Der Boogie Boy
– Tagsüber am Lehrerpult, abends in Musikkneipen am Klavier: Der Boogie-Pianist Marcus Paquet ist ein genialer Autodidakt, der sein Publikum auch als Sänger begeistert – Jerry Lee Lewis läßt grüßen. Von Peter Münder
Das Rahstedter Arcaden-EKZ, in dem Marcus Paquet jetzt mit einem mitreißenden Boogie-Abend zum Tag der Musik (organisiert vom Kulturwerk Rahlstedt) auftrat, ist nicht gerade als swingender Hort der schönen Künste oder als ideales Performance-Zentrum bekannt. Aber als der Boogie-Spezialist aus Neugraben sich jetzt an das verschrammte, für den Zweimetermann mit den langen Beinen viel zu klein geratene Klavier hockte und in die Tasten haute, war das Pubikum sofort elektrisiert.
Die sonst eher mürrischen Schnäppchenjäger merkten sofort, dass sie es hier mit einer musikalischen Ausnahme-Erscheinung zu tun hatten: Wer sonst würde sich so locker auf Spontaneinlagen des plötzlich auftauchenden Teufelsgeigers Helmut Stiarnig einstellen, der sich hier in bester Django Reinhardt-Manier produzierte? Marcus Paquet begeistert schon mit den ersten Boogie-Rhythmen, die er so vital und gut gelaunt in die Tasten hämmert sein Publikum und läßt aus griesgrämig dreinblickenden Gestalten enthusiastische, strahlende Zuhörer werden. Sie schnipsen sofort mit den Fingern und stampfen auf den Boden, wenn der Boogie Boy eine alte Jerry Lee Lewis Nummer wie „Great Balls of Fire“, den melancholischen „Pine Top Boogie“ aus den 30er Jahren oder den Ray Charles-Hit „I´ve got a woman“ spielt. Und sie staunen nicht schlecht, wenn er mit der linken Hand lässig die typischen Boogie-Grundakkorde spielt und sich mit der Rechten ein Glas Wasser in den Mund kippt.
Den Saxophonisten Uve Jansen, den er gerade bei Aufnahmen für Dominic Julius´ Dokumentarfilm über die Hamburger Boogie-Szene kennenlernte, hat er zum Mitspielen eingeladen – das Duo harmoniert wunderbar, was vielleicht am moderaten Bebop-Stil des Bläsers liegt, der die furiosen crescendos des Pianisten souverän abfedert. Der Pianist strahlt das Publikum an, fordert es zum Mitsingen griffiger Refrains auf und quatscht ziemlich dreist die hübschesten Mädchen an, die hier noch auf Shoppingtour sind und durchs Foyer flanieren. „Hätte ja klappen können“, meint er grinsend, als wieder eine feurige Rahlstedter Carmen unbeeindruckt von seinen Lockrufen zur Budnikowski-Ecke weiterschluft. Zwei junge Männer tauchen plötzlich im Foyer auf, schwingen wie ein Ballett-Duo ihre aufgerollten Regenschirme, als wären sie von Fred Astair zu einer „Singing in the Rain“-Nummer angeheuert, dann springen mehrere Paare aus ihren Sitzen hoch und fangen an, temperamentvoll zu tanzen –Platz genug haben sie ja in der rieisigen EKZ-Passage. Die sonst eher drögen Rahlstedter sind nun jedenfalls völlig außer Rand und Band.
„Das liegt natürlich alles am Boogie“, meint Marcus Paquet, 31, „wenn ich morgens mit dem Auto in die Schule fahre, schiebe ich mir ja auch erst mal eine CD von Jerry Lee oder Johnny Cash rein, komme dann auf Touren und bin in bester Stimmung, wenn ich vor meine Klasse trete“. Er ist schon eine optimistische, lockere Frohnatur, dieser sympathische Boogie-Boy, der an der Hamburger Wichern-Schule Deutsch und Geschichte unterrichtet. Er möchte offenbar möglichst viele Musik-Fans am euphorisierenden Boogie-Erlebnis teilnehmen lassen-jedenfalls ist „Let the good times roll”, das er meistens als erstes Stück aufführt, auch seine Lebensphilosophie.
Als er in der herrlich dekadenten Hafenkneipe „Elbblick“ auftrat, konnte man direkt miterleben, wie er zufällig hereingeschneite Boogie-Fans, die auch mitspielen wollten, ermunterte: „Klar, hol Deine Trompete her“, meinte er zu einem Amateurmusiker, der sich dann beglückt neben einen Saxophonisten stellte und meistens an den falschen Stellen Paquets munter herunterperlende Boogie-Kaskaden mit schrillem kakophonen Staccato-Gequake unterbrach. Dabei hatte sich vorher schon ein strahlender Trommler eingeklinkt, der beschwingt auf eine quadratische Holzbox klopfte, auf der er den Boogie Boy begeistert begleitete. Die Box entpuppte sich als peruanische Trommel, die sowohl zarte Hochtöne als auch dumpfe Bässe produzierte und die dynamischen Bassläufe und herrlichen Hochtonpirouetten, die Marcus Paquet aus dem alten Klavier herauskitzelte, harmonisch ergänzten.
Paquet tritt aber auch mit dem Gitarristen Stephen Foley oder dem Bluesharp-Spezialisten Johan Lange auf, mit denen er perfekt eingespielt ist. Seine natürliche Spontaneität und die Sympathie für mitwirkende Hobbymusiker können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Vollprofi agiert, der das gesamte moderne Jazz-, Rock-und Boogie- Repertoire locker beherrscht und dem bei jedem Takt eine ungeheure Lebensfreude anzumerken ist.
Unglaublich, dass Marcus Paquet, der übrigens Oldtimer-Fan ist und einen knapp 30 Jahre alten Mercedes fährt, erst vor zehn Jahren mit dem Klavierspielen anfing. „Ich hatte zwar schon als Achtjähriger begeistert Jerry Lee Lewis, Ray Charles und Elvis gehört, fing aber erst als 20Jähriger mit dem Klavierspielen an. Da ich keine Noten lesen konnte – das kann ich immer noch nicht – suchte ich mir einen Lehrer, der mich nach dem Learnig-by-Doing-Prinzip unterrichtete.“ Er kann auch wunderbar singen und betört mit seinem herrlichen Bass das Publikum, obwohl er nie Gesangsunterricht hatte. Seine Gigs werden nun immer zahlreicher, neben Auftritten im Buxtehuder Brauhaus, in der Fabrik, im Cotton Club oder dem „Schellfischposten“ am Hafen war er auch beim großen CCH-Jazz-Marathon dabei, inzwischen war er auch schon zweimal zu finnischen Jazz- und Boogie-Festivals eingeladen . Auch eine CD hat er produziert, die er bei seinen Gigs verkauft – keine Frage, dass der begnadete Boogie-Boy noch eine große Karriere vor sich hat. Aber diese Prognosen kontert er meistens mit lockeren Sprüchen: „So groß wie Joja Wendt, Vince Weber oder Axel Zwingenberger werde ich bestimmt nicht rauskommen, aber mal sehen, wie die Mucke so läuft!“
Stark geprägt hat ihn der Hamburger Boogie-Meister Jo Bohnsack, bei dem er schon sehr früh mitspielen durfte und dem er viel verdankt. Paquet ist zwar kein „Killer“-Imitator, aber einige tolle Marotten vom verehrten Jerry Lee hat er übernommen: Während er mit der linken Hand die tiefen hämmernden Akkorde beschleunigt und mit der rechten Hand rasende Triolen-Pirouetten herunterwirbelt, reißt er schließlich den rechten Arm mit einer abrupt- dramatischen Geste in die Luft, rückt den Hocker etwas zurück und lässt die Hacke des rechten Fußes über die Tasten wischen – der „Killer“ lässt grüßen. Mit dieser kleinen Einlage kann er die Zuhörer immer begeistern. Bei seinen Auftritten sieht man statt Noten auf dem Klavier nur einen abgegriffenen Schmierzettel in einer Zellophanhülle am Boden neben dem Hocker liegen, auf dem er über hundert Boogie-, Blues- und Rock´n Roll-Titel aufgelistet hat. Mit einem schnellen Blick auf irgendeinen Titel ruft der Boogie-Boy dann sofort Musik und Text ab, schon rasen die Finger über die Tasten, ertönt sein wohlklingender Bass und ab geht die Post: „Shake baby, shake! Come on baby!”
Peter Münder
Die Homepage von Marcus Paquet finden Sie hier.