon Girl (19. Oktober, Denver)
14. Like A Hurricane (14. Oktober, Chicago)
15. Hey Hey, My My (Into The Black) (22. Oktober, San Francisco)
16. Tonight’s The Night (15. Oktober, St. Paul)Das Album „Live Rust“ fungierte auch als Soundtrack zu dem ebenfalls 1979 veröffentlichten Konzert-Film „Rust Never Sleeps“, der im Cow Palaceii in San Francisco aufgezeichnet wurde.
i Alle Daten: http://human-highway.bosco.net/human-highway/pages/album/RNS.html
ii Quelle: Wikipedia, wo der Film als “Live Rust” geführt wird.