Geschrieben am 27. November 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit V V Brown, Wooden Shjips, Laaraji, Harold Budd und Roger Eno, gehört von Tina Manske.

vvbrown_samson&delilahGewisses Etwas

In den 80er-Jahren war es, da hüpfte eine Frau mit einer sehr tollen Stimme, aber einem fürchterlichen Musikgeschmack über die (damals noch) Plattenteller dieser und anderer Republiken. Das war Jennifer Rush. Das zweite Album von V V Brown klingt ein bisschen wie Rush, hätte sie mittlerweile ein Gespür für echte Abgründe. Die Engländerin mit jamaikanischen und puertoricanischen Wurzeln kam schon im zarten Kindesalter zur Musik und beschäftigte sich früh mit klassischer und Jazz-Musik.

Diese Einflüsse kann man auf „Samson & Delilah“ schön nachvollziehen, aber auch sonst eignet sich Brown viele verschiedene Stile an und erweitert sie mit ihrem gewissen Etwas. „I Can Give You More“ zum Beispiel könnte unerkannt in einer nachmittäglichen RTL-Soap laufen (no offense!), während das anschließende „Igneous“ schön trip-hoppig in den Tricky-Untergrund geht. „The Apple“ dann ist genau der Song, den eigentlich jeder gute Club nachts um halb drei braucht, um die Leute wieder wach zu kriegen. Dass in der Produktion jemand wie Pierre-Marie Maulini (den man von M83 kennt) mitmischt, erklärt immerhin die wummernden Bässe und die fabelhaften Hallräume, die hier aufgesperrt werden. Es gibt einen Songs namens „Knife“, aber das abschließende „The Beginning“ klingt dann auch nach der Band The Knife.

Auch abseits der Musik ist Brown übrigens erfolgreich. So ist das Model als erste schwarze Britin in einer Werbekampagne des englischen Unternehmens Marks & Spencer zu sehen gewesen und trat mit ihrer Modelinie bei der Londoner Fashion Week auf. Und jetzt hat sie also auch noch ein eigenes Musiklabel und mit „Samson & Delilah“ eine richtig gute Platte. Some girls have all the luck.

V V Brown: Samson & Delilah. Yoy Records (Alive).

woodenshjips_backtolandEntspannt

Die Wooden Shjips aus San Francisco gehen mit ihrem mittlerweile vierten Album (wenn man die Hard-to-find-Singles-Compilations nicht mitzählt) ihren gewohnten Weg weiter auf dem Grat zwischen Psychedelic und Rock’n’Roll, auf den Spuren von The Doors, The Velvet Underground und deutschem Krautrock der 70er. Zum ersten Mal hat das Quartett für die Aufnahmen seine Heimatstadt verlassen, und wenn man nicht wüsste, dass das nicht geht, würde man vermuten, sie sind einfach noch weiter nach Westen ins Land gereist, so staubig und knalltrocken hört sich ihr Sound auf „Back To Land“ an. Nein, die Hälfte der Band lebt jetzt in Portland, Oregon, wo das Album auch entstand.

Die Songs sind wie immer alle ähnlich gestrickt: Basis ist ein erdiger Gitarrensound, über dem sich ein Teppich aus Orgelhall ausbreitet, in den sich weitere Gitarren und der neblige Gesang Ripley Johnsons mischen. Das Muster ist stets das gleiche: die Band findet einen Rhythmus, eine Harmonie und zwei, drei Akkorde, und die werden dann ein paar Minuten lang repetiert. Was hier so langweilig klingt, ist tatsächlich faszinierend und unglaublich entspannend. Von mir aus können sie noch Jahrzehnte genau so weitermachen.

Wooden Shjips: Back To Land. Thrill Jockey (Rough Trade). Wooden Shjips live:3.12. Berlin, Berghain; 4.12. Köln, King Georg

laraaji_celestialmusic1978-2011Einheit allen Daseins

Weitere Entspannung verspricht diese Platte: den elektronischen Mystiker Laraaji mit seiner elektronischen Harfe kennt man hauptsächlich aus seiner Zusammenarbeit mit Brian Eno für dessen Ambient-Serie („Ambient 3: Day Of Radiance“, veröffentlicht im Jahr 1980). Nun erscheint auf Brian Enos Label All Saints eine Doppel-CD seines Lebenswerks.

Zu hören sind auf CD 1 „Cosmic Tape Experiments“, rare Kassetten(!)aufnahmen, die Laraaji in den 80ern auf den Straßen New Yorks und in spirituellen Buchläden verkaufte. CD 2 „Music Of The Spheres“ präsentiert dann die etwas produzierteren Titel, seine Kooperationen mit Musikern wie ebenjenem Brian Eno, Bill Laswell oder jüngeren Künstlern wie der experimentellen Postrock-Band Blues Control. Durchweg auffallend ist Laraajis anstrengungslose Präsenz, ob beim rhythmischen Klöppeln oder bei kleinen Zwischendruch-Monologen, die die Einheit allen Daseins bekunden. Ein sehr guter Einstieg ist das bisher unveröffentlichte „I Am Ocean“. Im (in der Promoversion nicht enthaltenen, aber sicher lesenswerten) 24-seitigen Booklet erzählt Laraaji seine eigene Lebensgeschichte.

Nicht verschwiegen werden sollen dieser Stelle übrigens die anderen beiden tollen Releases, die auf Brian Enos All-Saints-Label in diesen Tagen erscheinen. Da wären zum einen Harold Budds „Wind In Lonely Fences 1970-2011“, eine Zusammenfassung des Schaffens eines Mannes, der aus der US-Avantgarde der 60er-Jahre heraus und beeinflusst durch Musiker wie John Cage sein Genre der ‚existential prettiness‘ begründete und mit Kollegen wie John Foxx, Robin Guthrie oder Zeitgeist für die Erweiterung so manches Geistes sorgte. Allein das konzentrierte Hören des Openers „The Oak Of The Golden Dreams“ aus dem Jahr 1970, das sich mäandernd um eine stete Harmonie schlängelt, entschädigt für 48 Stunden schlechte Radiomusik.

Ebenso empfehlenswert: „Little Things Left Behind 1988-1998“ von Roger Eno, eine Schau des musikalischen Schaffens von Brian Enos Bruder, der vor allem für seine Kinoscores (z. B. „9 1/2 Wochen“, „Dune“) bekannt wurde – Pianoskizzen vom Feinsten.

Laraaji: Celestial Music 1978-2011; Harold Budd: Wind In Lonely Fences1970-2011; Roger Eno: Little Things Left Behind 1988-1998. Alle 2 CD, alle All Saints Records (Rough Trade).

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