Geschrieben am 18. März 2015 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Isolation Berlin, Jimmy Somerville, TheeSatisfaction und Azealia Banks, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

isolationberlin_koerperIsolation Berlin: Körper EP

(TM) Wenn es einer aktuellen deutschen Band gelingen kann, die momentane totale österreichische Übermacht im Pop (s. Wanda, Bilderbuch, Kreisky) ein wenig zu relativieren, dann sind es Isolation Berlin. Schon lange nicht mehr hat Musik mit deutschen Texten mit einer solchen Dringlichkeit die persönlichen und gesellschaftlichen Schieflagen auf den Punkt gebracht. „Schlafen kann ich auch noch wenn ich tot bin/ bis dahin ist noch jede Menge Zeit“, brüllt Sänger Tobias Bamborschke ins Mikro und klingt dabei wie der moderne Rio Reiser.

Der Titelsong stolpert über holprige Beats zu einem Refrain, dessen Unmittelbarkeit und Verzweiflung auch nach wiederholtem Hören noch positiv erschüttert: „Ich fresse und ich fresse, doch ich krieg den Hals nicht voll… Irgendwann geh ich noch drauf/ ich bin so fett, ich ritz mich auf/ Ich muss aus meinem Körper raus“. Überhaupt, diese Texte: Sie ergänzen den musikalischen Ansatz aus DIY, Indie und Punkattitüde passgenau. „Wie eine kraftlose alte Raupe quält sich die U-Bahn durch die Stadt/ Nach Pankow und zurück, ich hab die ganze Scheiße satt“. Im Grunde ist „Isolation Berlin“, aus dem diese Zeilen stammen, aber natürlich auch ein Liebeslied. Die ganze Band ist zerfressen von Liebe. So muss es sich angefühlt haben, in den 70ern zum ersten Mal Ton Steine Scherben zu hören.

Isolation Berlin: Körper EP. Staatsakt (Rough Trade).

jimmysomerville_homageJimmy Somerville: Homage

(TM) „Ich habe eine riesige Diskokugel in meinem Kopf, die niemals aufhört, sich zu drehen“, sagt Jimmy Somerville, und zur Unterstreichung dieser Behauptung hat er für sein Comeback ein beachtlich gutgelauntes Diskoalbum im Gepäck. Mit zwölf Originalsongs, die eine „Homage“ an die goldenen 70er-Jahre darstellen, meldet sich die schottische Stilikone der 80er-Jahre auf der musikalischen Bühne zurück. Wer die 80er-Jahre erlebt hat und sich nicht an Hits wie „Smalltown Boy“ oder „I Feel Love“ und Bands wie Bronski Beat oder The Communards erinnert, der – ach was, solche Leute gibt es ja gar nicht.

Und das Schönste ist: Kaum hebt Somerville mit seinem etwas ergrauten Falsett an, fühlt man sich bei ihm aufgehoben wie bei einem guten Freund. Mit dem man dann auch gleich tanzen gehen kann. Dabei war zunächst gar kein Diskoalbum geplant. Erst bei der Arbeit an der neuen Platte mit Produzent John Winfield kam man auf die Idee, alle bis dahin entstandenen Songs in Diskosongs zu verwandeln – was sofort funktionierte. Es ist alles da: die Euphorie, der Drang auf die Tanzfläche, die großen Gefühle. Schwer zu glauben, dass Songs wie „Taken Away“ irgendwann anders als Diskosongs geplant waren. Keep on dancing!

Jimmy Somerville: Homage. Membran.

eartheeTheeSatisfaction: Earthee

(MO) Stasia „Stas“ Irons und Catherine ‚Cat‘ Harris-White alias TheeSatisfaction sind zurück mit ihrem zweiten Album „EarthEE“. Seit ihrem Debüt von 2012 „AwE Naturale“ veröffentlichten die beiden mehrere Mixtapes mit linkem Hip-Hop und hosteten „Black Weirdo“-Parties in Stas‘ neuer Homebase Brooklyn, was TheeSatisfactions Fangemeinde anwachsen ließ und ihre Reputation festigte. Die neue Platte beginnt mit einem dicken, pulsierenden Elektrogroove: „Prophetic Perfection“ zieht seinen hypnotischen Reiz außerdem aus dem Zweiergesang von Cat und Stas, „said the bird to the water: May I take a sip? May I dip my toes in it“ – oh yeah, die Natur/Earthee spricht ihre eigene Sprache und TheeSatisfaction helfen uns, sie zu entschlüsseln. Cats und Stas‘ mystifiziertes Umweltbewusstsein legt zuweilen Spuren zu Sun Ra, besonders griffig im Retro-Soul-Funk von „No GMO“ und „Planet for Sale“.

Ishmael Butler von Shabazz Palaces ist Gaststar beim großartigen „Blandland“, in dem unverblümt die Ausbeutung schwarzer Kultur durch weiße Schmarotzer angeprangert wird: „this shit is trash garbage“ – von wegen mystisch, deutlicher geht es kaum. Auch „Post Black Anyway“ behandelt das Thema Schwarzsein – über sämigen Beats sinnieren Irons und Harris-White darüber, was es heißt, im Jahr nach Ferguson in den USA über Rassismus zu sprechen. Die Mischung aus Free-Jazz und Spoken Word-Elementen ist meditativ und zwingend zugleich und unterstreicht eindrucksvoll die Ursprünge von TheeSatisfaction, die sich auf Spoken Word-Bühnen zusammenfanden. Das einzige, was sich „EarthEE“ vorwerfen ließe, ist dass es an keiner Stelle so richtig losgeht – die dreizehn Tracks bilden einen tranceartigen Flow aus Groove und Worten. Aber, hey, Sisters: Mother Earth nimmt sich 24 Stunden Zeit, um sich einmal um sich selbst zu drehen. Kein Anlass zum Rumstressen, take a sip from the water!

TheeSatisfaction: Earthee. SubPop. Zur Homepage.

azealiabanks_brokewithexpensivetasteAzealia Banks: Broke With Expensive Taste

(TM) Als Azealia Banks Ende des letzten Jahres endlich ihr Album „Broke With Expensive Taste“ über ihre Website zum Download anbot, waren seit der Veröffentlichung ihres ersten großen Hits „212“ schon drei Jahre vergangen. Jahre! Das sind im Popbusiness quasi Jahrhunderte! Und doch: Banks hatte es geschafft, kontinuierlich für Gesprächsstoff zu sorgen, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Dickes Plus: „212“ war halt einfach ein sehr, sehr guter Track, da war man gewillt, auch etwas länger auf die Langspielplatte zu warten. (Macht man das überhaupt noch, auf Alben warten, oder nur solche Pop-Dinos wie ich?)

Nun erscheint das überall schon zu Recht gelobte „Broke With Expensive Taste“ auch als CD, und obwohl es ja schon überall rauf und runter gelobt wurde, wollten wir doch wenigstens auch nochmal darauf hinweisen, dass man das haben muss. Höhepunkt – und als Tracknummer 2 genau da, wo der Hit hingehört – ist natürlich „Gimme A Chance“, das als unwiderstehlicher Hip-House-Track beginnt und gegen Ende zu einer Latin-Nummer wird, zu der Banks dann sogar auf spanisch rappt. Apropos: Sie ist zugegebenermaßen nicht die begabteste Rapperin, hat aber nachweislich eines der besten Händchen, wenn es um die Auswahl der Samples geht. Man höre nur diese Bläserfanfaren! Killeralbum.

Azealia Banks: Broke With Expensive Taste. Caroline (Universal).

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