“Die Manifestation des Kapitalismus in unseren Leben ist die Traurigkeit” – so lautet die Übersetzung für den akronymischen Titel “DMD KIU LIDT” der neuen Platte von Ja, Panik. Und auch sonst liegt die Großartigkeit dieses Albums hauptsächlich in den Texten, findet Tina Manske. Sänger Andreas Spechtl hat ihr per Mail ein paar Fragen beantwortet.
Freiheitsversprechen
– Es fängt schon mit dem ersten Song an: „This Ship Ought To Sink“: „Wohin ich blicke seh ich jemand, der sich für jemand anderen zum Trottel macht/ und ich befürchte, das hat sich nicht einmal, nein, das hat sich niemand ausgedacht“ – das ist u. a. der Blickwinkel des tausendfach duplizierten Großstädters in der morgendlichen U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit, wo es gerade so weitergeht, bis zum Abend, wenn er ins traute Heim und in die private Spießerhölle zurückkehrt, wo er das Leben lebt, das er für das richtige hält, weil andere es ja auch so machen. Schon mit den ersten beiden Sätzen bringen Ja, Panik das Prinzip des im Kapitalismus entfremdet lebenden Menschen ziemlich genau in den Blick. Kurz darauf dann der Refrain: Ihr könnt machen was ihr wollt, es bleibt doch wahr: „It’s just fair, this ship ought to sink“ – ein Satz, der mir zuletzt wieder in den Sinn kam, als ich von chinesischen Händlern las, die lebende Tiere als Schlüsselanhänger verkaufen. Ja, wir sind die Krankheit, an der die Erde herumlaboriert, aber ist das „Save the planet, kill yourself“, das Sänger Andreas Spechtl im Refrain skandiert, die Antwort? „Naja, es ist vielleicht als Gegenentwurf zum Erstarken von Grünen und Konsorten zu verstehen“, sagt er. „Weil dieser Satz, im Gegensatz zum konservativ-opportunistischen Geschwafel jener, dann doch radikalst die Systemfrage stellt. Und zwar die Frage nach dem System Mensch.“
Die Systemfrage, die stellen Ja, Panik jetzt schon zum wiederholten Mal, doch anders als auf ihrem letzten Album „The Angst And The Money“ versuchen sie es diesmal eher mit ruhiger Reflexion als mit Haudrauf. Gerne wird auch humoristisch an die wichtigen Fragen herangegangen, etwa, warum man eigentlich ein solch verkorkster Mensch ist – Antwort: „It’s all to blame on my family“ („Barbarie“) – die Gene halt. Den optimalen Hörer von „DMD KIU LIDT“ kann man sich als weißen männlichen Menschen in der Midlife-Crisis vorstellen, der es trotzdem nicht erwarten kann grau und alt zu werden (denn sterben will man ja dann doch nicht), „and all the wasted days and nights/ I will always keep them in my simple mind“. Sebastian, Christian, Thomas – Männer, die schon über ihren Namen für eine bestimmte Generation stehen (und eben nicht Kevin oder Marcel heißen), kommen öfter vor und bieten Identifikationspotenzial zuhauf. Aber was machen die Frauen? Spechtl beschwichtigt: „Naja, das stimmt so nicht, es kommen auch Frauen auf der Platte vor. Susi und Isabella zum Beispiel. Die Namen aus dem Song, den du ansprichst, sind die Namen der einzelnen Bandmitglieder. Es ist in gewisser Weise der einzig positive Lovesong auf der Platte. Ich denke vor dieser Idee fürchten sich die meisten männlichen Menschen im mittleren Alter eher.“
Vom amerikanischen Künstler Bruce Nauman gibt es die Installation „Room with my soul left out, room that does not care“, einen dunklen Gang, in dessen Mitte sich der Besucher ganz allein über bodenlosem Nichts wiederfindet: hat die Band daran gedacht, als sie ihr „The evening sun“ schrieben, in dem es heißt: „while I was sleeping in a room with my soul left out“? „Du bist die erste, die das erkannt hat, sehr schön! Ich denke Nauman geht es in seiner Installation um Isolation und um ein diffuses Angstgefühl, Dinge die uns auch seit jeher beschäftigen. Die Rolle des bodenlosen Nichts hat in unserem Stück die evening sun übernommen. Wir haben den Gedanken dann eher versucht ins positive zu wenden, die absolute Ausweglosigkeit gibt ja in gewisser Weise auch ein Freiheitsversprechen. Und zwar frei in dem Sinne, dass ich nichts mehr machen muss, mich nicht mehr entscheiden muss, alles stehen und liegen lassen kann. Weil es ganz einfach egal ist.“
Mit dem Albumtitel „DMD KIU LIDT“ haben Ja, Panik ein Stück Land besetzt, das frei war, das noch kein Zitat ist. Essenziell wie auch auf den Vorgängeralben ist die spezielle Sprache der Band, mit der ihr eigenen wienerischen Klangfärbung. Warum die Entscheidung für englische Texte? Spechtl: „Wir haben uns ja nicht für englische Texte entschieden, wir haben uns viel eher gar nicht entschieden. Unsere Texte passieren irgendwo zwischen dem Deutschen und dem Englischen. Es gibt hierfür aber keine festen Regeln, wie es uns in den Kopf kommt, so nehmen wir es an. Es ist dies aber natürlich auch, im wahrsten Sinne des Wortes, das Suchen nach einer eigenen Sprache, nach einer Ausdrucksform, an der noch niemand seine schmutzigen Finger gehabt hat. Dabei geht es uns entschieden nicht darum, wie eine englische oder amerikanische Band zu klingen. Wir stehen zu unserem Akzent, betrachten ihn als Klangfarbe. Man denke hier zum Beispiel an Nico, ohne diese seltsame Färbung würde ein ganz wichtiger Aspekt fehlen.“
Tatsächlich erscheint die amalgamisierte Sprache von Ja, Panik schon bald als äußerst organisch und ein guter Weg, um neue Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen, ohne dabei kryptisch zu sein. „DMD KIU LIDT“ hat trotz all seiner Reflexion aber natürlich doch einen klaren Standpunkt, und der besteht ganz sicher nicht darin, die Hände in den Schoß zu legen. Im beschwingten „Run From The Ones That Say I Love You“ wird einer Dame nahegelegt: „Get a car and a gun, ich wüsste nichts, was dagegen spricht“. Die so oft bemühten eingefahrenen Muster aufbrechen, das ist es wohl, was Ja, Panik umtreibt. Wenn die Liebe als Konzept nicht mehr trägt, dann kodieren wir Liebe einfach um. Umgekehrt ist „Suicide“ zum Beispiel ja ein extrem fröhlicher Song, beim Refrain möchte man rauf und runter hüpfen. Ist das das Pfeifen im dunklen Wald oder muss man – womit sich der Kreis zur Ausgangsfrage schließt – in unserem Zeitalter tatsächlich das eigene Ausschalten als Option begrüßen? Spechtl: „Ganz grundsätzlich geht es genau darum: in einer Welt die einen schaltet, verwaltet und produziert um reibungslos zu funktionieren, hat das Ausschalten etwas durchaus Anarchistisches. ‚Suicide is love‘ meint also: sag ja zum Leben!“ Und zu diesem Album!
Tina Manske
Ja, Panik: DMD KIU LIDT. Staatsakt (Rough Trade).
Die Website der Band. Ja, Panik auf Myspace und bei Facebook.