Geschrieben am 27. April 2011 von für Musikmag

Do the Duo

Janine Andert (JA) und Christina Mohr (CM) treten in dieser Woche als Rezensenten-Duo auf, das sich ausschließlich mit musikalischen Duos befasst, und zwar mit Cat’s Eyes, Moon Duo, Matt and Kim, No Joy und The Kills…

Cat’s Eyes: Cat’s EyesPop findet zu seinen Wurzeln

Was passiert, wenn sich eine kanadische Opernsängerin und ein englischer Rockmusiker treffen? Klar, sie gründen eine Band namens Cat’s Eyes und basteln gemeinsam an einem betörenden 60s-Sound, der in der Tradition von The Jesus and Mary Chain ordentlich zerschreddert wird.

Alles begann herzerweichend im Jahr 2009. Rachel Zeffira, ihres Zeichens Sopranistin und Multiinstrumentalistin (die lauern überall, diese Alleskönner!), und Faris Badwan, Frontmann von The Horrors, wurden einander vorgestellt und verwickelten sich sogleich in leidenschaftliche Musikgespräche über 60er-Jahre-Girlgroups. Das Problem der Horrors war ja immer, dass die Jungs sich zwar für den Garagensound begeisterten, aber die Damen fehlten. Daher wählten sie eine ganz andere Richtung: Bei ihrem Album „Primary Colours“ (2009) wurde ein ordentlicher Noise-Teppich über New-Wave-Anleihen gelegt. Aber Faris kannte ja jetzt Rachel, der er einen Sampler mit all seinen Girlgroup-Lieblingsliedern zukommen ließ. Rachel war wiederum so beflügelt, dass sie gleich das Demo zu „The Lull“ aufnahm, dass sich im Original stark nach den Shangri Las angehört haben soll, und an Faris schickte.

Dieses Hin- und Herschicken gewann ein Eigenleben, das soweit führte, dass sie zusammen Songs schrieben – Teenagerballaden, die sich im Sinne aller großen Pop-Songs um die Höhen und Tiefen der Liebe drehen. Gar nicht so einfach, denn einerseits soll das leicht klingen und andererseits sämtliche Beziehungsphasen abdecken. Den beiden ist auf ihrem Debüt dann auch die Glanzleistung gelungen, in Songs von Beginn bis Ende große Gefühle zu zaubern, dabei aber simpel und auf den Punkt verständlich zu bleiben. Eben große Popsongs, die ohne philosophisch-literarische Tiefen auskommen und trotzdem nicht in grenzdebile Belanglosigkeit abgleiten. Allein der Bandname Cat’s Eyes verweist auf dicke Eyeliner in der Schminkmode für Frauen Mitte der 1960er-Jahre. Und dann der Einstieg in das Album: Laszive Erotik mit Beat-Club-Appeal und weiblichen „Uh-uhs“ im Hintergrund. Hinreißend! Dabei aber mit einem Touch neuem Sound versehen, sodass der Sprung ins Hier und Jetzt mit Bravour geschafft wird. Denn Faris intervenierte irgendwann. Seiner Auffassung nach war es recht sinnlos, etwas bereits vorhandenes nur zu kopieren. Die beiden wollten ja schließlich keine Coverband gründen. Da lag es nahe, den Noise und die Feedbackschleifen der Horrors über die Songs zu legen. Rachel singt also mit glasklarer Stimme den Girlband-Sound ein, instrumentiert mit Virtuosität eine Reihe von Instrumenten wie Piano, Oboe, Tambura und Orgel, um dann alles von Faris durch den Mixer jagen zu lassen. Die Originaltöne sind am Ende so verfremdet, dass man im Begleittext den Ursprung nachlesen muss.

Aber das Schönste an Cat’s Eyes ist, dass das eigentlich vollkommen egal ist. Das Resultat ist ein eingängiges Mitsingalbum für jede Liebeslage. Die Texte sind so kongenial in ihrer Einfachheit, dass sie einem aus der Seele sprechen. Von „you are the best person I know“ über „you’re not anyone at all“ kann aus tiefstem Herzen mitgröhlt werden, je nach Liebeslage halt. Und “Bandit”, die Hymne, die bei jedem erschießungswürdigen Womanizer als Hintergrundmusik anspringen sollte, möchte frau so manchem männlichen Wesen an den Kopf schmeißen – wenn der Song nicht viel zu schön und damit viel zu gut dafür wäre. Oder umgekehrt, jeder Mann sollte ein schlimmer Herzensbrecher sein, damit dieser Song nicht nur musikalisch mitgefühlt werden kann.

Auf „Cat’s Eyes“ findet sich von zuckersüßem Pop über hochgradigen Pathos bis hin zu düsteren Streicherverzerrungen alles, was das Herz begehrt. Die Assoziationsketten zu bekannten Hits oder Musikrichtungen sind zahllos, aber beabsichtigt. „over you“ erinnert zum Beispiel an „Aquarius“ aus dem Musical Hair. Genau das macht den Charme des Albums aus: Jeder Song fühlt sich vertraut und warm an, als würde er schon lange zu einem gehören. Das soll so. Gleichzeitig sind es gerade die Ausbrüche aus den Hörgewohnheiten wie in „sooner or later“, die dieses Debüt aus den Sphären beliebiger 60s-Adaptionen herausreißen. Die melodiösen Duette warten mit viel Glitzer und Tamtam auf und sabotieren den fulminant produzierten Showtreppenauftritt mit elektronischer Hacksäge aus dem Rückhalt. Bildlich gesprochen steht da ein Wesen auf der Bühne, das aussieht wie die junge Marianne Faithfull, das Orchester (mit ganz viel Geigen!) spielt im Hintergrund auf und hübsche Damen trällern dazu süße Ah-ah und Uh-uhs. Dann springen My Bloody Valentine auf die Bühne und schrauben ein wenig am Sound dieser Herzschmerzsymphonien herum.

Rachel Zeffira und Faris Badwan machen alles richtig. Sie durften sogar schon einen Song von Nick Caves Band Grinderman covern. Und wenn Pop wie hier wieder zu seinen Wurzeln zurückfindet, kann man auf Indie getrost verzichten und Pirouetten drehender Popmusik frönen. (JA)

Cat’s Eyes: dito. Loog Records/Cooperative Music (Universal).
Die Band bei Facebook und auf Myspace sowie ihre Website.
Ein Video gibt es hier zu sehen und bei Soundcloud kann man in die Musik reinhören.

Moon Duo: MazesMeditation für Großstadthektiker

Irgendetwas muss im Jahr 2009 in der Luft gelegen haben. Neben Cat’s Eyes fand sich auch das Moon Duo. Letztere sind ein Liebespaar. Im Doppelpack feilen Ripley Johnson und seine Freundin Sanae Yamada an einem dunklen, psychedelischen Space-Rock-Sound mit repetitiven Krautrockanleihen. Im Gegensatz zu den bis dato in Heimarbeit aufgenommen Singles veröffentlichen sie nun ihr professionell abgemixtes Debütalbum „Mazes“. Der straighte, vorwärts reißende Klang ist jedoch weit entfernt von Irrgärten. Ohne Schlagzeug, dafür aber mit viel Synthesizer-Orgel treibt der geradlinige Sound weg von den finsteren Sphären ihrer Anfänge gen Licht am Ende des Tunnels. Dabei begann die Reise in San Francisco, führte über Berlin, wo „Mazes“ abgemischt wurde, nach Colorado. Glaubt man dem Tempo des Albums, haben die beiden die Irrwege aber mit Ripleys virtuosem Gitarrenspiel und viel Rhythmus verdammt schnell gemeistert. Und bei den stoischen Loops und Soundschleifen können sie sich nie wirklich weit vom Weg entfernt haben.

Diese Monotonie ist es nun, an der sich die Geister scheiden – entweder sie begeistert in ihrer Vehemenz und Kraft oder sie langweilt. In jedem Fall zieht sie sich stringent durch das gesamte Album. Rhythmisch und atmosphärisch stand wohl New Orders „Crystal“ Pate für den musikalischen Duktus der Band. Dabei muss klar gesagt werden, dass das Moon Duo nicht an die Größe von New Order heranreicht. Das können aber die wenigsten von sich behaupten. Dennoch ist „Mazes“ eine schöne Meditation mit 80er-Verweisen für Großstadthektiker. (JA)

Moon Duo: Mazes. Souterrain Transmissions (Rough Trade).
Die Homepage des Duos. Moon Duo bei Facebook sowie auf Myspace.

Matt and Kim: SidewalksParty auf dem Gehsteig

Ein amerikanisches Duo, eine Frau, ein Mann. Sie sitzt am Schlagzeug, er macht den Rest – das können nur die White Stripes sein, richtig? Nein, erstens haben sich die White Stripes aufgelöst, und zweitens ist Meg White nicht die einzige Duo-Drummerin der Welt. Bei Matt and Kim aus New York zum Beispiel haut Kim Schifino auf die Pauke, während ihr Partner Matt Johnson singt und Keyboard spielt. „Sidewalks“ ist das dritte Album des Pärchens, das mit dem Vorgänger „Grand“ einen echten Achtungserfolg landete: 100.000 verkaufte Exemplare, Platzierung in den Billboard-Charts, umjubelte Auftritte weltweit.

Das Konzept von Matt and Kim ist einfach, aber überzeugend: hymnische Popsongs, die eher nach Britpop à la Wombats klingen als nach Brooklyn Bounce, fiepende Keyboards, schepperiges Schlagzeug und Refrains zum Mitsingen, fertig. Okay, manchmal schmuggelt sich ein angedeuteter Hip-Hop-Beat dazwischen, es ertönen auch mal Streicher wie bei „Where You´re Coming From“ oder satte Bläser auf dem Schlusstrack „Ice Melts“.

Insgesamt aber hat Producer Ben Allen (Gnarls Barkley, Animal Collective) vor allem darauf geachtet, dass die Stimmung easy und locker bleibt und keine schweren dunklen Wolken die gute Laune trüben. Als wären die Moldy Peaches kein Antifolk-, sondern ein Pro-Pop-Duo gewesen. Matt singt in „Silver Tiles“: „And all our hopes / And all our friends / Through Parking Lots / It´s Where We´ve Been“. Perfekt für die Party auf dem Gehsteig, für den längeren Gebrauch ein bisschen zu cheesy. (CM)


Matt & Kim – Cameras (Official Video) von PIASnites

Matt and Kim: Sidewalks. Fader/Different Recordings (Pias).
Die Website von Matt and Kim. Das Duo auf Myspace und bei Facebook.

No Joy: Ghost BlondeShoegaze reloaded

Im Sommer erscheint Simon Reynolds‘ neues Buch „Retromania“, das sich mit der Frage befasst, warum viele junge Bands so klingen, als hätten sie ihre Platten vor über zwanzig Jahren aufgenommen. Bisher wurde die Musik jedes Jahrzehnts wiederentdeckt, von Garagenbeat über Psychedelik, Hippiefolk, Disco, Punk und Elektropop. Für die nächsten Monate wird das große Grunge-Revival erwartet. Auch Laura Lloyd und Jasamine White-Gluz alias No Joy aus Montreal bedienen sich ausgiebig an der Musik früherer Tage, „shoegaze reloaded“ wäre ein passendes file-under-Label für ihr Debütalbum „Ghost Blonde“. Bands wie Lush, My Bloody Valentine, Galaxie 500, Sonic Youth und The Jesus and Mary Chain standen unüberhörbar Pate für No Joys Mischung aus Twee, Noise und Shoegaze.

Viele, viele Soundschichten werden aufeinander gelegt, die Vocals kommen von ganz weit her, der Bass vibriert, die Melodien schimmern. Und doch kratzen No Joy an den Rändern und in der Mitte ein bisschen tiefer als vergleichbare Bands wie Tamaryn oder Mountain Man: handfeste E-Gitarren bringen Drive in „Maggie Says I Love You“, „You Girls Smoke Cigarettes?“ oder „Still“, das wie eine watteweiche, dabei sehr energiegeladene Neuauflage der Breeders klingt. Das so statische wie schwebende „Indigo Girls“ dagegen ist Shoegaze in Reinkultur, ätherisch, berückend und schön, man verdrückt glatt ein Tränchen dabei. Aber warum? Ist es nur die Erinnerung an vergangene Zeiten? Mister Reynolds, bitte übernehmen Sie… (CM)

No Joy: Ghost Blonde. Mexican Summer/Cooperative (Universal).
Das Duo bei Facebook und auf Myspace.

The Kills: Blood PressuresThe Kills: Blood Pressures

Man hatte ja einige Befürchtungen, was das neue, vierte Album von The Kills anging. Jamie Hince sah man in letzter Zeit nur noch als Kate Moss‘ Begleitung in der Gala, Alison Mosshart schien mit ihren Nebenprojekten wie der All-Star-Band Dead Weather gut ausgelastet. Doch alle Sorgen sind unbegründet, The Kills sind nach wie vor das coolste Duo des Planeten, nur ihre Musik hat sich ein bisschen verändert: „Blood Pressures“ ist das bisher abwechslungsreichste, vielschichtigste und auch harmonischste Album der Kills. Weniger knochentrockener Blues, mehr Pop – auf diesen kurzen Nenner lassen sich die elf neuen Songs bringen.

Wer jetzt denkt, das sei nur eine andere Bezeichnung für ein unentschlossenes Middle-of-the-Road-Produkt, soll sich bitte mal „Future Starts Slow“ oder „Heart Is A Beating Drum“ anhören, wo der typisch unmittelbare, roh-rumpelnde Kills-Punkgestus auf elektronische Beats und großartige Melodien trifft. The Kills haben ihr minimalistisches Instrumentarium (Gitarre/Bass, Drum-Machine, Gesang) um Gospelchöre, Piano und Streicher erweitert, was den Songs sehr gut tut, ohne dass der dringliche Sound verloren ginge. Man konnte sich kaum vorstellen, dass The Kills jemals andere Musik spielen würden als skelettierten Blues-Punk, aber es funktioniert fantastisch.

The Kills sind das beste Beispiel dafür, dass die Mitglieder einer Band ruhig mal getrennte Wege einschlagen sollten. Wenn man sich später wieder trifft, hat man sich doch wieder mehr zu sagen – oder vorzuwerfen: Alison Mossharts Stimme ist fordernd, wütend und sexy, Hince ihr abgekämpfter, liebeskranker Gegenpart, und ob sie zusammen oder allein besser dran wären, lässt sich bei Songs wie „Nail In My Coffin“ oder „Damned If She Do“ nicht wirklich ausmachen. Anziehung, Verzweiflung, Tränen, Schweiß und Begierde – daraus bestehen die Liebeslieder der Kills, denn Liebeslieder sind es, egal wie rotzig und schmutzig sie klingen. Der letzte Track, „Pots and Pans“ ist eine von Mosshart zur Akustikgitarre gesungene Küchenmetapher – dafür, dass sie in ihren Töpfen und Pfannen nicht mehr genug Liebe für ihren Partner findet. Das ist fast schon Folk, und auch der gelingt den Kills sehr gut. (CM)

The Kills: Blood Pressures. Domino (GoodToGo).
Die Band bei Facebook und auf Myspace. Die Website von The Kills.


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