Geschrieben am 7. November 2012 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit The Velvet Underground & Nico, Kreayshawn, Brian Eno, Fraktus, Stars, Lower Dens, Clinic und Efterklang, gehört von Janine Andert (JA), Ronald Klein (RK, Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

The Velvet Underground & NicoInspirationsquelle

(MO) Fast jeder kennt Brian Enos Zitat: “Only five thousand people ever bought a Velvet Underground album, but every single one of them started a band.” Die Platte, die er mit diesem Ausspruch meinte, wird heuer stolze 45 Jahre alt: The Velvet Underground & Nico, das Album mit Andy Warhols berühmtem Bananen-Cover. 1967 war die Welt – auch das coole New York – noch nicht reif für dieses Werk, das nur Platz 171 der US-Charts erreichte und somit ein heftiger Flop war.

Doch schon wenige Jahre später zeichnete sich der enorme Einfluss ab, den diese elf Songs auf die Pop-Nachwelt, auf Genres wie Glam- und Krautrock, Punk, Grunge, Gothic oder Noise haben würden. Kaum eine relevante Band, die sich heute nicht auf The Velvet Underground beruft und vor allem ihr Debütalbum, das einzige, das VU mit Sängerin Nico aufnahmen, als Inspirationsquelle angibt.

Femme Fatale by VelVet underground & Nico from Walter Centurion on Vimeo.

In den Hippiejahren der mittleren bis späten Sixties wollte man allerdings nicht hören, was die vier resp. fünf Warhol-Protegés über psychische und drogeninduzierte Abgründe sangen, und zollte dem einzigartigen, so archaischen wie artifiziellen, minimalistischen Drone-Sound nur wenig Respekt. Lou Reed und Sterling Morrison, John Cale, Moe Tucker und Nico zitierten abseitige Sado-Masochismus-Literatur („Venus In Furs“), setzten Warhol-Muse Edie Sedgwick mit „Femme Fatale“ ein frühes Denkmal und texteten offen über Drogen ( „Heroin“).

Der schwermütige Nicht-Gesang der „Eiskönigin“ Nico und der dunkle Grundton der Songs passte nicht in die Zeit und es schien, als würde einzig Andy Warhol an The Velvet Underground glauben. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob The Velvet Underground ohne Warhols Unterstützung und seine geniale Idee, Nico als Sängerin zu installieren, dieselbe Bedeutung erreicht hätten, die sie heute haben. Die Musik indes lässt keine Zweifel zu.

The Velvet Underground & Nico. 45th Anniversary Deluxe Edition. 2 CD. Polydor(Universal).

Kreayshawn: Somethin 'Bout KreayInternethype

(MO) Die kalifornische Rapperin und Videokünstlerin Natassia Gail Zolot alias Kreayshawn ist eine kontroverse Figur: so drehte sie z . B. auf Wunsch der Band ein Video für die Red Hot Chili Peppers, allerdings entschlossen sich die Peppers dazu, Zolots Werk nicht zu verwenden und ließen stattdessen ein anderes Video anfertigen. Teile der Rap- und Hip-Hop-Szene werfen ihr vor, als Weiße allzu ungeniert von der popkulturellen Vorarbeit schwarzer MusikerInnen profitieren zu wollen. Andererseits gilt die 23-jährige seit ihrem Youtube-Megahit „Gucci Gucci“ von 2011 als neuer strahlender Stern am Hip-Hop-Himmel, gleich neben Azealia Banks und Iggy Azalea.

Kreayshawn „Gucci Gucci“ from Strange Customs on Vimeo.

„Gucci Gucci“ ist eine knallige Persiflage auf markenbesessene Macker, die Kreayshawn superb karikiert – und ihnen gleichzeitig Respekt zollt, irgendwie. Ihr Debütalbum „Somethin ‚Bout Kreay“ knallt auch heftig: Producerstars wie Diplo, KidCudi und 2Chainz gaben ordentlich Stoff auf Kreayshawns bunten Mix aus Pop mit vielen Synthies, Elektro und gerappter Girlpower, der rein referenzmäßig einen weiten Bogen spannt.

Die Älteren unter uns werden sich an die Cookie Crew, JJ Fad oder auch die B-52’s erinnert fühlen, für Jüngere sind die dreizehn Tracks bestens partytauglich. Ob es Kreayshawn gelingt, sich vom Vorwurf der Plünderei zu befreien und vom Internethype zur real diva aufzusteigen, wird sich zeigen – den Hang zu rebellischer Musik bekam Kreayshawn jedenfalls schon in die Wiege gelegt: ihre Mutter Elka Zolot war Gründungsmitglied der Garagenpunk-All-Female-Band The Trashwomen.

Kreayshawn: Somethin ‚Bout Kreay. Columbia/Sony Music. Zu Kreayshawns Homepage.

Brian Eno: LuxLichttherapie

(TM) Mit seinem dritten Album bei Warp und seinem ersten Soloalbum seit „Another Day On Earth“ aus dem Jahr 2005 kommt Brian Eno wieder bei seinen Wurzeln an. Nachdem er bei der letzten Platte „Between The Bells“ die Worte des New Yorker Dichters Rick Holland zu Gehör brachte und dabei musikalisch mit sehr rhythmusbasierten Strukturen aufwartete, ist „Lux“ die Rückkehr zum eigentlichen Ambient seiner bekanntesten Alben. Atmosphäre wird hier über lange Zeiträume hin aufgebaut, im Vordergrund liegt der einfache, schwebende Synthsound, keine Melodie schält sich aus diesen pointillistisch hingetupften Klängen, im Hintergrund ist höchstens einmal ein leiser Streicher oder ein leichtes Flirren hörbar.

Ausgangspunkt der vierteiligen Komposition in zwölf Abschnitten ist Enos Auseinandersetzung mit einem Gemälde des Palastes von Venaria in Turin (Einzelheiten zum Maler ließen sich leider nicht herausfinden). Die 75 Minuten sind lediglich begrenzt durch das Fassungsvermögen einer handelsüblichen CD. „Lux“ könnte immer so weitergehen, der Hörer immer so weiterschweben in einem Zustand vollkommener Kontemplation. Ein wahrer Lichtblick, ja eine Lichttherapie in diesem dunklen Herbst.

Brian Eno: Lux. Warp (Rough Trade). Zur Album-Info auf der Brian Eno Homepage.

Fraktus: Millenium EditionEcht jetzt?

(RK) Gemeinhin gelten der französische Musique-Concréte-Komponist Pierre Henry und die deutschen Autobahner Kraftwerk als Wegbereiter des Technos. Dies offenbart, dass auch das Internet ein Gedächtnis wie ein Schweizer Käse besitzt, durch dessen Löcher das legendäre Trio FRAKTUS rutschte, das Ende der 70er-Jahre innovative Musik produzierte, jedoch kommerziell nie wirklich erfolgreich wurde.

Dabei betonen Ur-Raver wie Westbam und Marusha, Neubauten-Chef-Architekt Blixa Bargeld sowie die Avantgarde-Musiker von Scooter die Bedeutung des sympathischen Trios für ihr eigenes Schaffen. FRAKTUS‘ Frühwerk ist nun erstmalig auf digitalen Tonträgern erhältlich. Nonsense-Texte, die die Neue Deutsche Welle vorwegnahmen, dazu simple, aber für die damalige Zeit erfrischende Arrangements, die sich vom Bombast der Rock-Dinosaurier ebenso wie vom Punk-Einheitsbrei absetzten.

Am 8. November kommt sogar die Geschichte der außergewöhnlichen Jungs aus dem Pott in die Kinos. Allerdings lohnt es sich, vorher den Begriff „Mockumentary“ nachzuschlagen und sich ebenso über das Schaffen von Studio Braun zu erkundigen.

Fraktus: Millenium Edition. Staatsakt. Fraktus bei Facebook.

Stars: The NorthElegant geklotzt

(MO) Hach, es gibt doch noch gute Nachrichten im Popgeschäft! Zum Beispiel, dass die kanadische Band Stars mit ihrem neuen Album „The North“ fast umfänglich wieder zu ihrer Bestform der mittleren 2000er-Jahre zurückfindet. Die letzte Platte „The Five Ghosts“ von 2010 klang so erschreckend blass und ideenlos, dass man darin kaum die Band ausmachen konnte, die mit „Set Yourself On Fire“ (2004) und „In Our Bedroom After the War“ (2007) überschäumend leidenschaftliche Popwunderwerke veröffentlicht hatte.

Aber „The North“ versöhnt und begeistert: Torquil Campbell, Amy Millan und die anderen aus dem Broken Social Scene-Umfeld stammenden Stars ziehen in punkto Theatralik, Pathos und weit gespannten Melodiebögen alle Register, stilistisch halten sowohl Fifties-Rock’n’Roll-Gitarren wie Achtziger-Synthies Einzug in „The North“.

Die zwölf neuen Stücke verbreiten Optimismus und Freude, und in den besten Momenten platziert sich das Gesangsteam Millan/Campbell in einer Reihe mit Belle & Sebastian, The Beautiful South und anderen Pop-Enthusiasten. Auch in den Lyrics wird nicht gekleckert, sondern geklotzt (elegant geklotzt natürlich): Titel wie „A Song Is A Weapon“, „Do You Want To Die Together?“, „The Theory Of Relativity“, „The Loose End Will Make Knots“ und „Hold On When You Get Love And Let Go When You Give It“ wollen nicht weniger als alles, und das sofort und für die ganze Welt.

Es gibt aber auch schlichtere Momente, z. B. im folkigen “Walls” und dem ein wenig verschenkten, weil absichtslos verplätschernden “Progress”. Laut einer Definition Andreas Doraus dienen schwächere Songs wie diese aber dazu, die guten noch stärker strahlen zu lassen. Kurzum: an „The North“ gibt es nur wenig auszusetzen. Schön, dass Stars wieder da sind!

Stars: The North. Unter Schafen (Alive). Zur Homepage.

Lower Dens: Twin Hand MovementZweite Chance

(MO) In unseren schnelldrehenden Zeiten will es schon etwas heißen, wenn das Debütalbum einer jungen Band wiederveröffentlicht wird – es kann zum Beispiel ganz schnöde bedeuten, dass die Plattenfirma den Fans mehr Geld aus der Tasche ziehen will; oder man traut seinen Schützlingen tatsächlich noch einiges zu und hielte es für eine Schande, wenn das Frühwerk sang- und klanglos in den Archiven verdämmern würde. Wir gehen davon aus, dass bei Lower Dens letzteres der Fall ist: im vergangenen Frühjahr erschien das Album „Nootropics“, mit dem Jana Hunters Bandprojekt aus dem Stand viele Freunde gewann.

Lower Dens wurden häufig mit dem Duo Beach House verglichen, was nicht zuletzt der gemeinsamen Homebase Baltimore geschuldet ist. Songschreiberin, Sängerin und Multiinstrumentalistin Hunter mag es trotz der Dream Pop-, Drone- und Shoegaze-Anmutungen aber zupackender und drängender als die befreundeten Beach House, was in den Noise-Experimenten auf „Nootropics“ besonders stark zum Ausdruck kommt. Das Debüt „Twin Hand Movement“, zuerst erschienen auf Devendra Banharts Label Gnomonsong, klingt beim ersten Hören konventioneller als „Nootropics“ (was kein Makel ist).

Lower Dens bauen hier auf stoisch-hypnotische Bassläufe, trockene Drums und twangelnde Gitarren, die ihre erste Inkarnation im Indiepop der frühen 1980er-Jahre hatten und ihre emotionale Wirkung bis heute nicht verfehlen. Das Songwriting ist stringent und klar, aber nicht vorhersehbar. Stücke wie „I Get Nervous“ oder das ironische „Two Cocks“ sind so intelligent und voll überraschender Wendungen, dass man wirklich froh darüber sein kann, dass „Twin Hand Movement“ eine zweite Chance bekommt.

Lower Dens: Twin Hand Movement. Domino Records (GoodToGo). Zur Lower Dens Homepage.

Clinic: Free ReignPsychedelicmonster

(TM) Auf ihrem mittlerweile siebten Studioalbum klingen die Liverpooler Post-Punker Clinic wieder weitaus psychedelischer, als man es von den letzten Platten gewohnt ist – auch hier eine Rückkehr zu den Anfängen, wenn man so will. Durch einen immerwährenden Soundnebel klingt wie von fern Sänger Adrian Blackburn, der in seiner bekannt-gelangweilten, wenig modulierten Stimme monoton Worte wie „Seesaw“ oder „you’re beautiful“ ins Mikro hievt.

Dieses „Seesaw“ hätte übrigens auch gut auf das aktuelle Album von Tame Impala gepasst, so schön, wie hier die Synthies wabern. Überhaupt sind Drums und Tasteninstrumente sehr im Vordergrund, die Gitarren stehen zurück, „Free Reign“ versteht sich auch nicht so sehr als Noise-Kracher als vielmehr als warmes Psychedelicmonster. Ihrem Ruf als Avantgardeband werden Clinic bei dieser Veröffentlichung eher mit ihrem Marketing gerecht: Eine limitierte Auflage der Platte erscheint in Frisbeeform.

Clinic: Free Reign. Domino Records (Goodtogo). Zur Website von Clinic.

Efterklang: PiramidaSommerstimmung im Winter

(JA) Die dänischen Meister der harmonischen Soundexperimente melden sich mit ihrem vierten Album “Piramida” zurück, das in Berlin produziert wurde. Dorthin verschlug es die vor 12 Jahren gegründete dänische Band Efterklang vor einiger Zeit. Der gewöhnliche Berliner verbringt nach einem zugigen, arschkalten Winter in der Hauptstadt seinen Sommerurlaub in warmen Gefilden.

Nicht so Efterklang. Die verbrachten im Sommer 2011 ein paar Tage in Spitzbergen – 1.000 km vom Nordpol entfernt. Hochsommer mit 5 Grad Außentemperatur. Die karge Landschaft im Norden Schwedens inspirierte die Band zu „Piramida“.

Efterklang – Apples from Rumraket on Vimeo.

Piramida – ein ehemaliges sowjetisches Sperrgebiet, heute Geisterstadt in der ohnehin schon unwirklichen Gegend. Mit Hilfe eines Kamerateams erforschten Efterklang diesen Ort; stießen auf ein verstimmtes Klavier, das als Sample auf dem Album zu hören ist; fingen wie gewohnt alle Geräusche mit Richtmikrophon ein, die ihnen in die Quere kamen. Herausgekommen ist ein Meisterwerk der Gegensätze, das erst nach mehrmaligem Hören so richtig zündet. Der äußerst erfolgreiche Vorgänger „Magic Chair“ hat es mit dem Song „Modern Drift“ in die Audi -Werbung geschafft.

Überraschend gehen Efterklang mit „Piramida“ in eine neue Richtung. Da kann der alte, abgeschlossene Sound beruhigt an einen Autokonzern verhökert werden. Im Vergleich zu „Magic Chair“ ist „Piramida“ extrem minimalistisch ausgefallen und verzichtet auf überbordende Momente. Die offensichtlichen elektronischen Elemente werden zugunsten eines orchestralen Gesamteindrucks fallen gelassen, der jedoch leise und zurückgenommen wie in kalte Nebelwolken gepackt dahinschleicht. Wintermusik mit ganz viel nordischer Sommerstimmung.

Efterklang: Piramida. 4ad/Beggars Group (Indigo). Zur Homepage von Efterklang, zur Facebook-Präsenz, zum Albumtrailer.

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