Neue Platten von und mit Peaking Lights, DGTLMONKEY, The Soundtrack Of Our Lives, Kaltfront und Cakewalk, gehört von Janine Andert (JA), Ronald Klein (RK) und Tina Manske (TM).
Entrückt
(JA) Das amerikanische Ehepaar Aaron Coyes und Indra Dunis aka Peaking Lights hat sein drittes Album „Lucifer“ geschickt in einen diabolischen Namen gewickelt. Dabei spielt der Albumtitel auf die Licht bringenden Qualitäten des Beelzebubs an. Das einzig teuflische an „Lucifer“ ist die Suchtgefahr, welche die verträumten Melodien mit sich bringen. Irgendwo zwischen psychedelischem Pop, verwaschenem Dub, Loops und analogem Soundgefrickel setzt der Langspieler genau dort an, wo das 2011er-Meisterwerk „936“ aufhörte – nämlich bei entrückten Klängen, die ganz entspannt gute Laune ins Herz pumpen. Dabei ist „Lucifer“ ein wenig eingängiger als der Vorgänger ausgefallen, schafft es aber gerade dadurch, ein schwebend leichtes Sommergefühl einzufangen.
Die musikalischen Einflüsse sind so weit gestreut, dass die Peaking Lights getrost als DIE Geheimwaffe für jeden Geschmack bezeichnet werden können. Die acht Songs sind ein Hoch auf den langsamen Puls der Zeit und zugleich in sich verspielt und experimentierfreudig. Einfach mal die Repeat-Taste drücken und die Beine baumeln lassen. Und wer’s noch etwas rührselig will: Aaron und Indra sind begeisterte Eltern. Der zweite Track, „Beautiful Son“ ist eine Hommage an Söhnchen Mikko, dessen Stimme immer mal wieder in die Songs mit eingewoben wurde. „Lucifer“ ist die hausgemachte Erdbeermarmelade, die den Sommer macht; das Selenheil für den stressgeplagten Großstadtmenschen.
PEAKING LIGHTS „Hey Sparrow“ von domino
Peaking Lights: Lucifer. Domino Records. Zur Homepage und zur Facebook-Seite. Peaking Lights bei Soundcloud.
Durchgeknallt
(RK) Es waren einmal ein Affe im Weltraum und ein Junge auf dem blauen Planeten. Beide einte die Liebe zur ungeschliffenen elektronischen Musik fernab des Mainstreams: Rohdiamanten aus Beats und Loops. Weil der Affe aber nirgendwo unterschlüpfen konnte, lebt er seitdem im Kopf des jungen Musikers, der nach „The Land Of Dirty Beats And Bananas“ (2010) das Zweitwerk als DGTLMONKEY vorlegt, das noch deutlich facettenreicher, durchgeknallter, aber durchweg tanzbar daherkommt. Nach einigen Instrumental-Tracks, die irgendwo zwischen Uptempo-Disco-House und French Disco changieren, erinnert „Rise My People“ plötzlich an frühe Atari Teenage Riot – in ihrer ganzen Wildheit, lange bevor Alec Empire auf Graue Eminenz und Blixa Bargeld des Techno-Punks machte. Nicht nur die Beats klingen nach den Berliner Helden, sondern auch die Stimme der Sängerin, die sich – welch‘ Überraschung – als ATR-Röhre Hanin Elias entpuppt. Insgesamt eine deutliche Steigerung zum Debüt und dabei immer noch nicht kommerz-verdächtig.
DGTLMONKEY: Da Monkey Club. Funch (Broken Silence). DGTLMONKEY bei MySpace und Facebook.
Im reinen
(TM) Und schon wieder verabschiedet sich eine große Band in die Annalen der Popgeschichte: The Soundtrack Of Our Lives aus Göteborg haben ihre letzte Platte veröffentlicht. Dem Anlass gemäß ist es ein sehr melancholisches Album geworden. Doch trotz aller verständlichen Schwermütigkeit verfallen die Schweden nicht dem inhaltslosen Pathos. Songs wie „Faster Than The Speed Of Light“ oder „Freeride“ sind noch einmal herrliche Hymnen des Britrocks. TSOOL lassen es auf „Throw It To The Universe“ ruhig angehen, ihr Abschiedsgruß ist eher poppig dahingehaucht als rockig geschmettert.
Deswegen ist es auch Leichtes, ihnen hinterherzuwinken: Hier scheint jemand mit sich und seinen Entscheidungen im Reinen zu sein. Wir können daher Noel Gallagher nicht ganz folgen, der das Verschwinden von TSOOL für das Schlimmste hielt, was 2012 passieren kann. Sie werden auch weiterhin zum Soundtrack unseres Lebens gehören, gerade mit den wunderbaren Gitarren, die man auch auf diesem Album nicht genug loben kann. Oder wie es im beschließenden „Shine On“ heißt: „There’s another day after tomorrow/ there’s another day after the end“. Zum Ende des Jahres werden sie sich auflösen, bis dahin gibt es sie hoffentlich noch ein paar Mal live zu sehen.
The Soundtrack Of Our Lives: Throw It To The Universe. Haldern Pop Recordings (Rough Trade). Zur Homepage.
Wuchtig
(RK) Wer die Antennen richtig drehte, empfing auch in den Zeiten als die Mauer noch stand, problemlos Westfernsehen und -radio. Ost-Berlin nutzte RIAS und SFB, Thüringen den Bayerischen Rundfunk und Sachsen-Anhalt den HR. John Peel und Barry Graves waren auf beiden Seiten der Mauer populär. Nur in Dresden und Umgebung schien der Empfang schwierig. Die Empfangsgeräte lieferten in der Regel nur weißes Rauschen. So kam es, dass der Volksmund vom „Tal der Ahnungslosen“ sprach. Doch gerade aus Dresden kam mit Paranoia einer der spannendsten Acts der jungen Punkszene in der DDR. Vielleicht war es die Eigenständigkeit, die fehlende Möglichkeit nach westlichen Vorbildern zu schielen, die Songs wie „Kidpunkx verpisst euch“ den ganz eigentümlichen Charme verpasste.
Aus den Trümmern Paranoias entstand 1986 Kaltfront, die qualitativ noch einmal einen Quantensprung darstellte. Die drei Demo-Kassetten atmeten den gleichen Geist wie die innovativen Indiebands von der Insel. Nach dem Mauerfall hätten sie sich mit ihrem Potenzial problemlos in den Rockhype einfügen können. Doch nach einer Tour mit den Toten Hosen folgte 1990 die Auflösung. Fast 15 Jahre herrschte Funkstille, bevor zwei Tonträger mit alten Live-Aufnahmen und den Klassikern der Kassetten erschienen.
Mit „Zwischen allen Fronten“ gibt es tatsächlich neues Material, gemischt mit den Neu-Einspielungen alter Songs. Die Musiker beherrschen die Instrumente virtuoser, was die druckvolle Produktion unterstreicht. Wuchtiger Indie-Rock, extrem zornig und keinesfalls resigniert oder larmoyant. Nach der CD-Veröffentlichung Anfang des Jahres ist die Platte nun endlich auch als Vinyl erhältlich.
Kaltfront: Zwischen allen Fronten. Rundling (Eastside Records).
Herrlich hysterisch
(RK) Die norwegische Band Cakewalk, die sich nach einem Ragtime-Modetanz benannte, den sogar Debussy in seine Werke einfließen ließ, legt ihr Debüt vor. Sechs Songs, die herrlich unvorhersehbar daher rumpeln. Das Trio spielt instrumentalen Rock, dessen Struktur meist improvisiert klingt und allen, die klare Songstrukturen wollen, die Nase zeigt. Auch wenn immer wieder Krautrock oder Fusion Jazz als Referenzgrößen herangezogen werden, klingt „Wired“ unheimlich modern und alles andere als retro. Für entrückte Kraut-Passagen spielen die drei Musiker ohnehin viel zu nervös verfrickelt und bisweilen herrlich hysterisch. Aufregende Musik, die die ganze Aufmerksamkeit des Hörers verlangt.
Cakewalk: Wired. Hubro (SunnyMoon Distribution).