Geschrieben am 9. März 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Alben von Sven Kacirek, Sam Kills Two, Mani Neumeier und Kawabata Makoto, Wye Oak sowie And You Will Know Us By The Trail Of Dead, gehört von Jörg von Bilavsky (JvB), Tobi Kirsch (TK), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).

Sven Kacirek: The Kenya SessionsHörspielähnliche Symbiose

Der Jazzschlagzeuger und Elektronikmusiker Sven Kacirek hat gerade auf dem Hamburger Label Pingipung ein so ungewöhnliches wie herausragendes Album veröffentlicht – ungewöhnlich, weil „The Kenya Sessions“ quasi unterwegs entstand. Kacirek reiste durch Kenia und nahm dabei in Fieldrecording-Manier kenianische Musiker und Sänger auf. Herausragend, weil „The Kenya Sessions“ mehr sind als ein munteres, buntes Stückchen Weltmusik, sondern vielmehr eine beeindruckende Zusammenarbeit des versierten deutschen Drummers mit ebenso versierten afrikanischen Künstlern. Popgeschäftliche „Verwertbarkeit“ spielte bei diesem Projekt (das vom Goethe-Institut Nairobi unterstützt wurde) wohl kaum eine Rolle, denn Kacireks Afrika-Aufenthalt führte nicht zu einem leicht goutierbaren Buena Vista à la Kenia. Gesprächsfetzen, traditionelle afrikanische Musik und westlich geprägter Jazz gehen eine faszinierende hörspielähnliche Symbiose ein. Für den Track „Dear Anastasia“ nahm Kacirek beispielsweise das Trommeln auf, mit dem ihn ein ganzes Dorf begrüßte – die euphorische Percussion geht über in den fragilen Gesang der 80-jährigen Ogoya Nengo, die beim Singen in einer Gebetsstube saß. Im Eröffnungsstück „Arsenal Aluny Village“ ist Okumo Korengo auf der Nyatiti zu hören, einem hierzulande weitgehend unbekannten Saiteninstrument. Kacirek selbst bringt sich mit jazzigen Bassdrums, Marimba und Besen-Schlagzeug ein, die Overdubs wurden in seinem Hamburger Studio eingespielt – wobei diese Nachbearbeitung nicht zu einer kolonialistischen Glättung führt, sondern Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Musiken herausstellt. Der CD liegt ein Booklet-Poster bei, auf dem Radiomoderator und Kacireks Schlagzeuger-Kollege Götz Steeger über die Hintergründe der Reise und die Entstehung der fünfzehn Tracks berichtet. (CM)

Sven Kacirek: The Kenya Sessions. pingipung.
Die Homepage des Künstlers. Sven Kacirek auf Myspace und bei Facebook.

Sam Kills Two: Pretty UglyAusgesprochene Harmoniesucht

„Silence Is Louder“, lautet noch der lauteste Song von Sam Kills Two. So hätte die schwedisch-britische Formation eigentlich ihr komplettes, mittlerweile zweites Album betitelten können. Sind die vier Jungs doch in all ihren restlichen Kompositionen darauf bedacht, sich mit gefühlvollem Gitarrengezirpe, geschmeidig pulsierendem Bass und dezenten Drums in die Herzen ihrer Fans zu spielen. „Emotive“ ist denn auch das keyword zu ihrem Sound, der trotz ausgesprochener Harmoniesucht nicht einschläfert oder unmäßig gefühlig wird. Dafür stecken in den Songs ausreichend überraschende Details wie in „I Drew A Breath“ oder „Make Us Proud“, die für Abwechslung sorgen und für Entdeckungen gut sind. „Pretty Ugly“, so der wirkliche Titel ihrer CD, ist höchstens das senffarbene Cover, ihre 13 Songs sind es zum Glück nicht. (JvB)

Sam Kills Two: Pretty Ugly. rocket girl (RoughTrade).
Die Band auf Myspace und bei Facebook.

Mani Neumeier/Kawabata Makoto: Samurai BluesLust am Extremen

Wer hätte das gedacht: Mani Neumeier, Gründer der legendären Krautrock-Band Guru Guru und bis heute einer der idiosynkratischsten Schlagzeuger der Republik, war 1996 der erste deutsche Musiker, dessen Figur im Tokioter Wachsmuseum ausgestellt wurde. Obwohl: so überraschend ist das auch wieder nicht, denn schon seit langem verbindet Neumeier eine innige Freundschaft mit Japan, und die Japaner mögen nun mal das gute alte Kraut. Zu Neumeiers Eskapaden passt am besten ein ausgeflippter Gitarrist, und genau solch einer ist Kawabata Makoto von den japanischen Psychedelicrockern Acid Mothers Temple. Nach vielen gemeinsamen Live-Auftritten haben die beiden nun eine CD zusammen aufgenommen. „Samurai Blues“ ist oberflächlich betrachtet ein heftiges Noise-Gewitter aus Psychedelic, Acid Rock und Jazz, das mit seinem Improvisationscharakter den Live-Wahnsinn schön auf Platte bannt. Erst bei näherer Beschäftigung werden die durchaus klassischen Strukturen der Songs hörbar – und diese nähere Beschäftigung lohnt sich. Soviel Lust am Extremen war selten. (TM)

Mani Neumeier/Kawabata Makoto: Samurai Blues. Bureau B (Indigo).
Die Website von Mani Neumeier und Guru Guru. Mani Neumeier bei Facebook.
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Wye Oak: CivilianRunter und hoch

„Civilian“, drittes Album des aus Baltimore stammenden Duos Wye Oak, ist  eine merkwürdige Platte. Die zehn Stücke changieren zwischen Dream-Pop,  Shoe- und Skygaze, Folk, Elektro und Noise, sind mal supereingängig und  verführerisch wie „Holy Holy“, dann wieder austernhaft und unzugänglich  wie z. B. „Plains“. Es gibt kaum Refrains oder Hooks, an denen man sich festhalten und entlanghangeln kann, und doch bleiben sagenhaft schöne Melodiebögen hängen. Die Stimme von Songwriterin, Sängerin und Gitarristin Jenn Wasner erinnert an Laetitia Sadier, aber auch an Joni Mitchell. Ihr Bandkollege Andy Stack spielt mit der einen Hand Orgel, mit der anderen Schlagzeug. Minimalistische Spiegelungen, überall. Die Texte handeln zumeist vom Alleinsein (in seinen positiven und negativen
Erscheinungsformen) und Loslassen (von Menschen, Dingen, Orten) und ziehen die geneigte Hörerin gleichzeitig runter und hoch. „Civilian“ könnte in den mittleren 1980er-Jahren entstanden sein, während in den Studios nebenan die Vaselines und die Throwing Muses zugange waren. Aber auch heute, mitten in einer Metropole wie New York, als die etwas zurückhaltenderen Geistesverwandten von Devendra Banhart und Moldy Peaches. Und Arcade Fire sind ebenfalls nicht weit, dramatische Wendungen wie in „We Were Wealth“ verweisen auf diese Band, wie auch die
so traurige wie hoffnungsvolle Sprache von Musik und Texten. Merkwürdig. Und faszinierend. „Civilian“ lässt einen nicht so schnell los – obwohl man nicht viel erwartete, als man die CD aus der Hülle zog und dachte, naja, schon wieder so ein freakiges Folkduo from the middle of nowhere. Wye Oak sind eine Band, die zwei, drei Anläufe braucht und dann aber deine besten Freunde werden. Wie so oft im Leben. (CM)

Wye Oak: Civilian. City Slang (Universal).
Die Website von Wye Oak sowie auf Myspace und bei Facebook.

And You Will Know Us By The Trail Of Dead: Tao Of The DeadLärmkaskaden versus sanftes Treiben

Die Band um Conrad Keely und Jason Reece ist mit ihrem siebten Album wieder auf der Bildfläche. Das neue Werk wurde wieder mit Chris Smith zusammen aufgenommen, der sich auch schon für das Debütalbum auszeichnete. Dieser Schritt hat den Jungs gut getan, „Tao Of The Dead“ ist ein mächtiger Meilenstein. Unabhängigkeit war schon immer ein starkes Thema, nun hat sich die Band mit einem neuen Vertrag offensichtlich auch die Strukturen geschaffen, um völlig befreit ihren musikalischen Kosmos um weitere Großtaten zu erweitern. Das Spiel zwischen laut & leise wird hier um Experimente mit Einflüssen von Neu! und Pink Floyd kombiniert. Klingt toll, ist auch so. Mächtige Rocker wie „Pure Radio Cosplay“ stehen neben ruhigeren Passagen wie „The Wasteland“ Leider blieb es mir nicht vergönnt, das Opus „Tao Of The Dead Part Two“ (der mit Chris Coady zusammen realisiert wurde) zu beurteilen, denn das lag mir bei der Bemusterung nicht vor. Aber die anderen Stücke überzeugen derart, dass dieser Missstand gerade noch zu verschmerzen ist. Eine großartige Band, die für mich auf der Liste der zu besuchenden Konzerte mit diesem Output noch einmal ganz nach oben gerutscht ist. (TK)

And You Will Know Us By The Trail Of Dead: Tao Of The Dead. Superball Music (EMI).
Die Website der Band. And You Will Know Us By The Trail Of Dead auf Myspace und bei Facebook.

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