Geschrieben am 22. Oktober 2014 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Jessie Ware, Kindness und The Vaselines, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

jessieJessie Ware: Tough Love

(MO) Eines kann man Jessica Lois “Jessie” Ware wirklich nicht vorwerfen: dass sie Angst vor großen Gefühlen hätte. Ganz im Gegenteil, die einstige Gastsängerin von SBTRKT und Joker badet auf ihrem neuen Album nach dem Überraschungserfolg „Devotion“ (2012) tief in „sweet love“, hadert mit „tough love“ und kennt keine emotionalen Grauzonen dazwischen.  Auch wenn überall auf Jessie Wares Indie-Vergangenheit abgehoben wird, ist „Tough Love“ so alternative wie, sagen wir, Adele oder Leona Lewis. Die elf Songs sind allesamt glossy Hits, eingängig und pompös produziert von Producergespann BenZell, das auch für Katy Perry arbeitet. Schmachtfetzen wie „Say You Love Me“ treffen auf Powerballaden zum Mitschmettern („Pieces“), ihre Clubvergangenheit zelebriert Jessie Ware mit tanzbarem Achtziger-Elektro („Want Your Feeling“, „Running“) und zieht den Hut vor dem Soul-Jazz der großen Sade („Sweetest Song“). Durchgehendes Thema: Die Liebe, siehe oben, entweder verzweifelt oder verzückt – was im Übrigen voll und ganz Jessie Wares Privatleben entspricht. Das Love-Forever-Versprechen, das sie kürzlich ihrer Jugendliebe und inzwischen Gatten Sam Burrows gab, begeisterte Yellow- und Musikpresse gleichermaßen. Dementsprechend wirft sich Ware in jeden Track, als sei es ihr erster (oder ihr letzter), und diese geballte Leidenschaft ihrer rauchigen Stimme ist es, die „Tough Love“ dann doch so unwiderstehlich macht: Auch die Hörerin im fortgeschrittenen Alter fühlt sich mit Jessie wie ein Teenager, der/die zu Robin Becks Coca-Cola-Hit „First Time“ heftigen Liebeskummer ausagiert. Was ich sagen will: Keine Angst vor großen Gefühlen – „Tough Love“ ist echt okay. Mehr als das.

Jessie Ware: Tough Love. Island (Universal). www.jessieware.com

kindness_othernessKindness: Otherness

(TM) Es ist dieser Musikherbst einer, in der sich viele auf wenige Platten einigen können. Caribous „Our Love“ gehört zu den Favoriten (wir berichteten), aber auch das neue Album von Kindness hätte das Zeug zu einem Kritiker- und Publikumsliebling. Allein bei der Betrachtung der mitwirkenden befreundeten Musiker läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen: Devonté Hynes alias Blood Orange ist ebenso dabei wie Robyn, die dem heimlichen Hit „Who Do You Love“ ihre unverwechselbare Stimme leiht. Dazu kommen Talente wie der ghanaische Rapper M.anifest und die afrikanische Sängerin Kelela. Kindness singt dazu seine eleganten Songs so sanft und überzeugend und wählt die Samples mit soviel Stilbewusstsein – man möchte „Otherness“ emotionale Intelligenz unterstellen. Apropos heimliche Hits: Wo andere, auf den Charterfolg abfahrende Bands ganz straight die Autobahn zum Clubtrack genommen hätten, bauen Kindness noch in den zielsichersten Tanzbodenschlager kleine Stolpersteine ein, die ein leichtes Konsumieren unmöglich machen. Aus dem erwähnten „Who Do You Love“ zum Beispiel wird immer wieder der Drrive herausgenommen, bis zur totalen Pause – es könnte einem gehen wie den Besuchern eines alt-J-Konzertes, die neulich anmerkten, man müsse sich schon sehr konzentrieren, sonst „vertanze“ man sich. Vertanzen! Ja! Sollte man viel öfter! Am besten mit dieser Platte hier!

Kindness: Otherness. Female Energy/PIAS/Coop.

vaselines_The Vaselines: V For Vaselines

(MO) “Ba-ba-ba-ba-ba-ba-ba-ba-ba-baaaa” – Frances McKee und Eugene Kelly alias The Vaselines starten mit einem entwaffnenden Energieschub in ihr neues Album “V For Vaselines”. “High Tide Low Tide” ist der ideale Song, um eine Platte, ein Konzert, eine Party zu eröffnen – dreieinhalb Minuten Postpunk-Powerpop, inspiriert von den Ramones, Teenage Fanclub und sich selbst, denn The Vaselines aus Glasgow sind Legenden, auch wenn sich ihr Bekanntheitsgrad in Grenzen hält. Ihr berühmtester Fan war Kurt Cobain, der mit Nirvana nicht nur mehrere Vaselines-Songs coverte („Jesus Don´t Want Me For A Sunbeam“, „Son Of A Gun“, „Molly´s Lips“), sondern auch seine Tochter nach Frances benannte.  Von diesem Ruhm zehren The Vaselines noch heute (auch finanziell, wie Frances McKee betont: die Lizenzeinnahmen der Nirvana-Cover zahlen bis heute ihre Miete), und auch voneinander kann das einstige Pärchen nicht lassen: Seit ihrem Debütalbum „Dum-Dum“ (1989) trennten sich McKee und Kelly mehrmals in jeglicher Hinsicht und mussten doch erkennen, dass sie – wie Jagger/Richards und Lennon/McCartney – nur zusammen ihren speziellen Sound mit dem gewissen Etwas hinbekommen. „V For Vaselines“ ist daher auch kein sediertes Alterswerk; wie auf dem Vorgänger „Sex With An X“ schrammeln sich Frances und Eugene durch zehn geradezu perfekte Indiepop-Perlen, denen man allerhöchstens (wie es ein britisches Magazin tat) ihre vorhersehbare Struktur (verse-chorus-verse-chorus-chorus-chorus) vorwerfen könnte. Aber würde das tun wollen angesichts solcher Textzeilen wie „Being with you / kills my IQ“? „V For Vaselines“ klingt wie direkt aus 1989 gebeamt – aber war das nicht schön damals?

The Vaselines: V For Vaselines. Rosary Music (Rough Trade). www.thevaselines.co.uk/

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