Geschrieben am 7. September 2011 von für Musikmag

Live-Klassiker: Deep Purple – Made In Japan

Wer es echt super findet, wenn ein Konzert außerordentlich lang war und je­der ein Solo spielte, für den wurden Deep Purple erfun­den. Dafür gebührt der Band mindestens eine Medaille für Rock-Klassikertum, findet Matthias Penzel.

Deep Purple: Made In JapanDarf’s etwas mehr sein?

– Im Hinterland ticken die Uhren an­ders. Und nicht nur die Uhren. Dank MTV weiß man zwar überall, was hip aussieht, man kennt Gesten und Turnschuhmarken aus Harlem und Manchester, aus Compton und anderen Slums westlicher Industrie­nationen. Doch eins ist in kleine­ren Städten bis heute unbekannt: dass mehr und länger und dicker nicht gleich­be­deu­tend ist mit besser. Wer es echt supi findet, wenn ein Konzert außerordentlich lang war und je­der ein Solo spielte, für den wurden Deep Purple erfun­den.

Das lustige: Lange wussten das Deep Purple nicht. Zu­nächst verwurstelte das Quintett Bolero und Beatles und Hendrix mit Psychedelic Sounds, die so kamen wie zweit­klas­sige Procol Harum mit schlech­ten oder wenig, viel­leicht auch gestreckten Drogen. Sie rangen mit einem Keyboarder, der wie alle Tastenleute gern Sperenzchen vor­führte, wie sie auch Musiklehrer schätzen (und das London Symphony Orchestra bass erstaunte). Und nach einer Handvoll Platten, Besetzungswechsel 1970 „In Rock“. Wie in Fels gemeißelt, ganz mächtig. Riffs und Gedröhne und Pfeifen wie Mount Rushmore. Solch drastische Wechsel von Stil – dann auch Live-Act und Kontostand – gibt es so selten, dass man ihnen eine Medaille dafür geben möchte, am besten in Gold und viereckig: 33 x 33 cm, in der Mitte ein Bild der Band bei der Arbeit auf der Bühne.

Kurz darauf „Fireball“, für die Zeit außerordentlich schnell, ja richtig eilig schon der Opener „Speed King“, rasend schnell darauf folgend, die Plat­te mit „Smoke On The Water“, das Stu­dio war abgebrannt, eingespielt wurde „Machine Head“ im Hotelflur. Und nonstop auf Tour, 1972 ganze 44 Wochen. Irgendwann meinte irgendwer bei der US-Plattenfirma, die Band solle in Japan ein Livealbum aufzunehmen, nur für den dortigen Markt. Drei Konzerte wurden mitge­schnitten, in Tokyo und Osaka – 1972, also lange vor Dylan, Cheap Trick, Scorpions usw. Obwohl mit beschei­de­ner Technik, ohne Overdubs, setzten Sound und Per­formance einen neuen Standard (also vor Led Zeppelin, Black Sabbath, Uriah Heep und an wen man sich er­innern kann … oder will, ohne dass vor lauter Scham wich­tige Äderchen zerplatzen).

Die Mark II- Besetzung.

Wie oft ist eine Platte abspielbar?

Anders als die Rolling Stones, The Who und Grand Funk Rail­road (die bereits Livealben veröffentlicht hatten) ge­hör­ten Deep Purple zu den Musikern, die ihr Handwerk ernst nahmen. „Made In Japan“ führte dies vor. Fast zwangs­läufig waren die Songs sehr lang, auf dem Doppel­album er­klingen nur sieben (wie auf fast jeder Platte, auf der Ritchie Blackmore wirkte, auch noch Jahre nach seinem Split von Purple). Noch 1972 kam das Album in die Läden. Und nichts war wie vor­her. Tausende Metal­heads saßen mit Kopfhörer und Airguitar oder Trommel­stöcken in Kinderzimmern und überprüften, wie oft eine Schall­platte abspielbar ist. Zur Musik, auch der drei vorhe­ri­gen Studioalben, ist wenig zu sagen – „hat ja sowieso jeder – wenn schon nicht selbst gekauft, dann wenigs­tens geerbt“, so Frank Schäfer in dem Buch „Heavy Me­tal“.

Ein neues Kapitel auch für den Fotografen Fin Costello: „Ende der Sechziger ging alles ganz locker, es gab viele kleine Label wie Island, A&M, Bronze Records gaben mir erste Jobs, ein Cover für Uriah Heep, in wenigen Monaten machte ich Humble Pie, Manfred Mann, und der große Wurf dann 1972: Deep Purples ‚Made In Japan‘. Was für mich dadurch los­getreten wurde, war phänomenal: Als direkte Folge davon bekam ich den Auf­trag für Kiss’ ‚Alive‘ und ‚Rocks‘ von Aerosmith.“ Das Cover von „Made In Japan“: in Gold und viereckig, in der Mitte ein Foto Deep Purples bei der Arbeit (in London, siehe Bühnenrampe mit Logo des Rain­bow!).

Mehr als dreißig Jahre später scheiden sich die Gemüter unverändert an den Duellen zwischen Jon Lords Hammond-Orgel und Ritchie Blackmores erratischem Krieg auf der Stratocaster, dem meisterhaft epischen über 20-minüti­gen „Space Truckin’“ und mit Johann Sebastian Bach ver­panschten Vanilla-Fudge-Anleihen, an dem Dialog zwi­schen Ian Gillans Si­re­nen-Organ und der hohen E-Saite. Klar, oberflächlich betrachtet, ohne aufwändige Light- oder Pyro-Show, ohne Drumriser und Laserkanonen, nur mit viel Haaren und Koteletten und viel Lautstärke… aber dieses endlose Brillieren auf Instrumenten? Für Rock Hardist es „die Mutter aller Livealben“, AC/DCs Angus Young erkannte darin kaum mehr als „Led Zep für ganz Arme“… und Iron Maiden verbeugten sich mit der Live-EP „Maiden Japan“.

„Teen-Sublimations-Riff“

So wie alle legendären Geschichten hat auch diese einen Dreh, wie er in keinem Marketingmeeting geplant werden kann. Das Line-Up („Mk. II“ in den Worten der Fans) zer­brach Monate später am Zuviel (der Konzerte und Duel­le). Das von einem Amerikaner nur für Japan erson­nene Album erschien weltweit, in Uruguay mit einer auf­gehenden Sonne auf dem Cover und einer Schwarzweiß-Fo­to­grafie der Mk.I-Besetzung auf der Rückseite. 21 Jahre später wurden auch die restlichen Aufnah­men als 3-CD-Set veröffentlicht. Doch in den USA blie­ben Deep Purple bis heute eher bedeutungslos, laut Fließ­band-Reviewer Robert Christgau, weil ihr Sound so unerträglich „oi-ropäisch wie ein Vampir-Film, nur halt nicht so camp“ war. Jene Zeit und Sounds brachte Kri­ti­ker-Papst+Teufel Lester Bangs cleverer auf den Punkt, und zwar schon 1972, in Creem“: „Ein großer Teil von punkigem Rock ist der Große Amerika­nische (eigentlich na­tür­lich Englische) Teen-Sublimations-Riff. Jeder will gebumst werden, vorwärts, rückwärts, rund um die Uhr denkt er daran […] und überkompensiert seine Neurosen mit übertriebenen Darstellungen von Macho-Arroganz, die er dann mit Bass-Riffs, hart wie eine Morgenlatte, raus­hämmert“.

Vielleicht ist das Hinterland doch viel größer als man denkt.

Matthias Penzel

Deep Purple: Made in Japan. EMI.

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