Geschrieben am 15. Februar 2012 von für Musikmag

Klaus Schulze: Richard Wahnfrieds Tonwelle

Klaus Schulze: Richard Wahnfrieds TonwelleEpisch-monumental

– Klaus Schulze lässt auf seinem Album aus dem Jahr 1981 die Synthie-Popper Depeche Mode wie Anfänger aussehen. Zeit für eine Wiederauflage des Klassikers.

Ein Jahr nach dem letzten S-Bahn-Streik war der Verkehr auf vielen Strecken West-Berlins eingestellt. Die Strecken verwaisten. Erst Gräser, Büsche und kleine Bäume bahnten sich trotzig ihren Weg durch den Schotter der Gleise. Die städtische Infrastruktur zelebrierte den Zerfall. Passend dazu erschien im Oktober 1981 das erste Studio-Album der Einstürzenden Neubauten: „Kollaps“. West-Berlin changierte zwischen apathischer Endzeitstimmung und fröhlichem Fatalismus. Genau zur gleichen Zeit veröffentlichte der Berliner Elektronik-Pionier Klaus Schulze die Platte „Tonwelle“, die heutzutage als Meilenstein des Genres gilt und im Vergleich zum ebenfalls 1981 erschienenen „Speak & Spell“ der Synthie-Popper Depeche Mode klangliche Komplexität offeriert, wohingegen die jungen englischen Kollegen noch den Umgang mit den Instrumenten übten.

Wenn die Neubauten die ausklingenden Siebziger vertikal vertonten – mit extremen Ausschlägen und „Hören-mit-Schmerzen“-Faktor, ging Schulze in die Breite. Episch-monumental zieht er ein akustisches Panorama auf, das seinerseits kaum Vergleiche kannte. Nach den Stationen Tangerine Dream und Ash Ra Tempel verließ der damals 34-Jährige die Wege der Berliner Schule, die sich durch lange Sequenzen und den Einsatz der Mellotron-Synthis kennzeichnete und damit Inspiration für spätere Stile für Goa und Trance schuf. Schulze, der sich mit seinem Pseudonym vor der Musik der Romantik, speziell Wagners verbeugte, ohne die ideologischen Auswüchse zu teilen, wurde nunmehr auch in den Tanzhallen aufgelegt.

Das Album enthielt zwei Songs, die zusammen knapp 40 Minuten Spielzeit ergaben. „Schwung“ peppt den Klang analoger Synthieflächen durch eine Gitarre auf, die einen Gegenpart zur Rhythmusfraktion bildet und dabei Facetten von melancholischer Schwere bis hin zu einem beschwingten Singsang der Saiten bildet. Man munkelte, dass sich hinter dem Pseudonym „Karl Wahnfried“ niemand geringeres als Carlos Santana verbarg, der seinen langjährigen Kollegen MICHAEL SHRIEVE mit ins Projekt-Boot holte. Das Sphärische, das nicht ins Esoterische gleitet, macht besonders den Song „Druck“ aus – und zeigt deutlich, wo sich die Schweizer Elektronik-Altmeister Yello ihre Inspiration für melancholische Karibik-Klänge holten, die sie auf „One Second“ (1986) und „Flag“ (1988) darboten.

Nach über 30 Jahren hat die Wiederveröffentlichung der längst vergriffenen Scheibe mehr als eine Berechtigung, denn gemessen an heutigen Standards im Ambient und Downtempo-Bereich schwimmt die „Tonwelle“ ganz weit vorne. Als besonderes Gimmick erklingt die zweite CD in der 45 rpm-Version, also wie schneller abgespieltes Vinyl und steht qualitativ dem langsameren Zwilling in nichts nach: ebenso stark wie Scheibe Eins.

Ronald Klein

Klaus Schulze: Richard Wahnfrieds Tonwelle. Mig-Music (Intergroove). Zur Homepage von Klaus Schulze.

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