Geschrieben am 17. September 2014 von für Musikmag

Jens Friebe: Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus

friebe_coverKleine Geschichten mit großer Geste

– Die Angst vor dem Ungeschehenen, der Veränderung, sie ist unser ständiger Begleiter. Wieso sich also nicht mit ihr verbünden, sie an die Hand nehmen und mit ihr ausgehen? Jens Friebe bringt den Schrecken auf den Dancefloor, damit er überhaupt zu etwas zu gebrauchen ist.

Zehn Jahre nach seinem Debutalbum ist Jens Friebe allgemeinhin als so etwas wie der ungeschlagene Meister der deutschen Popdramen anerkannt. Offene Bilder treffen bei ihm auf dichte Erzählungen, kammerspielartige Szenen werden zu epischen Märchen. Und wie alle Märchen, so ist auch Friebes Geschichte getrieben von der Veränderung. Mit „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“ schlägt er nun ein düsteres Kapitel auf, beschäftigt sich mit Übergangs- und Zwischenzuständen. Die Angst vor dem Wandel, dem Tod, dem Unabwendbaren, setzt er spielerisch um. Die Silvesternacht wird zur Szenerie der Apokalypse („Warum zählen die rückwärts, Mammi?“), der Traum zum Fluchtweg in die Utopie („Schlaflied“). Kleine Geschichten mit großer Geste. Nahtlos knüpft er an sein Vorgängeralbum „Abändern“ an, zeigt nun aber die finsteren und gewaltigen Facetten der Veränderung auf. Allein die Anordnung der Songs ist selbst eine musikalische Achterbahnfahrt, in der einem das Lachen im Halse steckenbleibt, nachdem man kurz zuvor noch unter Gänsehaut eine Träne vergoss.

Eine Sternstunde der Platte ist sicherlich das manische Stück „Ich wusste zu viel von euch“. Treibende Pauken führen die wunderbar verspielte Gesangsmelodie in einen völlig hysterischen, orchestral besetzten Refrain. Auch im sehr gelungenen Titelstück sind Arrangement und Instrumentierung alleine schon durch den Einsatz einer mittelalterlichen Flöte weit entfernt von üblichen Popkonventionen.

Wie man es von Friebe gewohnt ist, finden sich aber auch die üblichen Hits mit dem Hang zum Schlager („Hölle oder Hölle“), ins Deutsche übersetzte Adaptionen („What Will Death Be Like“) und zum Weinen schöne Balladen („Zahlen zusammen gehen getrennt“) auf der Platte wieder und runden sie ab.

Eingeweihte könnten kritisieren, dass unter den elf neuen Stücken viele bereits bekannt sind, einige sogar erschienen („(I Am Not Born For) Plot Driven Porn“ als B-Seite einer Bum Khun Cha Youth – Single, „Sei einfach nicht du selbst“ auf dem Sampler „Keine Bewegung“). Andere Songs stellen sich schnell als Platzhalter heraus. So will „Dein Programm“ nicht so recht in die sonst so streng durchkomponierte Düsterkeit passen und könnte allenfalls als eine Art musikalisch neu aufgegossenes „1984“ gelesen werden. Aber all das ist verzeihlich und ändert nichts an der Tatsache, dass Jens Friebe einmal mehr eines der besten deutschen Pop-Alben des Jahres vorlegt. Bei all den angstbesetzen Veränderungen in unseren Leben wenigstens eine Sache, auf die man sich verlassen kann.

Marcel Wicker

Jens Friebe: Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus. Staatsakt (Rough Trade).

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