Neue Platten von und mit Get Well Soon, No Doubt, Two Gallants und Azure Ray; gehört von Janine Andert (JA) und Christina Mohr (MO).
Ab durch die Leitplanke
(JA) „[I]ch hab mal ein bisschen Dolce Vita zugelassen. […] Zu diesem Album kann das Millionärssöhnchen im Cabrio sein Baby-Doll durch die Berge am Gardasee kutschieren, er kann aber auch im richtigen Moment die Medikamente absetzen und ab durch die Leitplanke.“ sagt Konstantin Gropper, Mastermind hinter Get Well Soon, über sein drittes Studioalbum „Scarlet Beast O’Seven Heads“. So viel Humor hätte man dem immer etwas schüchtern durch die Szenerie schlurfenden Gropper gar nicht zugetraut.
Seine Musik kontrastiert herrlich zum Erscheinungsbild des schmächtigen, blassen Mannes. Ein von der Welt vergessenes Genie, das im heimischen Laboratorium Furcht einflößende Bestien beschwört. Und genau so können die überbordenden Trauerhymnen beschrieben werden: Monumentale Epen, die mit melancholischem Orchesterpomp und kryptischen Lyrics Präsenz einfordern. Getragen von Groppers dunklem Stimmvolumen, mit dem eigentlich auch nichts außer Weltschmerz besungen werden kann.
Es ist schreiend komisch zu lesen, dass dieses Album unter anderem vom verzweifelten Versuch handelt, „kein Album über den Weltuntergang“ zu machen. Dieser Versuch wird schon anhand des Songtitels „Let Me Check My Mayan Calendar“ ad absurdum geführt. Dennoch schafft Gropper es, den Hörer mit „Roland, I Feel You“ in die glitzernden 70er-Jahre zu entführen. Das dazugehörige Video quillt schier über an Filmreferenzen an diese Zeit. Wer nicht auf den Pathos großen Kinos steht, ist hier falsch. Logisch, wenn auf allen Ebenen des Albums auf filmische Elemente gesetzt wird, die durch Bezüge zu Regisseur Roland Emmerich („Roland, I Feel You“), Dialogsamples und tausend indirekte Verweise sich den laufenden Bildern verschrieben haben.
Get Well Soon liefern mit „Scarlet Beast O’Seven Heads” eine gewohnt überbordende Feier des Weltschmerzes ab, die an einigen Stellen mit ein bisschen Pling-Pling und süßen U-uhs im Background aufgehellt wird. So lässt sich der Herbst begrüßen.
Get Well Soon: Scarlet Beast O’Seven Heads. City Slang (Universal). VÖ: 24.08.2012. Zur Homepage, zur Facebookseite.
Die Vergangenheit ruhen lassen
(MO) Fluch der Popularität: als bekannt wurde, dass es nach dem 2001 veröffentlichten letzten Album „Rock Steady“ eine neue Platte von No Doubt geben soll, war das eine echte Sensation. Nur leider klingt „Push and Shove“ an keiner Stelle so, als hätten sich Gwen Stefani, Tony Kanal, Tom Dumont und Adrian Young elf Jahre lang danach verzehrt, genau diese Platte mit genau diesen Songs aufzunehmen. Vielmehr steht zu befürchten, dass Plattenfirma und Band nur darauf achteten, einem wie auch immer definierten Mainstreamgeschmack zu entsprechen.
Der Opener „Settle Down“ klingt noch recht vielversprechend: unspektakulär produziert, verschlepptes Tempo, eine reizvolle Mischung aus Altersweisheit und jugendlicher Anarchie. Aber das war´s auch schon mit pushin’ and shovin’, der Rest des Albums ist eher unauffälliges Durchmogeln: die Stärke von No Doubt lag in ihren Punk- und Ska-Wurzeln, bei aller Megastar-Tauglichkeit war Sängerin und Publikumsmagnet Gwen Stefani eher street-tough als glamourös, die Band simpel gestrickt, aber voller Energie.
In den neuen Songs wie „Gravity“, „Undercover“, „Undone“, der konfektionierten Powerballade „Easy“ oder dem tragisch missglückten Titeltrack wird diese Energie aber von derzeit angesagter Überproduktionstechnik begraben; die Beteiligung von Producerstars wie Diplo und Major Lazer macht die Sache auch nicht besser, bzw. verschlimmert alles noch.
Regt sich mal ein verstohlener Offbeat (den No Doubt einst so super beherrschten), fährt sogleich das Mainstreamrock-Bügeleisen darüber, so dass man schon sehr überrascht ist, wenn in „Sparkle“ tatsächlich eine schöne Ska-Trompete erklingen darf. In „Sparkle“ singt Gwen auch die Zeilen, die leider programmatisch verstanden werden müssen: „I Know It´s Never Gonna Be the Way it was / how can it?“ – Genau deshalb sollte man manche Dinge aus der Vergangenheit auch einfach ruhen lassen.
No Doubt: Push and Shove. Interscope 2012. Zur Webseite der Band.
Zwischen den Extremen
(JA) Nach zwischenzeitlicher Trennung schlagen Two Gallants, die beiden Sandkastenfreunde aus San Francisco, mit „The Bloom and the Blight“ einen neuen Weg ein, der sie nicht nur von Saddle Creek zum französischen Label Fargo führt, sondern auch musikalisch viel Neues bietet. „I wanted to find a rawness in the music and take us back where we’d come from, from punk rock and grunge in particular”, sagt Gitarrist und Sänger Adam Stephens.
Seine markante Stimme bewegte sich immer zwischen den Extremen. Was als tottrauriges Lamento begann, brach plötzlich als manische Wut hervor. Fünf Jahre nach dem letzten Album funktioniert „The Bloom and the Blight“ genau andersherum. Der erste Track „Halycon Days“ explodiert sofort. Die einstige Akustik-Gitarre wird durch eine Metall angehauchte Rock-Gitarre ersetzt. Two Gallants sind von Folk und Blues zum Rock konvertiert. In „Broken Eyes“ meldet sich endlich die Mundharmonika zurück, die hier nicht mehr wehmütig schluchzt, sondern in der Bandpause Kontakt mit Bob Dylan aufgenommen haben muss. In „Ride Away“ kommt das Duo fast wieder im alten Sound an, der allerdings mit einem dröhnendem Gitarrensolo gespickt ist.
Sänger und Schlagzeuger Tyson Vogel zeigt in „Decay“ die Weiterentwicklung seiner Stimme, was sich neben Stephens irrem Organ trotzdem als Beiwerk verliert. Die emotionsgeladene Kauzigkeit der Two Gallants ist nicht mehr so offensichtlich wie auf den Vorgängeralben. Man wird nicht mehr von der plötzlichen Angst ergriffen, dass Stephens, wenn er noch einen Ton länger singt, dem Wahnsinn anheim fällt.
„The Bloom and the Bright“ ist ein sehr ehrliches und persönliches Album, das einen Wendepunkt in der Bandgeschichte markiert. Aber so richtig haben Two Gallants ihren neuen Weg noch nicht gefunden. Der Funke will irgendwie nicht überspringen.
Two Gallants: The Bloom and the Blight. Fargo Records/Indigo. VÖ: 07.09.2012. Zur Homepage, zur Facebookseite.
Düsternis in Wattewelt
(JA) Mini-Alben sind eine tolle Sache. Niemand versucht, Füllmaterial unterzubringen. Kurz und schmerzlos ist da versammelt, was Azure Ray gerade der Welt mitzuteilen haben. „As Above So Below“ ist ein entrückender Traum, der den Hörer etwas benebelt, aber glückselig zurücklässt. Die Texte kranken zwar an gefühlsduseliger Esoterik – alternative Universen, Mutter Natur, Anfang, Ende, Wiedergeburt und überall Liebe –, aber man verliert sich derart in den schwebenden Klängen, dass man darauf sowieso nicht achtet. (Maria Taylor war während der Aufnahmen acht Monate lang schwanger. Wird man da von solchen Gedanken getragen?) In etwas mehr als zwanzig Minuten meandert das Duo zwischen Dream und Folk Pop umher. Musikrichtungen, die hier trotz ihrer Überpräsenz in den letzten Jahren lebendig und frisch erstrahlen. Hinzukommende Shoegaze-Anleihen wären zu viel versprochen, aber schleppende Soundintermezzi arbeiten gegen die Süße der Stimmen, bewahren „As Above So Below“ vor allzu viel Lieblichkeit.
Das Album löst sich damit vom zuckersüßen Mädchenfolk seiner Vorgänger. Maria Taylor, mittlerweile recht erfolgreich auf Solopfaden unterwegs, und Orenda Fink holten Orendas Ehemann Todd Fink, Sänger von The Faint, mit an Bord, der den Damen Nachhilfe in Sachen elektronischer Musik gab. Ehrlich, dafür ist das Album ausgesprochen soft ausgefallen. Aber, und hier ein ganz großes YEAH!!!, ein bisschen Faintsche Düsternis hat sich in die Wattewelt geschlichen. Andy LeMaster, Hausproduzent und –Künstler bei Settle Creek, wurde ebenfalls im Dream Team aufgenommen. Souverän und ohne jede Überraschung kommt da eben die perfekte Platte für einen Altweibersommer raus.
Azure Ray: As Above So Below. Affairs Of The Heart/Indigo. VÖ: 07.09.2012. Zur Homepage, zur Facebookseite, zum Download.