Geschrieben am 3. Juni 2017 von für Musikmag

Kreidler: European Song

bb260_kreidler_rgb_1Neue Ernsthaftigkeit

Im neuesten Film von Heinz Emigholz „2 + 2 = 22 [The Alphabet]“, den er auf der diesjährigen Berlinale vorstellte und der hoffentlich bald auf DVD erhältlich sein wird, konstrastiert er Aufnahmen der Recording Sessions von Kreidlers „Alphabet“ mit den Bildern der Architektur in der Stadt Tiflis, in dessen Studios das Album aufgenommen wurde. Schon oft waren Thomas Klein, Alex Paulick, Andreas Reihse und Detlef Weinrich im Hintergrund für Emigholz tätig, nun sind sie zum ersten Mal auch die Protagonisten. Ein sehr sehenswerter Film, der Musik und Bilder auf kongeniale Weise verbindet und vor allem sichtbar macht, mit welcher kühlen Akribie die Mitglieder von Kreidler arbeiten.

Dass Instrumentalmusik durchaus politisch sein kann, beweisen Kreidler einmal mehr mit ihrer neuen Platte „European Song“. Eigentlich sollte es wohl ein leichtes, verspieltes Album werden, Aufnahmesessions in Mexiko brachten vielversprechende Ergebnisse. Doch dann wurde in den USA gewählt, und vorbei war es mit der Leichtigkeit. Es spricht eine ungeheure Wut aus diesem Album, und gleichzeitig eine Entschlossenheit, sich dieses Europa nicht von den Trumps und AfD-Honks dieser Welt kaputtmachen zu lassen.

Auf der Bühne der Berghain-Kantine, wo Kreidler im Mai ihr neues Album vorstellten, wirken sie wir der Inbegriff der deutschen Ernsthaftigkeit – kein Lächeln huscht über ihre Lippen. Aber genau das liebt das Publikum auch an ihnen, und die Tatsache, dass die vier Musiker den kleinen Raum in kürzester Zeit zum Beben bringen. Mag sein, dass die da oben unterkühlt wirken, ihre Musik dröhnt und wummert so sexy wie der fetteste Soul es nicht könnte. Und plötzlich wird einem klar: das ist analoger Techno, eine halbelektronische Supersause. Soll Trump ruhig kommen, er hat keine Chance.

Tina Manske

Kreidler: European Song. Bureau B.

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