Geschrieben am 11. Mai 2011 von für Musikmag

Live-Klassiker: Neil Young & Crazy Horse: Live Rust (1979)

In unserer lockeren Reihe zu Live-Klassikern der neueren Rockgeschichte schreibt Matthias Penzel in dieser Woche über das Album „Live Rust“ von  Neil Young & Crazy Horse.

Neil Young & Crazy Horse: Live RustKampf­ansage gegen die Nostalgie

Bei Musik geht es um mehr als Musik. Immer. Es geht um Plattencover, Image, Klamotten … Wer dem ent­gegen­setzt, diese Faustregel habe so ihre Ausnahmen, es gäbe doch auch Konzerte ohne Pyrotechnik und Schnick­schnack, Musiker ohne Plateausohlen oder Skandale, Leute also, die einfach nur Musik machen und darum gut sind, weil sie ihren Stiefel durchziehen, wer dies verkündet, ist nicht im Recht, sondern ein Idiot.

Das ist nicht das Wichtigste, es ist aber das Erste, was einem zu Neil Young einfällt. Bei dem Mann der an- und abschwellenden Feedbacks, dem Ka­na­dier und guten Gewissen des Rock, dem Recycler (schon lange, be­vor „Rockin In The Free World“ von Michael Moore auf Video verewigt wurde), dem, der mit den Wölfen heult und der anderen die Wolle eines Schafpelzes wie einen Bären aufbindet … Poet mit originellen, aber klappernden Me­taphern. Der für „Der mit dem Wolf tanzt“ zwei seiner Büffel verlieh, dessen Weste weiß wäre, wä­re sie eben nicht so ver­dreckt wie das bei einem in Gummi­stiefeln auf dem Land nach eigenen Maßstäben le­ben­den schrul­ligen Hippie der Fall ist. Es ist nicht das richtigste, es ist aber das erste, was einem bei Young auffällt: Beim Kulti­vieren von Kultappeal spielen Ruf und Reputa­tion eine tragende Rolle. Young ist sich dessen sehr bewusst.

Neil Young, Folk-Ikone und Chartsstürmer seit Buffalo Springfield, Westcoast-Megastar seit Woodstock und Crosby, Stills, Nash & Young, alle Jahre wieder für querköpfige Aktionen gut, steht für dieses Phänomen der Image-Dekonstruktion als Imagepflege wie wenig andere. Besonders schön illustriert dies die Story aus den 80ern, als er nach Megahits wie „After The Goldrush“ und „Harvest“ gegen Reunions wetterte. Der Nostalgie­trip einst erfolgreicher Acts sei ihm allzu pathe­tisch, außerdem seien mehrere übergewich­tige alternde Mannen auf einer Bühne kein schönes Deja-vu, und da wechselte er von Reprise Records zu dem Label von David Geffen, einem der ganz großen Moguln von Hollywood, Drahtzieher hinter Joni Mitchells Erfolgen, Aerosmiths Comeback, Whitesnakes Wechsel in US-Arenen, Guns N’Roses usw. Geffen gab Young also einen dicken Scheck, totale künstlerische Freiheit – und der West­küsten-Folk-Gott lieferte „Trans“ ab, ein Album, der­maßen elektronisch, dass selbst seine vom Vocoder entstellte Stimme kaum so klang wie Young; gefolgt von einem Album voller Rockabilly-Nummern und dem Country/Folk-Misch­ling „Old Ways“. Es kam zu einem Präzedenzfall in der Geschichte der Musikindustrie: Geffen verklagte seinen Künstler aufgrund „un­kom­merzieller“ und „nicht charakte­ristischer“ Musik! Man einigte sich außer­gerichtlich, Young wechselte den Scheckgeber und nahm wieder Platten auf, die so klangen wie das, was der Name versprach. Der interessante Part an der Anek­do­te – nicht das erste, was einem dazu ein­fällt, aber das wichtigste – ist, wie die Fans den Fall sahen. Der Begriff Etikettenschwindel mag sich auf­drängen, doch die Fans: verehrten ihn noch mehr.

Drehen wir das Zeitrad zurück, zu einem der Punkte, an dem Hingabe und Liebe der Fangemeinde so getestet wur­den, dass mancher Neil Young gern seine Rechte verlesen hätte. Schließlich ist es eine Sache, wenn jemand sei­nem Arbeitgeber das abliefert, was der für minder­werti­ge Arbeit hält, obwohl es die rebellische Geste eines Freidenkers ist. Es ist aber eine andere Sache, wenn man als Kunde mit einem ausgestreckten Mittelfinger konfrontiert wird. So ein Test, Gratwanderung zwischen Genie und kommerziellem Selbstmord war die Sache mit „Rust“. Young trommelte die Mucker von Crazy Horse zu­sammen, zu erwarten war ein Kontra­punkt, so rockend und frisch wie das Livealbum, das auf „Harvest“ folgte. Wir schreiben das Jahr 1978, Elvis tot, der Laid-back-Sound der West­küste dudelt mit Fleetwood Mac in jedem Frisör­salon, alles Politische und Rebellische ist in Luxus­studios weggekokst oder zur Farce verkommen – oder in England von Punk umfrisiert worden. Und was macht ein Baumfällerhemden-Typ wie Young, des­sen Zickzackkurs mal von Folk/Country-Größen, dann dem Londoner Symphony Orchestra begleitet wurde, der über Umweltschutz und versiegende Reiche sang, nölte und dichtete, der auf Doppel- und Trippelalben Hymnen und Balladen intonier­te, auch mal an die sechzehn Minuten lang an einem Stück laborierte, der immer wieder Alben mit aus der Biotonne gefischten Alt-Songs auffüllte, ganz zu schweigen von den „Songs“, die man höchstens auf Democassetten im Zirkel intimer Freunde und lange nach Mitternacht vorspielt … Was macht also der gute Kanadier? Mit den legendären Krachexperten von Crazy Horse stiefelt er los und be­gibt sich am 16. September 1978 auf eine 25 Dates um­fassende Tour. Das Resultat, „Rust Never Sleeps“, er­scheint im Juni 1979 und wird dem Titel vollauf ge­recht: Gerastet wird nicht, Oxi­die­rung ist Youngs Sache nicht. Die Matte ist ab, gleich im Opener ein Knie­fall vor Johnny Rotten, zugleich der unmöglich erscheinende Spagat: Die erste Plat­tenseite akustisch, die zweite so dröhnend und rockend, dass Fans den Ein­druck hatten, gleich zwei Platten in einer zu erhalten. Wunderschön eingerahmt von den ge­trennten siamesischen Zwillingen „My My, Hey Hey“ und „Hey Hey, My My“. Alles ist ein Song. Von jedem State­ment ist immer auch das Gegenteil richtig. Rock ist tot, und deshalb singe ich ein Stück, das das Gegenteil beweist, lyrisch kryptisch und dahingemurmelt für Eigen­bröt­ler in Landkommunen, aber in seiner Ironie auch postmodern und unangreifbar: „The king is gone / but he’s not forgotten / This is the story / of a Johnny Rotten / It’s better to burn out / than it is to rust“. Das, dieses Trotzdem war noch Jahre später der Antrieb, der Dinosaur Jr. und Sonic Youth am Laufen hielt, der Pearl Jam Stadien und Grassroots unter einem Dach vereinigen ließ. Wie verkaufbar Unver­dauliches ist, erprobte David Geffen erneut 1992, mit einer College-/Club-Band, deren Album „Bleach“ irgendwo zwischen Melvins und Tad ran­gierte. Diesmal bekam er, was er wollte: „Nevermind“.

Wie gesagt: Auch das Gegenteil ist richtig, auf den Rock & Roll folgte der Schwindel (oder umgekehrt?), bei Young ’79 fünf Monate später „Live Rust“: vier Platten­sei­ten, alles bekannte Stücke, ei­ni­ge gerade fünf Mona­te alt, Hits und Evergreens der Vergangenheit, wieder die ori­ginal für eine frühere Vorgruppe – Lynyrd Skynyrd – kom­ponierten Songs „Sedan Delivery“ und „Powder­finger“… aber alles mit einem Spirit, der sagte: Alles ist work-in-progress, das letzte Wort nicht gesagt, auch wenn es schon vorher gesungen wurde. Anders als auf „Rust Never Sleeps“ sind die Oszillate diesmal nicht nur live einge­spielt, sondern 100 % von der Tour und mit hörbarem Publikum. Unter anderem hat das den Vorteil, dass man nicht mehr, wie auch beim hun­dertsten Hören von „Hey Hey, My My“ zum Platten­spie­ler eilt, um den Staubbollen von der Nadel zu pusten – und dann verdutzt auf den CD-Player starrend über Sinn und Unsinn einer dermaßen verzerrten Gitarre nachdenkt.

Rock in nassen Socken. Lagerfeuer-Ambivalenzen. Das Fa­nal des 70er-Hippies, Genesis des Godfather of Grunge. Den Göttern auf der Spur, so der Schriftsteller Navid Kermani in „Das Buch der von Neil Young Getöte­ten“. Lauter sattsam bekannte Stücke und alles eine Kampf­ansage gegen die Nostalgie. Der Test, das Genie/Wahn-Harakiri, ging auf. Der Kanadier zog viel schnel­ler als andere Helden der wilden Westküste. Fotos auf „Live Rust“ zeigen genauso wie der dazugehörige Film, der in echter Young-Logik „Rust Never Sleeps“ heißt, die Selbst­einschätzung: Rock & Roll is here to stay, obwohl/weil die Musiker auf der Bühne vor in ihrer Übergröße ulkig amplifizierten Lautsprecher-Boxen wie Zwerge erscheinen (was für die „Ragged Glory“-Tour 1991 recyclet wurde, kurz zuvor in Dänemark von Disneyland After Dark). Den Spagat des nun ewig-jungen Young, den Spagat aus Lärm und Finesse symbolisiert der in Punk-Manier auf den Gitarrengurt gepinnte Button mit Hen­drix-Portrait. Und dann eben, auch auf „Live Rust“, die Zeilen „Rock and roll is here to stay / It’s better to burn out / Than to fade away“, was Kurt Cobain bis zu seinem Abschiedsbrief als Lebens- und dann eben auch Sterbensmotto galt.

Rock als Antwort auf das Statement, Rock sei tot, wurde spätestens damit unsterblich. Das ist vielleicht nicht das Wichtigste oder das Einfachste, was einem zu Neil Young einfällt – aber es ist sicher das Richtigste.

Matthias Penzel

NEIL YOUNG & CRAZY HORSE: LIVE RUST. Reprise/Warner Bros. Records. Erschienen: 1979. Aufgenommen: Im Herbst 1978 in Nord-Amerika. Besetzung: Neil Young (Gesang, Gitarre, Keyboards, Harmonica), Frank Sampedro (Gitarre, Keyboards), Billy Talbot (Bass), Ralph Molina (Schlagzeug)

Songs:

1. Sugar Mountain (22. Oktober, San Francisco)i
2. I Am A Child (22. Oktober, San Francisco)
3. Comes A Time (22. Oktober, San Francisco)
4. Alter The Gold Rush (4. Oktober, vermutl. Boston)
5. My My, Hey Hey (Out Of The Blue) (22. Oktober, San Francisco)
6. When You Dance I Can Really Love (22. Oktober, San Francisco)
7. The Loner (14. Oktober, Chicago)
8. The Needle And The Damage Done (15. Oktober, St. Paul)
9. Lotta Love (15. Oktober, St. Paul)
10. Sedan Delivery (22. Oktober, San Francisco)
11. Powderfinger (22. Oktober, San Francisco)
12. Cortez The Killer (15. Oktober, St. Paul)
13. Cinnamon Girl (19. Oktober, Denver)
14. Like A Hurricane (14. Oktober, Chicago)
15. Hey Hey, My My (Into The Black) (22. Oktober, San Francisco)
16. Tonight’s The Night (15. Oktober, St. Paul)

Das Album „Live Rust“ fungierte auch als Soundtrack zu dem ebenfalls 1979 veröffentlichten Konzert-Film „Rust Never Sleeps“, der im Cow Palaceii in San Francisco auf­gezeichnet wurde.

i Alle Daten: http://human-highway.bosco.net/human-highway/pages/album/RNS.html

ii Quelle: Wikipedia, wo der Film als “Live Rust” geführt wird.