Großes HörspielKino statt Lyrikschlacht
– Vor fünf Jahren meldeten sich SANDOW mit dem für ihre Verhältnisse elektronisch verspielten Album „Kiong – Gefährten der Liebe“ (2007) nach acht Jahren Funkstille zurück. Nach Umbesetzungen und einer Live-DVD (2008) veröffentlicht das Quartett mit „Im Feuer“ das Album zum dreißigsten Jubiläum: Ein Hörspiel statt neuer Songs. Roland Klein sprach mit Mastermind Kai-Uwe Kohlschmidt über den Hintergrund der außergewöhnlichen Platte.
„Im Feuer“ ist das zweite Album nach der Reunion. Während „Kiong“ hinsichtlich moderner Elektronik und der Eingänglichkeit mancher Songs hartgesottene Fans verwirrte, kann die Veröffentlichung eines Hörspiels als Anknüpfen an alte Zeiten („KänGURU, Schluss mit dem Gottesgericht“) verstanden werden, oder täusche ich mich?
Es gibt da einen nichtlinearen Fluss von Mitteln und Surrealität, die leider alles und gar nichts sagen. Ich glaube, es ist nicht möglich, da Vergleiche zu ziehen. „Im Feuer“ ist ein Glücksfall, ein Angebot der ARD, sich selbst zu erzählen, aber als HörspielKino, nicht als Lyrikschlacht. Wir lebten immer davon, dass irgendwer auf uns zu kam und uns eine Tür öffnete, wo wir nicht wussten, dass es da überhaupt eine solche gab. Nachdem ich „Nanga Parbat“, mein erstes Hörspiel, beim HR produziert hatte, fragte mich mein Redakteur Manfred Hess nach dem nächsten Stoff. Ich hatte keinen, nur einen angefangenen Roman. Er ermutigte mich, dies als nächstes nachzuschieben. Das tat ich dann. Aber man muss wissen, dass wir in einer Art Nirgendwo hausen, also eigentlich nicht vorhanden sind. Die Realität ist ja für Leute, die mit Drogen nicht klar kommen, und diese Realität ermöglicht uns seit langem nicht mehr als Kontinuum zu existieren, also fortlaufend, sinngebend und künstlerisch zu arbeiten. Der Inhalt von Sven Regeners Wutrede ist für uns seit über 15 Jahren bedauerliche Wirklichkeit, nichts Neues leider, nur bemerkt es mal jemand.
Inwieweit drückt die „Wutrede“ Regeners für Dich etwas Wichtiges aus, das sonst im medialen Fokus untergeht?
Die Musikindustrie ist faktisch vor 15 Jahren zusammengebrochen. Die Majors haben sich auf ihr Kerngeschäft einer Kotzeküche zurückgezogen. Unsere Kinder hören dieselbe Musik wie wir in ihrem Alter, weil nichts mehr nachwächst. Denn die Entwicklung von Musik braucht Zeit und Budgets. Bukowski sagte mal, wir machen die Kunst, aber ihr werdet dafür bezahlen. Er meinte damit nicht nur Geld. Der Rahmen in dem das heute stattfindet, ist dem der DDR nicht unähnlich. Das Chinesische in einer formatierten Umgebung. Die notgedrungene Ernährung mit bereits mehrfach Erbrochenem. Ich kenne eine junge Band, die es mit Kunst versucht. Man wird nie von ihnen hören. Nun, so ist das eben. Freiheit ist ein Schwindel, den man bezahlen muss. Wir hingegen sind längst durchs Ziel. Die Rennbahn allerdings wurde abgerissen, man muss heute wieder auf einen Rübenacker. Anyway, das ist ja schließlich Jugendkultur.
In „Flüstern & Schreien“ äußerst Du die treffende Analogie, dass jeder Witz zur falschen Zeit in einer Diktatur bereits den Angriff auf das System darstelle. Doch das heutige System absorbiere alles. Hättest Du es für möglich gehalten, dass ein Gedicht noch einmal zu einer nationalen medialen Debatte führt?
Auch ich halte diese Welt für ungerecht eingerichtet, aber die Moralisten leider für langweilig. So geht mich Grass nichts an. Es riecht da immer nach Eitelkeit und wenig nach Scharfsinn. Ich habe da etwas Asoziales in mir, wenn ich mich mit moraliner Entrüstung konfrontiert sehe. Vielleicht ein Ostreflex, die Lehrer spinnen. Selbst wenn sie recht haben sollten, schläft man ein dabei. Hinzu kommt mein tiefes Misstrauen gegenüber jedweden Medien. Die erzählen einem viel, wenn der Tag lang ist. Ich bin halt Empiriker und muss es selbst gesehen haben. Ich könnte Dir profunde Auskunft über Pakistan, Venezuela oder Weißrußland geben. Ob es Grass, Israel und Iran überhaupt gibt, kann ich hingegen nicht verbürgen.
Auf der lyrischen Ebene sehe ich einen gewissen Bruch. Während Deine Texte sich stets der eindeutigen Interpretation verschlossen, stellt die Aufarbeitung der Bandbiografie gewissermaßen „tabula rasa“ dar – auch wenn Namen verändert und Geschehnisse verfremdet sind, steckt da doch viel Persönliches drin. Heiner Müller benutzte gern die Metapher der Maske. Die Maske fällt nun nach 30 Jahren weg – war das Schreiben der eigenen Bandbiographie ein schwieriger Prozess?
Ich schrieb das in drei Wochen runter, lässig und voll diebischer Freude. Ich hab wirklich viel gelacht dabei. Es war ein leichter Gang. Wir hatten mehr erlebt, als zu jeglicher Zeit erlaubt war, ganz klar. Doch wen kümmert das. Müller sagte mal, dass beim ersten Bild die Eimer noch umgekippt werden. In dieser Dichte erzählt sich auch „Im Feuer“. Müller war ein wunderbarer Anekdotenerzähler. In seiner Autobiographie „Krieg ohne Schlacht“ bekommt man einen Geschmack davon. Da wirst Du übrigens kaum Metaphern finden, wozu auch. Die Wirklichkeit ist köstlich genug, es bedarf keiner Künste. Den Eindruck hatte ich bei unserer Biografie ebenso. Das Ganze war die Metapher…Wenn die Wirklichkeit besser als eine mögliche Transformation in Kunst ist, musst Du als Autor die Zügel nur locker führen. Lass sie einfach kommen, die olle Realität, dann taugt sie auch mal was.
Mit Ronald Zehrfeld, Alexander Scheer und Lars Rudolph, um nur einige zu nennen, wirken prominente Schauspieler mit. War für diese SANDOW Neuland oder gab es bereits Berührungspunkte?
Nun, in unserem Fall sind die Jungs deshalb prominent, weil sie einfach gut sind. Wie man sich trifft im Leben, hat ja oft etwas zwanghaftes. Scheer erzählte mir, dass er in Wien in einem Hotel eine Woche lang „Flüstern & Schreien“ auf Endlosschleife laufen hatte. Sein Bezug zu uns war also tiefergreifend. Ich war sehr froh, dass er für die Rolle brannte. Er brachte dann Ronald Zehrfeld mit ins Spiel, und als dieser mein Studio betrat, war der Raum voll. Der ideale „Theissen“. Wir soffen zwei Nächte, und während Scheer und ich uns exponierten, bildete Ronald Zehrfeld so eine Art Kraftfeld, welches zum einen alles ansaugte, zum anderen alles schon längst in sich hatte, also nichts brauchte. Er war der Osten, physisch. Yes! Es waren die klassischen „Alles klar Kumpel“-Lebensbegegnungen. Mit Lars Rudolph verbindet mich eine längere Völkerverständigung. Wir sangen schon Mafia-Hymnen, als es noch keine Balkanbeats gab, kannten uns von früheren Hörspielproduktionen.
Es wird in diesem Jahr nur einen Live-Auftritt der Band geben, am 28.5. in der Volksbühne. Vor fast 20 Jahren feierte dort der Dok-Film „Flüstern & Schreien“ Premiere, der Feeling B, Rammstein und Sandow porträtierte. Rammstein spielte anschließend im Vorprogramm von Euch. Wie wird denn die Premiere von „Im Feuer“ ablaufen? Hörspiel und Konzert?
Rammstein hatte angefragt, aber wir brauchen heutzutage keine Vorband mehr. Wir haben ja unsere eigene Geschichte mit gebracht: „Im Feuer“. Für manche erscheint ein Hörspiel als unsexy, doch es ist eine ähnlich unterschätzte Kunstform wie Puppenspiel. Beide Sparten operieren im Grunde genommen mit den inneren Bildern des Rezipienten, also im günstigsten Fall mit der Freiheit, etwas in sich zu sehen. Auch die Volksbühne hatte angefragt, ob die Schauspieler das live machen würden. Nur dann wäre es mit den inneren Bildern vorbei. Man starrt dann auf Schauspieler an Tischen, eine Lesung mit Prominenten. Nein, wir werden mit Dunkelheiten operieren und jeder wird den Balaton anders sehen, in ein anderes Paris reisen als sein Nachbar.
Bis zur Auflösung 1999 waren stets die Einflüsse Artauds oder Tarkowskijs in den Texten verwoben. In der Phase 2 sind derartige Referenzen weniger deutlich. Was hat sich da in Deiner Rezeption verändert?
Artaud hat mir die Möglichkeit des sinnfreien Wortes eröffnet. Aber damit kommt man nicht immer auf den Punkt. Das ist eben Musik, ein Baustein, eine Möglichkeit, sich auszudrücken, da wo es mit konkreter Sprache nicht weitergeht. Songtexte an und für sich sind ja keine Lyrik, sie sind komplementäre Elemente. Sie ergänzen die Musik wie eine eigenständige Instrumentengruppe. Tarkowski hat mich als Filmemacher inspiriert. Vor allem sein Zeitbegriff. Meine Textsprache hingegen hat andere Vorfahren. Dazu zähle ich Heiner Müller, Bukowski, Nietzsche und Jim Morrison. Da hat sich eigentlich nichts geändert. Ich weiß aber, was Du meinst. Nehmen wir einen Text wie „Honey“, der ja nur aus einer Ansammlung dunkler Schmeicheleien besteht. Dieser Text komplementiert ganz klar einzig und allein die Musik und legt sich in die dort vorhandenen Vibes. Ich täte der Musik Gewalt an, hätte ich dort ein kryptisches Pamphlet philosophischer Selbstbefragung aufgetischt.
Fans, die Eure letzten Konzerte besucht haben, kennen seit Jahren neue Tracks wie z. B. „Wüste“ oder „New World Order“ – gibt es die Planung zu einem Album oder werden Sandow letztendlich die neuen Sisters of Mercy?
Das könnte passieren, ein Gedanke, der mir gefällt. Unsere lausige Marktsituation macht natürlich faul. Es verschlingt doch enorme Ressourcen an Zeit und Geld, so ein Album zu bringen. Am letzten haben wir noch zwei Jahre später die Kosten abgestottert. Das Studio ist eben eine kreative Baustelle und nicht nur ein Aufnahmeort. Nach zwei Monaten hat man dann ganz schön was auf dem Tacho. Darauf hat kein Schwein Lust, diese Verschuldungskiste wieder durchzuhecheln. Nichtdestotrotz haben wir das Material zur Hälfte stehen und waren dann durch die lange Krankheit von Tilman Berg erst mal in Standby. Er ist jetzt aber wieder vollständig genesen und wir haben keine Ausrede mehr. Ich sach ma, nächstes Jahr…
Sandow zu klassifizieren fällt schwer. Mal versuchen Journalisten, die Schublade „die anderen Bands“ aufzuziehen, wieder andere versuchen es, indem sie Euch in einem sehr artifiziellen, verkopften Kontext versuchen zu beschreiben. War diese Form von Unberechenbarkeit auch ein Grund für den ausbleibenden kommerziellen Erfolg der Band?
Ja, so wird es wohl sein. Aber es gibt da nichts zu bedauern. Es sind ja alles Relativitäten. Aus unserer Sicht werden wir uns nie mit der Popularität anderer messen können, aber wir sind nun mal Künstler, die sich nicht in der Massenkultur verorten. Zum einen vermehren wir ein eigenständiges Oeuvre, welches sich nur einem exklusiven Kreis Interessierter erschließt, zum anderen müssen wir uns nicht damit abplagen, uns noch mit 50 Jahren Musik und Text zu Sadomaso und anderen Poptabus auszudenken. Wenn Du einen Hit hast, wirst Du immer drauf festgenagelt. Das ist seit Jesus so. Wer sich nicht drum schert, wird davon nicht leben können. Aber wie wir von Henry Miller wissen, ist das erste Privileg des Künstlers Selbstmord.
Ronald Klein
Sandow feat. Alexander Scheer: Im Feuer. Hörspiel-CD.
Majorlabel.de/Broken Silence. Zur Homepage der Band.