Geschrieben am 19. September 2012 von für Musikmag

Enrico Rava: On The Dance Floor

Spratzelnde Rockgitarre, turbodynamische Trompete

– Michael Jackson trifft Enrico Rava; Pop triftt Jazz(-Avantgarde): Thomas Wörtche über ein großartig ausgedachtes und gemachtes Live-Album.

Kann ja wirklich sein, das Enrico Rava beim Anhören von „Smooth Criminal” ein definitiv ansteckendes Riff gefunden hat oder wie andere herzige Geschichtlein um das Entstehen des Projekts lauten mögen – im Endeffekt ist nur wichtig, dass Rava, der ja für musikalische Finessen, erlesene Atmosphären, rigorose Originalität und intellektuelle Stringenz bekannt ist, open minded genug ist, sich für Michael Jacksons Musik zu interessieren und sie auf ihre musikalische und nicht so sehr auf ihre performative Substanz abzuklopfen.

Tatsächlich gehören auch die Jackson-Exkursionen, die Rava mit einer brillanten jungen italienischen Bigband – nur am Klavier sitzt sein „regulärer“ Pianist Giovanni Guidi – zu der Sorte Musik, in die man sich hineinhören muss, die sich eben nicht selbstverständlich erschließt, wie das bei einem Pop-Tune von Michael Jackson konstitutiv sein muss, weil das Teil sonst schließlich kein Hit werden kann. Sehr schön kann man das bei „Thriller“ verfolgen, so spröde und subtil wie sich Ravas Version anlässt.

Was aber auf keinen Fall heißen soll, die ganze Produktion sei spröde und zu subtil. Im Gegenteil, Rava und seine Leute lassen es richtig krachen. Manchmal überblasen und kreischen die Saxophone so irre wie weiland beim Globe Unity Orchestra, manchmal spratzelt die Rockgitarre von Marcello Giannini, als ob er das Wort „Jazz“ noch nie gehört habe, und auch die Soli des Chefs auf der Trompete kommen oft sehr massiv, feurig und turbodynamisch rüber. Oder in langen, lyrischen Linien, die für Rava nicht, fürs Material, wie zumal „Smooth Criminal“, aber eben doch ungewöhnlich sind.

Aber auch eine schon beinahe 1:1 Option gibt es: „Smile“, die Charlie-Chaplin-Hommage von Michael Jackson als Michael-Jackson-Hommage von Enrico Rava – mit viel Nostalgie, die natürlich so unironisch auch nicht ist.

Und nur beim ersten, flüchtigen Durchhören ist man ein bisschen irritiert, über die vielen Anklänge, die in den Arrangements von Mauro Ottolini aufscheinen und wieder verschwinden: Echos von Carla Bley, der Don-Ellis-Big Band, Nino Rota, Quincy-Jones oder ein paar Neal-Hefti-Ideen. Aber auch das alles integriert sich sinnvollerweise in den Gesamtzusammenhang einer ziemlich clever und großartig ausgedachten und gemachten CD – Michael Jackson und Enrico Rava, Pop und Jazz(-Avantgarde): Antagonismen, die, wenn sie in ein kreatives Verhältnis zueinander geraten, plötzlich keine mehr sind.

Thomas Wörtche

Enrico Rava: Rava on the Dance Floor.  Enrico Rava & Parco della Musica Jazz Lab live at the Rome Auditorium. ECM 2012. 15,99 Euro. Hörproben hier.

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