Neue Platten von und mit Childish Gambino, Therradaemon, Povarovo, Balkan Beat Box, The New Division, Dieter Köhnlein, Qluster, Hans Joachim Roedelius, The Saddest Landscape und Field Music, gehört von Ronald Klein (RK), Tina Manske (TM) und Thomas Wörtche (TW).
Mäßig unterhaltsam
(TM) Zunächst mal: auf so einen bescheuerten und auf Dauer wohl auch geschäftschädigenden Namen kann man wohl nur kommen, wenn man den Wu-Tang-Clan-Namensgenerator bemüht, wie es Donald Glover auch tatsächlich getan hat. Glover ist Schauspieler, zuletzt war er im „Muppets“-Film zu sehen. Aber er ist eben auch Rapper, und als solcher in den USA bereits ziemlich erfolgreich, Auftritte bei Fallon und Letterman inklusive. „Camp“ ist bereits sein viertes Album, aber das erste, mit dem er auch hierzulande landen könnte. Und auch hier ist der Name Programm: Nicht jeder Rapper würde sich das mit der schwulen Subkultur assoziierte „Camp“ aufs Cover holen. Auch sonst versucht Childish Gambino das Image des stumpfen Hip-Hoppers, dem es nur um die Street-Credibility geht, tunlichst zu unterlaufen.
Liebste Songzeile dabei: „No live shows because I can’t find sponsors/ For the only black kid at a Sufjan concert.“ Allerdings geht’s halt z. B. in „Bonfire“ doch wieder nur darum, der Beste zu sein und die meisten Frauen vor sich knien zu sehen. Auch die Beats sind eher mainstreamtauglich, im Refrain wird gern der R’n’B-Chor bemüht. Alles sehr glatt, Neues und Bahnbrechendes hört man hier nicht – „Heartbeat“ klingt gar wie eine männliche Madonna 2012, also grässlich. Glover ist Komiker, ist die Platte dewegen wenigstens witzig? Nein. Das beste, das man über „Camp“ sagen kann, ist das es eine gute Stunde lang mäßig unterhält. Ein zweites Mal auspacken muss man es nicht.
PS: Mein WuName wäre „Sullen Choirboy“ – check this out, man!
Childish Gambino: Camp. Glassnote/Cooperative Music.
Akustische Verstörung
(RK) Assoziierten Musikfans in den 90ern mit Norwegen vor allem in jeglicher Hinsicht kompromisslosen Black Metal, so war die letzte Dekade kennzeichnend für elektronische Musik – sei es, wie im Falle Ulvers, dass sich ehemalige Metal-Protagonisten digitalen Klängen zuwendeten oder sich mit Röyksopp und Jaga Jazzist Acts zwischen Pop und progressiveren Klängen etablierten. Bereits seit 1996 komponiert Hærleif Langå alias Northaunt düstere Ambient-Flächen, die sich mit seinem Sideproject Therradaemon in ein monolithisches, alles absorbierendes Schwarz steigern.
Vier Tracks, der kürzeste überschaubare neun Minuten lang, entfachen eine Kammersinfonie des Grauens. Wabern zu Beginn noch Drones, so steigert sich im Laufe des Albums das Geschehen zu einer minimalistischen Reduktion, synästhetisch gesprochen zu einigen Variationen der Farbe Schwarz. Intendierte Monotonie als Ausdruck der irreversiblen Hoffnungslosigkeit. Mag an manchen Stellen noch so etwas wie das Klingen des Windes oder gar an einer Stelle das verhaltene, aber höhnische Krächzen des Raben in weiter Ferne durchgehen, so dominiert vor allem die Beklemmung, die einem widerfährt, wenn alles Licht gegangen und sich die Wände (des Innenraumes) verengen. Akustische Verstörung auf hohem Niveau.
Therradaemon: Den Mørke Munnens Språk. Cyclic Law.
Hypnotische Anziehungskraft
(RK) Russischer Jazz mag noch immer ein Synonym für weiße Flecken auf der Landkarte darstellen. Noch zu Zeiten der Sowjetunion spielten vor allem Avantgarde und Free-Jazz-Kapellen eine entscheidende, auch politische Rolle. Gruppen wie Archangelsk zelebrierten theatralische Performances und inszenierten sich selbst als Querköpfe und Nonkonformisten. In ganz anderer Tradition steht hingegen das Trio Povarovo, das sich nach einem sibirischen Dorf benannte, in dem eine Funkstation seit Jahrzehnten mysteriöse Signale sendet, was Nachrichtentechniker und Geheimdienstler zur schieren Verzweiflung treibt. Mal fiepte es, dann brummte es. Dann verschwand der Klang ganz, um doch wieder zurückzukehren. Den Soundtrack zu dem Mysterium komponieren Povarovo, deren Platte am Anfang verhalten nach Bohren und der Club of Gore klingt.
In den ersten Tracks passiert wenig, hier und dort ein Saxofon, ein langsamer Rhythmus schleppt sich ächzend dahin: schemenhaft, der sanfte Kuss der „Geisterfaust“. Erst gegen Ende hin, wenn verzerrte Vocals, Glockenklänge, veränderte Tempi und eine Gitarre ins Spiel kommen, entsteht ein musikalischer Spannungsbogen, der ungemein fesselt. Lieder wie „J.S. Bach“ oder „Black Powder“ entwickeln eine hypnotische Anziehungskraft, die genauso mysteriös und packend wirkt wie die Geschichte um den sibirischen Sender.
Povarovo: Tschernovik. Denovali (Cargo Records).
Soundtrack für die Antikriegs-Demo-Abschlusskundgebung
(TM) Das Video von „Political Fuck“ war beim Sender Al Jazeera schon im Dezember vergangenen Jahres Video der Woche. Jetzt kommt das neue Album der Balkan Beat Box auch bei uns in den Handel. Mit seiner Mixtur aus Ragga, Hip-Hop und Electronica klingt „Give“ in weiten Teilen wie die Asian Dub Foundation zu ihren besten Zeiten – eingängige, harte Grooves mit Tanzbeingarantie, kombiniert mit scharfen politischen Texten. Ganz wichtig: eine Phalanx aus Bläsern verschiedenster Couleur, die für den nötigen Spaß sorgen. Das geht gut rein und passt gut in diese Zeit zwischen ‚Occupy‘-Bewegung, politische Knallchargen und Bankerhochmut. Slogans werden gerne durch Flüstertüten gebrüllt, es darf auch gerne plakativ werden, schließlich möchte man ja verstanden werden.
Zwischendrin gibt es mit Songs wie „Minimal“ auch mal romantische kleine Verschnaufpausen – das gesamte Lineup klingt schon sehr nach geglücktem Konzert. Balkan Beat Box kommen übrigens – anders, als man vermuten könnte – aus New York. Ori Kaplan und Tamir Muskat aus Israel gründeten die Band 2005, und insbesondere durch explosive Liveauftritte erspielte man sich schnell ein treues Publikum. Sollte eigentlich auf keiner ernstzunehmenden Antikriegs-Demo-Abschlusskundgebung fehlen.
Balkan Beat Box: Give. Crammed Discs (Indigo). Zur Homepage.
Schwupps, fertig ist der Hit
(RK) Natürlich ist eine (beneidenswerte) Ignoranz vonnöten, um nicht auf den Bandnamen einzugehen. Die Referenz an Joy Divison und ihre Nachfolgeformation New Order liegt auf der Hand. Wobei der Akzent deutlich auf „New“ liegt, denn das südkalifornische Quartett spielt extrem eingängigen Synthie-Pop im Stile der 80er und hat mit den dunklen Postpunk-Klängen Joy Divisions (leider) wenig am Hut, gleichwohl der Opener „Opium“ durchaus nach Retro-Wave von Kapellen wie Interpol oder The Editors klingt. Dazu eine Prise Elektro-Pop mit einer eingängigen Hookline – schwupps, fertig ist der Hit. Das dachte sich auch die Marketing-Abteilung von Hugo Boss, die den Song sogleich als Soundtrack für einen neuen Werbeclip verwendete. Nomen est omen, Opiate zählen neben dem Nikotin zu den Drogen mit dem größten Suchtpotential.
Nach diesem beschwingten, addiktiven Auftakt plätschert die Platte freundlich dahin. „Shallow Play“, „Sense“, „Shadows“… die folgenden Songs beginnen tatsächlich auch noch alle mit einem „S“. Ein wirklicher Unterschied lässt sich klanglich nicht festmachen. Zu austausch- und auswechselbar erscheint die Auswahl der Tracks. Erst „Munich“ und „Special“ sorgen dank rauerer Arrangements für etwas Abwechslung. Sollte die Presse-Info stimmen, dass The New Division für ihr Debüt-Album aus einem Pool von 300 Songs wählen konnten, bleibt die Frage, ob die vorliegenden 14 Songs die optimale Zusammenstellung darstellen. Andererseits ist auch nicht klar, ob die restlichen 286 Songs optimale Alternativen offerieren.
The New Division: Shadows. Progress Productions (87 Records).
Ganz altmodisches Zuhören
(TW) Kreative Menschen sind vermutlich alle ein bisschen schizo. Da kann man fast froh sein, wenn jemand nur zwei ist statt noch mehr Leute. Der Nürnberger Pianist Dieter Köhnlein heißt also mit dem zweiten Vornamen Heinz, was nicht allgemein bekannt ist, aber die Heinz-Persona vermutlich so genervt hat, dass sie auch zu den Tasten greifen musste und gegen Dieter anspielen. Oder mitzuspielen… Eine hübsche Idee, cool ironisch, nicht auf Dr. Jekyll und Mr. Hyde zu machen, sondern entspannt und souverän down to the ground zu bleiben. Was ja die musikalische Idee nicht schmälert, mit einem Steinway Grand vom Impressionismus bis zum free style (Satie goes Cecil Taylor, naja, früher Cecil Taylor) musikalische Grammatiken auszutesten, die nur anscheinend weit auseinander liegen. Manchmal fast barocke rhythmische Stringenz, durchexerziert an Satie-eskem Material, mal spätromantisches Dunkel, das Blues-Splitter kontrasiert …
Ob das jetzt einen Jazz-CD ist oder whatever, das ist ziemlich unerheblich. Zehn wunderbare Solo-Stücke, konzentriert, kondensiert, formal extrem bewusst, improvisatorisch extrem klug. Musik zum ganz altmodischen Zuhören, ohne Gefälligkeitskonzessionen, aber auch ohne bewusste Rezeptionssperren. Offene Ohren sind alles, was man braucht, um sich daran erfreuen zu können. Dieter Köhnlein ist, obwohl er eine erhebliche internationale Reputation hat, immer noch einer der Stillen im Lande – vermutlich geht das aber auch gar nicht anders, wenn er sich musikalisch treu bleiben will. Man kann nur hoffen, dass seine Art von Musik eines Tages als der hippste und coolste In-Sound entdeckt wird. Bis dahin einfach das Köhnleinsche Gesamtwerk rauf und runter hören.
Dieter Köhnlein: Heinz und Dieter. HOFA. Zur Homepage.
Entspannte Halsschlagadern
(TM) Ungeachtet der Tatsache, dass wir hier mittlerweile schon eine eigene Rubrik für Veröffentlichungen von Hans Joachim Roedelius aufmachen könnten, kann man natürlich auch einfach nicht über eine solche neue Platte hinweggehen. Die Hauptstadt ist das Thema des neuen Albums als Qluster, dem Projekt, das Roedelius zusammen mit Onnen Bock ins Leben gerufen hat. „Nachts in Berlin“ heißen die sieben Stücke von „Antworten“; die Platte ist dabei der dritte Teil einer Trilogie, die mit „Fragen und „Rufen“ begann. Glaubt man den romantischen, sehr intimen Klängen von Qluster, dann ist Berlin nachts beschaulicher als man denkt – hier kann man seinen Gedanken nachhängen. Dass „Antworten“ ohne jegliche Anstrengung eingespielt wurde, nimmt man den Musikern beim Hören sofort ab; gänzlich befreit und ohne zum Platzen gespannte Halsschlagadern wandert man hier von Motiv zu Motiv, nimmt dort einen Faden auf, lässt ihn dort eventuell wieder fallen, geht über zum nächsten.
Übrigens auch im Februar neu erschienen: Live-Aufnahmen von Roedelius am Piano, aufgenommen 1985 in London. Zu dieser Zeit hatte Roedelius gerade, nach einer intensiven Erkundung der elektronischen Sphären, die Spur des Pianospiels zu verfolgen begonnen. Bei seinem Auftritt an diesem denkwürdigen Abend spielte er auf einem Steinway-Flügel 21 Klavierfantasien, die mit ihrer naiven Melodieerkundung geeignet waren, den Leuten den Atem zu verschlagen – heute übrigens genauso wie damals.
Qluster: Antworten; Roedelius: Plays Piano. Live in London 1985. Beide Bureau B (Indigo).
Eine Katharsis
(RK) Ein spätherbstlicher Spaziergang durch den nahe gelegenen Park. Das Laub längst braun, welk, gefallen – durch einen Windstoß über den Boden tänzelnd. Verblassende Erinnerungen an einen Sommer, der so weit entfernt erscheint. Und irgendwann wird auch die Erinnerung hinweggefegt sein wie das Herbstlaub. Analog zu dem Rekapitulieren in vertrauter, aber sich verändernder Umgebung, hat die Bostoner Kapelle The Saddest Landscape auf dem Cover ihres aktuellen Albums fünf Bilder übereinander gelegt, neben dem Spaziergang werden eine trister Straßenzug, Autos und die Silhouette einer jungen Frau erkennbar. So entstehen bei jedem Blick neue Assoziationen. Die perfekte Illustration des klanglichen Kosmos der Screamo-Formation, die mit ihrem letzten Album „You Won’t Survive“ (2010) den emotionalen Nullpunkt vertonte.
Zwei Jahre später reflektiert das Trio die Konsequenzen des Seelenzustands. Der Auftakt „In Love With The Sounds“ beginnt nach einigen Gitarrentakten mit einer breiten Klangwand, die Sänger Andy Maddox mal schreiend, dann wieder jammernd und flehend durchbricht. Symptomatisch für die folgenden sechs Songs: brachiale Arrangements, aber eingängige Melodien und stimmliche Facetten, die ähnlich wie die übereinander gelegten Bilder funktionieren. Das Ganze bei einer überdurchschnittlich druckvollen Produktion. Alles auf Anschlag – emotional, packend, durchrüttelnd – wie ein Herbstspaziergang, getrieben von Erinnerungen mit eisigem Wind, der ins Gesicht peitscht. Eine Katharsis. Und was für eine!
The Saddest Landscape: After The Lights. Topshelf Records (Soulfood).
Und jetzt zur Politik
(TM) Zu guter Letzt noch eine dringende Bitte: Hören Sie mehr Field Music! Die Band bestehend aus den beiden Brüdern Peter und David Brewis aus UK veröffentlicht mittlerweile ihr viertes Album, und es ist mal wieder formidabel. „Plumb“ sollte mit seinen unaufdringlichen Songwriter-Qualitäten zwischen Beatles, Pink Floyd, XTC und frühen Genesis möglichst nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Songs wie „From Hide And Seek To Heartache“ zeugen im Übrigen davon, wie leicht anspruchsvolle Arrangements in ein Popgerüst gegossen werden können, wenn man sowas kann.
Im Gegensatz zum Vorgängeralbum „Measure“, das sich über 70 Minuten erstreckte, mutet „Plumb“ mit seinen 15 Songs in 35 Minuten geradezu fragmentarisch an. Und tatsächlich ist dies der einzige Vorwurf, den man der Platte machen kann – dass die hier nicht existente ausufernde Form doch besser zu Field Music passt, dass es sich nicht ausgeht, wenn man Ideen im Minutentakt hat, diese sofort wieder zu ersticken, um Platz für die nächste zu machen. Dafür gibt es dieses Mal tatsächlich politische Aussagen in wenig plakativem Umfeld – Daumen hoch!
Field Music: Plumb. Memphis Industries (Indigo). Zur Homepage.