Geschrieben am 8. August 2012 von für Musikmag

Krautrock gestern und heute: Camera und S.Y.P.H.

Camera: Radiate!Eigener Weg und Wille

– Die einen spielen 2012 spontan in U-Bahnhöfen, die anderen fanden Anfang der Achtziger spontan vom Punk zu einer neuen Form: Tina Manske über Krautrock von gestern und heute.

Die Band Camera aus Berlin bringt eine Art occupy spirit in die Musikszene, nicht umsonst spricht man von ihnen auch als der „Krautrock-Guerilla“. Nachdem die drei Musiker mit Spontankonzerten im öffentlichen Raum (unter anderem spielten sie in einem U-Bahnhof, in einer Fußgängerunterführung und in einer Herrentoilette, man kann sich diverse Clips der ‚Konzerte‘ bei YouTube ansehen) für immer mehr begeisterte Anhänger sorgten und sogar schon bei der ECHO-Verleihung und beim Deutschen Filmpreis spielen ‚durften‘ (bis jemand merkte, dass das nicht die offiziell gebuchten Musiker waren) und niemand geringeres als Krautrock-Legende Michael Rother sie zu einem gemeinsamen Auftritt einlud, haben sie sich nun auch in ein Tonstudio gewagt, um ihre explosiven und gut durchdachten Improvisationen auch auf CD zu bannen.

Diese erzielen sie mit einem minimalistischen Schlagwerk, Gitarre und Keyboard. „Radiate!“ konserviert nun die direkte Energie des Trios, in deren Werk sich mit zunehmender Spielpraxis immer deutlichere Strukturen erkennen ließen. Es half sicherlich, das Album auch im Studio live einzuspielen, mit denselben Instrumenten, die sie auch in der freien Wildbahn benutzen. Tja, und natürlich erinnert das alles stark an Bands wie Can, Harmonia oder Neu!, aber Camera schaffen es, nicht wie Epigonen dazustehen, sondern ihren eigenen Weg und Willen durchzusetzen.

S.Y.P.H.: 4.LPIm besten Sinne strange

Wie sich Avantgarde im Jahr 1981 darstellte, kann man anhand des Re-Releases der „4.LP“ der Punkband S.Y.P.H. hören, die das Label MIG jetzt herausgebracht hat. Punk? Waren wir nicht bei Krautrock? Ganz recht – die Mitglieder von S.Y.P.H. waren mit Holger Czukay von CAN befreundet und spielten ihm des Öfteren ihre neuen Stücke vor. Ihre zweite Platte wurde von Czukay produziert. Bei „4.LP“ handelt es sich um ‚Abfallprodukte‘ dieser Aufnahmen, die damals nicht zum Einsatz kamen, später aber doch für veröffentlichungswürdig erklärt wurden.

S.Y.P.H. ließen sich von Czukay Herzstück der fünf fast reinen Instrumentalstücke (die einzigen Stimmen, die man hört, sind fast unverständliche Vokalschnippsel, dadaistisch angehaucht) sind die beiden langen Tracks „Nachbar“ (12 Minuten) und „Little Nemo“ (18 Minuten). Man sieht schon hier – von Punk war da keine Rede mehr, hier sind Hörer gefragt, die für Psychedelik zu haben sind. Diese werden an dieser im besten Sinne strangen Veröffentlichung ihre helle Freude haben.

Tina Manske

Camera: Radiate! Bureau B (Indigo).
S.Y.P.H.: 4.LP. MIG Music.

Tags : , ,