Liebesgrüße aus Bristol
– 2012 haben Kosheen mit dem Album „Independence“ den Schritt in die Unabhängigkeit gewagt. Ohne Major Label, ohne Denkschablonen, ohne kreative Einschränkungen wolle man auch in der Lage sein, Musik zeitnah und selbstbestimmt zu veröffentlichen. Bereits ein gutes Jahr später lassen die Briten den Worten auch Taten folgen: mit „Solitude“ ist das zweite Werk der Band um Frontfrau Sian Evans erschienen, auf dem man sich noch dunkler, atmosphärischer und tiefgründiger präsentieren will.
Vielleicht ist der Auftritt von Kosheen auf dem Wave-Gothic-Treffen 2013 dabei als Testballon zu verstehen. Vor dem selbsternannten Fachpublikum für dunkle, schwermütige Musik spielten die Bristoler im Leipziger Kohlrabizirkus grandios auf, und Evans sprach eine unverblümte Liebeserklärung an die Szene aus. Die schien damit ein wenig überfordert (darf ich das mögen?), doch die Sängerin sang gegen die Unschlüssigkeit an und konnte das Konzertpublikum letztendlich für sich gewinnen. Ein gelungenes Experiment, sollte es eines gewesen sein.
Dabei beginnt das neue Album entgegen aller Ankündigungen nicht sonderlich dunkel. Allenfalls schwingt in der unverwechselbaren Stimme Sian Evans‘ eine ihr typische Melancholie. Überhaupt, diese Frau! Ihr variantenreicher, wahlweise samtig-weicher, immer wieder kräftig-souliger Gesang trägt das musikalische Gebilde, das für sich betrachtet streckenweise etwas unter seinen Möglichkeiten bleibt. Hier und da fühle ich mich in den tiefen Tonlagen an Róisín Murphy, in anderen Passagen an Bertine Zetlitz erinnert. So entsteht in den ersten sechs bis sieben Songs auf „Solitude“ der Eindruck eines starken, alles in allem typischen Kosheen-Albums, das sich mit seinen erfolgreichen Vorgängern durchaus messen kann.
Gerade hat man sich in dieser Erkenntnis eingerichtet, da kippt das Album mit „Up In Flames“ doch noch. Verzerrt, verhallt und ein wenig verzweifelt klingt Evans von nun an. Samples, Fragmente, düstere Sounds tropfen wie Pech aus den Lautsprechern: hier ist sie wieder, die Annäherung an die dunkle Seite der Musik. Und wenn man „Poison“ oder den Titelsong „Solitude“ hört, sucht man ungläubig in dem (mit kubistisch angehauchtem Artwork schönen, aber inhaltsleeren) Booklet nach dem Namen Beth Gibbons; so etwa könnte das nächste Album der ebenfalls aus Bristol stammenden Portishead beginnen. Die neu gewonnene Unabhängigkeit von Kosheen äußert sich eben auch in der Freiheit zu Metamorphosen und musikalischen Liebesgrüßen. Auf dass sie erwidert werden!
Heiko Naumann
Kosheen: Solitude. Kosheen Records / Membran