Neue Platten von und mit Suzanne Vega, Francoise Hardy et al., Die Nerven und Warpaint, gehört von Tina Manske und Christina Mohr.
Knietief im Pop
(TM) Ich sag es gleich vorweg für die, die’s noch nicht wissen: Suzanne Vega kann aus meiner Sicht überhaupt nichts falsch machen, dafür mag ich sie zu sehr. Fragen wird man sich aber dennoch dürfen, weshalb sich Vega auf ihrem neuesten Album gar so oft und gar so knietief in den Pop begibt, wo doch offensichtlich ist, dass gerade ihre bis aufs Unterhemd ausgezogenen Folksongs immer noch die intensivste Begegnung mit dieser begnadeten Songwriterin bieten.
Sei’s drum: „Fool’s Complaint“ beispielsweise wird hier so gnadenlos überzuckert, dass man die schöne Akustikversion, die Vega neulich im BBC-Radio gespielt hat, kaum noch raushört. Andererseits dann wieder sowas wie „Portrait Of The Knight Of Wands“ – schöner hat man Suzanne Vega seit „The Queen And The Soldier“ selten singen gehört. Obwohl sie überhaupt auf „Tales From The Realm Of The Queen Of Pentacles“ so einiges recyclet, was man ihr in den letzten 30 Jahren schon gerne abgekauft hat, verzeiht man ihr gern, denn keiner sonst kann so unprätentiös schöne Märchen erzählen.
Suzanne Vega: Tales From The Realm Of The Queen Of Pentacles. Cooking Vinyl (Indigo).
Charmant
(MO) In den frühen 1960er-Jahren entstand – hauptsächlich in Frankreich, aber auch in Spanien und Italien – eine beschwingte Form von Popmusik, die wegen des entzückenden Aussprache der Sängerinnen „YéYé“ („Yeah Yeah“) genannt wurde. Die Protagonistinnen waren meistens sehr jung, sehr hübsch und auf lolitahafte Weise sexy, oft wurden sie direkt von Filmsets oder Modenschauen engagiert und in Plattenstudios „entführt“; und nicht selten standen ältere Herren wie Serge Gainsbourg als Entdecker, Produzenten und Mentoren hinter ihnen. Die bekanntesten YéYé-Vertreterinnen waren zum Beispiel Sylvie Vartan, die bei ihren ersten Plattenaufnahmen erst sechzehn Jahre alt war, France Gall („Poupée de cire“), Mina, Christiane Legrand, Anna Karina und Sue Lyon.
Aus den fröhlichen French Girls stach eine ganz besonders hervor: die (bis heute!) schöne, stilvolle und stets leicht melancholische Françoise Hardy, die als eigentliche Begründerin der French-Pop-Szene gilt. Das englische Label Cherry Red jedenfalls stellt Hardy ins Zentrum der wundervollen Compilation „Françoise Hardy and Her Contemporaries“, die 31 Songs versammelt und das breite Spektrum der YéYé-Zeit präsentiert: Sylvie Vartans charmante Coverversionen von z. B. Elvis Presleys „Don´t Be Cruel“ („Sois pas cruel“), die vierköpfige Gruppe Les Gam´s mit ihren rockigen Hits „Cheveux Fous Et Levres Roses“ und „Bon Vent Ma Jolie“ und die Filmdiven Jeanne Moreau und Brigitte Bardot, die sich auch als faszinierende Sängerinnen entpuppten.
Hört man die Lieder heute, fällt erstens auf, dass viele buchstäblich popkulturelles Allgemeingut, sprich Evergreens geworden sind. Zweitens ist man auch fünfzig Jahre nach dem Erscheinen von „Un petit baiser“ oder „Zou bisou bisou“ noch immer ganz hin und weg von der Mischung aus Leichtigkeit, Unbefangenheit und Spaß – Françoise Hardy und ihre Zeitgenossinnen verkörperten einen Stil, der in Bandprojekten wie Nouvelle Vague bis heute weiterlebt und ganz unbewusst nicht weniger als perfekter Pop war.
Françoise Hardy and Her Contemporaries. Cherry Red.
Mehr Alptraum als Traum
(TM) Ja, nee – „Fun“ ist jetzt nun nicht gerade das richtige Wort um zu beschreiben, was man mit der neuen Platte der Stuttgarter Band Die Nerven hat. Die drei Musiker knüpfen sehr beherzt an ihr Debütalbum „Fluidum“ an, auf dem sie sich schon in so manches Rockerherz gespielt hatten. Auf „Fun“ werden wieder die Gitarren geschrammelt, das es eine wahre Freude ist, Sänger Julian Knoth brüllt sich die Protestseele aus dem Hals und skandiert so schöne Agitpropsätze wie „Das ist immer noch dein Leben/ auch wenn du selbst nichts mehr entscheidest“.
Das hier sind wieder 10 Postpunk-Hymnen, mit viel Hall unterlegt und mit schön deutlichen Akzenten auf den Gitarren, und tatsächlich müssen Die Nerven gar nichts anders machen als bisher, denn Wut ist nun mal Wut ist nun mal Wut, und ein dankbares Publikum gibt es dafür mit jeder neuen Abi-Abschlussklasse wieder (s. „In meinem Kopf spielen sich Dinge ab, die keiner versteht, die keiner verstehen will“). Aber auch ältere Semester sollten sich ruhig von diesem Aufschrei wachrütteln lassen – es macht nämlich Spaß, mit einem lauten „Nie wieder scheitern!“ durch die nächtlichen Straßen zu laufen. Also dann doch wieder „Fun“, irgendwie.
Die Nerven: Fun. This Charming Man (Cargo).
Großer Wurf
(MO) Ohne dass man so wirklich damit gerechnet hat, sorgen Emily Kokal, Theresa Wayman, Jenny Lee Lindberg und Stella Mozgawa alias Warpaint mit ihrem neuen, selbstbetitelten Album für den ersten großen Hype des Jahres. Das Medieninteresse kommt allerdings nicht von ungefähr: schon im Herbst verwendete Calvin Klein ein Snippet des Songs „Love Is To Die“ für einen Werbefilm; Bassistin Lindbergs Gatte John Cunningham drehte eine Doku von den Aufnahmen für „Warpaint“.
Das Album selbst wird in der internationalen Musikpresse als „Rock-Überraschung 2014“ gehandelt. Die Zeichen stehen also voll auf Erfolg; die Fans des ersten, shoegaze- und psychedelic-orientierten Albums brauchen jedoch nicht zu befürchten, dass – abgesehen von ihrem fotogenen Image – aus Warpaint eine Mainstream-Band geworden ist. Zum Beispiel werden auf „Warpaint“ Fehler nicht übertüncht, sondern betont: im Intro flucht Schlagzeugerin Mozgawa deutlich hörbar über den verpatzten Einstieg, Gitarrenkundige werden den ein oder anderen „Verspieler“ in den Stücken bemerken.
Die zwölf Tracks können zwar irgendwie unter Rock subsumiert werden, aber auch nur im weitesten Sinn: Die Stimmung ist gewohnt verhalten und dunkel, der Bass wummert wie einst bei Joy Division und New Order. Die erste Hälfte des Albums erinnert stimmungsmäßig und stilistisch an The Cure in ihrer Frühphase („Seventeen Seconds“, „Three Imaginary Boys“), tanzbare Tracks wie „Disco/Very“ oder „Feeling Alright“ spielen mit Dub- und No-Wave-Elementen, wie es ihrerzeit The Slits und ESG gemacht haben. Man spürt deutlich, dass Warpaint gerne jammen, ins Studio gehen und drauflos spielen – beim ersten Album sorgte Red Hot Chili Peppers-Gitarrist John Frusciante als Producer dafür, dass die Gitarrenparts im Fokus standen. „Warpaint“ wurde von Flood (PJ Harvey, Depeche Mode, U2) und der Band selbst produziert und wirkt freier, verspielter, aber auch vorsichtiger.
Die Songs offenbaren ihre vielen tollen Details erst nach mehrmaligem Hören, man muss der Platte Zeit geben – nicht wirklich mainstreamtauglich, aber ein großer Wurf für Warpaint.
Warpaint: dito. Rough Trade/Beggars.