Geschrieben am 14. September 2011 von für Musikmag

Katzenjammer: A Kiss Before You Go

Der Katzenjammer folgt höchstens, wenn auf einem Konzert der vier Norwegerinnen zu viel getrunken wird. Das passiert bei der dortigen Partylaune recht schnell. Dem neuen Album „A Kiss Before You Go“ gelingt es leider nicht, diese Energie und Dynamik zu transportieren. Was schade ist, wie unsere Autorin Janine Andert befindet.

Katzenjammer: A Kiss Before You GoAchtung, Dixie-Chicks-Charme

Vorurteile über Bord geschmissen! Katzenjammer sind weder eine deutsche Punkband, noch fröhnen sie dem übermäßigen Alkoholkonsum. Das Damen-Quartett aus Oslo steht für fantasievolle Varieté-Musik, die selbst eingefleischte Tanzmuffel in Ekstase versetzt. Benannt haben sich die vier nach dem Comic „The Katzenjammer Kids“, was eine Anspielung auf die ersten, musikalisch noch nicht ganz sicheren Versuche der 2005 gegründeten Band sein soll.

Zur Geschichte

Dass die Band ihre Entdeckung der in Norwegen sehr erfolgreichen Talentshow Kjempesjansen verdankt, bleibt gerne unerwähnt. Ein bisschen zu Recht, wird die Verbindung zu diesem TV-Format hierzulande doch mit anderen Musikrichtungen assoziiert als sie Katzenjammer spielen. Die Band beweist eher, dass Talentshows ein Sprungbrett für dauerhaften Erfolg sein können und renommierte Produzenten (Mike Hartung, Kåre Westrheim) und Songschreiber (Mats Rybø) von innovativen, spektakulären Ideen beseelt sein können. Der Mix „aus Rock, Folk, Pop und Bluegrass mit Circus Grooves und Cowboy Musik“, wie Anne Marit Bergheim, Marianne Sveen, Solveig Heilo und Turid Jørgensen ihr neues, an den Vorgänger anknüpfende Album „A Kiss Before You Go“ selbst beschreiben, gehört in dieser Kombination wahrlich nicht zum allgemein bekannten Repertoire kommerziell erfolgreicher Popmusik. Das liegt wohl auch an der engen Zusammenarbeit mit den studierten Pop-Musikerinnen, denen die Songs nicht übergestülpt wurden, sondern auf den Leib geschrieben sind.

Katzenjammer in Austin auf der Straße.

Während den Ladys in Skandinavien bereits 2008 der große Durchbruch gelang und Ende des selben Jahres ihr Debüt „Le Pop“ erschien, dauerte es im Rest der Welt noch ein, zwei Jahre. Aber spätestens nach der Einladung zum SXSW-Festival im texanischen Austin 2009, das schon eine Legende ist als Einkaufsmarkt für europäische Festivals, und der Einladung von Musiklegende David Byrne (Talking Heads) zum Bonnaroo-Festival in Tennessee war die Sache geritzt. Katzenjammer wurde für die europäischen Festivals gebucht. Erst einmal für das Nachmittagsprogramm. An dieser Stelle wird es wieder außergewöhnlich. Katzenjammer begeistern die Leute mit skurrilen, selbst bemalten Instrumenten. An erster Stelle natürlich die riesige Kontrabass-Balalaika. Vier attraktive Frauen in kostümähnlichen, bunten Minikleidern spielen mit mehr als 30 Instrumenten, die oft aussehen als entstammten sie einem Kindertraum, Bäumchenwechseldich. Souverän bedient jedes Bandmitglied Akkordeon, Klavier, Gitarre, Mandoline, Glockenspiel, Geige, Ukulele, Bass-Balalaika, Banjo, Kazoo, Mundharmonika und Tuba-Trompete, wahlweise wird auch auf zweckentfremdeten Gegenständen improvisiert. Der dynamische, vierstimmige Gesang tut sein Übriges. Da kann der Festivalbesucher einfach nicht vorbeigehen, sondern bleibt hypnotisiert stehen. Unerwartet ergibt sich der ein oder andere verkaterte, noch schlaftrunkene Zuschauer der geballten Power auf der Bühne und tanzt fieberhaft mit. Die Auftritte von Katzenjammer zählen zu den energetischsten, sympathischsten und unterhaltsamsten, die der aktuelle Musikmarkt zu bieten hat.

Per Mundpropaganda spricht sich die einzigartige Bühnenshow der Band rum. Schnell spielen Katzenjammer zu späterer Stunde und touren äußerst erfolgreich durch ganz Europa. 2010 wird „Le Pop“ außerhalb Norwegens wiederveröffentlicht und erfährt die Aufmerksamkeit, die ein solch verrücktes Album verdient.

Fannähe wird groß geschrieben – sei es beim Smalltalk nach den Shows oder dem sehr persönlichen Kontakt über Facebook. Über das soziale Netzwerk kann der Fan schon mal ein Meet & Greet oder den Gästelistenplatz für eine Secret Show abgreifen. Im Juli vergaß Marianne ihr Kleid bei einem Auftritt in Karlsruhe. Anstatt es per UPS nachschicken zu lassen, fragt sie per Facebook, ob es nicht jemand vorbeibringen kann. ( „Ok, listen up people: Anyone in Karlsruhe want a free ticket to our sold out show in Isny tonight? I, Marianne, forgot my dress yesterday and need it tonight!!!! you can bring a friend! It would save my day! Please??!“) Ein williger Fahrer ist schnell gefunden und die Fans können an der Reise und Ankunft des Kleides teilhaben. Eine Band zum Anfassen eben.

Zur Musik

Nun präsentiert das sympathische und schrille Damen-Quartett ihr zweites Album „A Kiss Before You Go“. Der gleichnamige erste Track leitet in Form eines wehmütigen Balkan-Chansons kurz in die Katzenjammer-Welt ein, um dann abrupt in energetisch geladenem Folk-Pop „I Will Dance (When I Walk Away)“ zu feiern. Das hört sich schwer nach Amy Macdonald an. Damit wird angedeutet, was sich nach 42 Minuten über das gesamte Album sagen lässt: Es ist gefälliger und poppiger als der Vorgänger. Die Trompete nebst ihrer von Katzenjammer zelebrierten kämpferischen Eigenart ist abhanden gekommen. Stattdessen kommt häufig  eine melodiöse Mundharmonika zum Einsatz. „Cherry Pie“ setzt auf 40s-Chic und besingt tatsächlich ein Kirschkuchenrezept. Das ist alles einprägsam, tempogeladen und zeugt von Spielfreude. Doch der Dixie-Chicks-Charme zügelt die bisherige immense Kreativität, schleift die Ecken und Kanten ab. Lediglich bei „Gypsy Flee“ lodert noch einmal das wilde Feuer der Experimentierfreude auf. Es ist, als hätte jemand die Ladies bei der Produktion an die Leine gelegt. Live bewiesen sie jedoch schon im Vorfeld, was sie aus den neuen Songs machen, wenn sie losgelassen werden. An vorderster Stelle ist das Genesis-Cover „Land Of Confusion“ zu nennen. Auf Platte ganz nett, live dringend, beseelt und mit verdammt viel Power. Überhaupt sind die neuen Songs live eine Achterbahnfahrt durch die Musikgeschichte – angefangen bei Swing bis hin zu rockiger Polka. Alles unbegrenzt. Das neue Album ist toll, aber begrenzt.

Janine Andert

Katzenjammer:  A Kiss Before You Go. Vertigo Berlin (Universal). Zu Homepage, Facebook (inklusive Albumstream) und MySpace .

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