Geschrieben am 26. März 2014 von für Musikmag, Porträts / Interviews

Darski und Gombrowicz (Adam „Nergal“ Darski im Interview)

Nergal 1Kunst und Metal: Über eine Begegnung aus laizistischer Sicht

– Dieser Text entstand nach einem Interview mit Adam „Nergal“ Darski, welches am 15. Februar 2014 in Bochum geführt wurde. Dort traten Behemoth mit einigen Bands zusammen auf: Cradle Of Filth als Ko-Headliner und drei weitere Acts vor einem sehr gefüllten Matrix-Klub. Von Alina Strzempa

Zunächst möchte ich anmerken, dass diesem Text eine „laizistische“ Sicht innewohnt, denn seine Autorin hat keinen Bezug zum Metal und betrachtet sich selbst als uneingeweiht. Sie ist aber lebhaft daran interessiert, wie ihre Heimat Polen heute tickt und was ihre Identität ausmacht. Adam Darski liefert zu dieser Problematik einen umfangreichen Stoff – davon „erzählt“ uns z. B. die Einbettung des Zitats aus Witold Gombrowicz in die Komposition „In The Absence Ov Light“ auf dem aktuellen Album „The Satanist“ (2014).

2009 wurde Darski zum Stammgast des polnischen Showbiz, was manchen ermöglicht, sich einen gnadenlos unmittelbaren Einfluss auf die weltanschaulichen und politischen Prozesse eines Landes zu verschaffen. „Während seiner Konzerte tritt er in dämonischer Kriegsbemalung und in Lederkostümen auf. Außerdem mag er ab und zu, ein Exemplar der Bibel zu verbrennen. Zudem ist er ein normaler, kahl werdender Mann über 30“ – so begrüßte das führende polnische Klatschportal pudelek.pl Darski.

Seitdem wird der Ausdruck der Death Metal-Kapelle Behemoth mit ihren immer anspielungsreicher werdenden Mitteln (das Okkulte – das Mythologische – das Symbolische) an der Bewusstseinsoberfläche des polnischen Normalsterblichen gespeichert. Darauf folgen die Skandale – es tauchen Menschen auf, deren religiöse Gefühle verletzt werden. Der emotionale Mangel an Distanz und Respekt zum künstlerischen Ausdruck wird von Darski als Inbegriff polnischer Rückständigkeit angedeutet.

Ohne zahlreiche mediale Geschichten der letzten Jahre gäbe es, meines Erachtens, Witold Gombrowicz im Stück „In The Absence Ov Light“ nicht. In diesem Stück „growlt“ Darski mit Landschafts-Metaphern gefärbte Verse, in denen er zur Symmetrie in der Welt auffordert, zur Wiedergewinnung des Stolzes aufruft und zugleich die Herrschaft des Chaos besingt, das die „Arterien der Moral“ infizieren soll. Und dazu ein Interludium aus Gombrowiczs Theaterstück „Die Trauung“ (1953). Darski liest es nach einem kurzen Lachen und einem höhnischen Seufzer vor. Und es lautet wie folgt:

Ich verwerfe jegliche Ordnung, jegliche Idee,
Ich traue keiner Abstraktion, keiner Doktrin
Ich glaube nicht an Gott noch an die Vernunft!
Genug dieser Götter! Gebt mir den Menschen!
Er sei, wie ich, trübe und unreif
Unvollendet, dunkel und unklar
Daß ich mit ihm tanze! Spiele! Kämpfe!
Ihm etwas vormache! Mich bei ihm einschmeichele!
Ihn ficke, mich in ihn verliebe, auf ihm
Mich immer neu erschaffe, und an ihm wachsend
Mir selber eine Trauung gebe in der
Menschenkirche!

Witold Gombrowicz (1904-1969) hat sein Leben seit 1939 im Ausland verbracht, und dieses Leben wurde einem Kampf mit jeglicher Forma (die Form – als eine philosophische Kategorie immer in den Schriften Gombrowiczs großgeschrieben, was eine Art der Andeutung im Polnischen ermöglicht) gewidmet. Im Vorwort zur „Trauung“ sagt er, das einzige Göttliche im Menschen wird aus den Menschen gemacht. Und dies vollzieht sich durch den Konflikt mit den verschiedenen Formen, deren Träger wir sind und die unsere Weltsicht verzerren (deformują).

Sobald man sich in Gombrowiczs Tagebücher (1953-1969) einliest und davon begeistern lässt, wie er in seiner Fehlanpassung wie ein Pferd ausgeschlagen hat während unzähliger Begegnungen mit unzähligen Milieus… Kurzum: Es eröffnet sich vor unseren Augen ein Panorama des Paradoxes. Denn Adam Darski wendet sich an oder gegen seine Feinde (Forma, Forma, Forma oder pupa, pupa, pupa! – Popo, Popo, Popo!, wie Gombrowicz selbst konvulsiv ausrief) inmitten seiner grausamen und erschreckenden Forma mithilfe eines Zitats aus dem Werk eines Mannes, dessen Motto es war, die Forma nackt zu machen, d. h. sie um jeden Preis und „am liebsten“ schon in ihrer Entstehungsphase zu ergreifen.

Und Darski selbst? Ich gehe davon aus – wer weiß, vielleicht auch falsch, unnötig und überflüssig –, dass Darskis Verwendung des Zitats einen durchdachten „bildungspolitischen“ Zweck hatte. Und welchen genau? Das möchte ich von ihm erfahren. Daher bitte ich ihn, mir die Entstehungsgeschichte von „In The Absence Ov Light“ zu schildern, und kurz danach „stoßen“ zwei Zugangsweisen aufeinander:

Darski: „Diese Geschichte mit Gombrowicz fing natürlich im Lyzeum an, doch damals wäre ich in den wildesten Träumen nicht darauf gekommen, dass es zu einem mariaż mit seinem Werk kommen könnte. Doch, wie es sich heute herausstellt, ist unsere Musik mit seiner Lebensphilosophie komplementär. Als ich an dem letzten Album gearbeitet habe, las ich sehr viel aus den Tagebüchern. Es hat mich so wunderbar stimuliert. Daraus habe ich ein sehr gutes Wissen für mich geschöpft. Als wir an dem Stück „In The Absence Ov Light“ gearbeitet haben, fühlte ich, es muss dort etwas Außerordentliches, etwas Lyrisches passieren. Es ist ein Pausenfüller, auf den man in dem Stück wartet, es ist die Lösung dieses Stücks. Ich ging spontan auf dieses Zitat ein. Ich sperrte mich im Studio ein, die Kerzen brannten, mein einziger Begleiter war ein Totenschädel (Lachen) und ich machte mich an die Rezitation. Das Ende der Geschichte! (Lachen)

Ich: In welchem Sinne ist aber die Lebensphilosophie Gombrowiczs mit Metal komplementär?

Darski: „Ich weiß nicht, in welchem Verhältnis sie zum Metal steht, denn ich betrachte mich nicht als Vertreter der Metal-Subkultur. Ich heiße Adam „Nergal“ Darski und ich betätige mich künstlerisch – so und nicht anders. Die Musik, die ich spiele, ist eine Emanation meiner Identität, eine Verlängerung dieser Identität, sehr extrem, sehr radikal, und ich greife zu verschiedenen Werkzeugen, um diese Form zu bereichern. Und ich überschreite verschiedene Grenzen. Wir machen Gebrauch von verschiedenen Klischees, die diese Gattung (Metal) begleiten. Und das, was er (Gombrowicz) gemeinsam mit meiner Lebensphilosophie hat, denn nur diese ist mir bekannt, das wäre dieser so wunderbar exponierte menschliche Faktor, so menschlich, so zutiefst menschlich und… und… in dem, was wir als eine Band vertreten. Obgleich… ja, ja, ja… das Freiheitsdenken, sehr offen, keine Schlüssigkeit. Ich denke, ich habe es selbst und ich akzeptiere es an mir, die Dynamik, die Polaritäten, die doch zum Ganzen werden, und das eine schließt das andere nicht aus.“

Ich (chaotisch): Ihr beide habt ein Problem mit der polnischen, manchmal etwas rückständigen Identität, und seine Form des Kampfes dagegen richtete sich mehr an den rein menschlichen Faktor, also an die „menschliche Kirche“. Deine Mittel sind dagegen stärker mit der Symbolik gesättigt, das kannst Du doch nicht verneinen?

Darski: „Ich erzähle von meiner Inspiration. Nie würde ich… irgendwelche Analogien… Wenn ich mich inspiriert habe, dann suche ich… Es sind Widerspiegelungen von mir selbst. Ich suche mich selbst in den Anderen und nur dies! Warum denn vergleichen? Es macht keinen Sinn, jeder ist anders und außergewöhnlich. Ich befürchte, ich bin nicht in der Lage, es zu erklären (Lachen). Viele Dinge passieren, und wenn sie passieren, dann sind sie wahr. Immer seltener strebe ich nach einer Selbstanalyse, nach Rechtfertigung meines Werks. Denn, wenn die Dinge passieren, dann werden sie zur Erklärung dessen, warum sie passieren.“

Alina Strzempa

Literaturquellen:
Gombrowicz, Witold (2004): Tagebuch 1953-1969. Übersetzt von Olaf Kühl, Frankfurt am Main.
Gombrowicz, Witold (2006): Die Trauung. In: Ders.: Theaterstücke. Übers. von Rolf Fieguth. Frankfurt am Main, S. 79-196.

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