Neue Platten von und mit Diamond Version, Kate Nash, Pure Bathing Culture und Blood on the Dancefloor, gehört von Ronald Klein (RK) und Christina Mohr (MO).
Nach vorne preschen
(RK) 1999 gründete Carsten Nicolai und Olaf Bender (Ex-AG-Geige) das Elektronik-Label raster-noton und zusammen mit Frank Bretschneider (ebenfalls Ex-AG-Geige) das Projekt signal, das aber seit einiger Zeit auf Eis liegt. Nicolai aka alva noto bespielte zusammen mit Ryiuchi Sakamoto große Säle, nahm mit der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau einen Song für Kai Grehns Hörspiel „Les Paradis Artificiels“ auf und kollaborierte mit Blixa Bargeld. Ohnehin stets umtriebig und mit der Lust auf Neues gesegnet, startete er Anfang dieses Jahres mit Bender das Projekt Diamond Version, das bis 2013 fünf EPs veröffentlichen will.
Mittlerweile liegt die zweite Ausgabe vor: Zwei Songs und ein dritter, sehr kurzer Track, die allesamt nach vorne preschen. Während Nicolai in den letzten Jahren vor allem als Meister der Reduktion galt, der im ästhetischen Spannungsfeld der kaum noch vorhandenen Wahrnehmbarkeit agierte, kehrt Diamond Version zu den Ursprüngen zurück. Es lärmt, und vor allem: Es gibt einen treibenden Rhythmus. Beklagte der Berliner Berghain-Resident-DJ Norman Nodge den allgemeinen Trend zur Langsamkeit, wirken Bender und Nicolai wie die Lücke im Ablauf, die Störung im System, um mit Heiner Müller zu sprechen.
Diamond Version: EP 2. Mute. Zur EP-Beschreibung auf der Mute-Website.
Gar nicht brav
(MO) Schon lange hatte ich nicht mehr so einen Spaß wie mit Kate Nashs EP “Death Proof”! Mit den fünf Songs erfindet sich die Londoner Songwriterin neu, wie man so schön sagt: bekannt wurde die 25-jährige mit „Foundations“ (2007), einem catchy Indiepopsong mit bittersüß-lakonischem Text.
Oft wurde Nash mit Lily Allen verglichen, nicht zuletzt wegen des starken Londoner Akzents der beiden Sängerinnen – wobei Allen als Dramaqueen und Nash als braves Girl von nebenan stilisiert wurde. Brav wird Kate Nash nach „Death Proof“ gewiss niemand mehr nennen: Nash tauschte das klimpernde Klavier gegen verzerrte Bässe und rasante E-Gitarren, sie selbst kreischt, haucht und krächzt wie Karen O von den Yeah Yeah Yeahs oder die junge Debbie Harry.
„I Wanna Boyfriend With A Car“ und „Fri-End“ bedienen sich bei 1980er-New Wave-Klassikern wie „Never Say Never“ von Romeo Void, der Titeltrack ist Riot Grrrlism in Reinkultur und die Kinks-Coverversion „All Day And All Of The Night“ könnte schroffer und cooler nicht sein. Das träge-verträumte „May Queen“ fällt aus dem waverockigen Rahmen zwar heraus, ist aber auch eine Warnung, Kate Nash wieder vorschnell in irgendeine Schublade einzuordnen.
Bei YouTube und in anderen Internet-Foren hagelte es Zorn- und Hasskommentare auf die neuen Stücke – interessanterweise ja wohl von ach so sanften Indieboys und -girls, die die „nette“ Kate zurück haben wollen… Man darf jedenfalls sehr auf Nashs für Januar angekündigtes Album „Girl Talk“ gespannt sein, das Nash via Pledge Music von ihren Fans (also nicht den Hatemailern) vorfinanzieren lässt.
Kate Nash: Death Proof. Have 10p Records. Zur Website, zur Myspace-Site.
Wunderschön verpacktes Unheil
(MO) Noch eine EP, noch einmal pures Glück: das von Brooklyn nach Portland übergesiedelte Duo Pure Bathing Culture spinnt sich und uns mit vier Songs eine Fake-Retro-Achtziger-Welt zusammen, die es so nie gegeben hat – und vielleicht deswegen auch erst heute in dieser Schönheit herauskommen kann. Sarah Versprille (Vocals, Keyboards) und Daniel Hindman (Gitarre) verschmelzen hinreißende Melodien mit luziden Klängen, die ein bisschen nostalgisch und entrückt, aber auch sehr präsent und jetztzeitig wirken: Pure Bathing Culture sind jedenfalls nicht das hundertste Shoegaze-Revival-Duo, sondern erinnern – wenn überhaupt – an britische Bands wie The Sundays mit sanft hereinwehenden Style Council-Reminiszenzen.
Pure Bathing Culture – Ivory Coast from Sean Pecknold on Vimeo.
Sarahs Stimme ist klar wie das Meer rund um ein Malediven-Atoll und rührt nicht nur bei der Single „Ivory Coast“ zu Tränen, während man gleichzeitig fröhlich mitsingen will – also die wünschenswerteste, perfekteste Wirkung, die Popmusik haben kann. Versprille und Hindman wollen mit diesem Stück zu einem „positiven Umgang mit den eigenen Obsessionen“ aufrufen, was ihnen voll und ganz gelingt.
Der letzte Song der EP, das nachdenkliche „Gainesville“ ist einem Freund gewidmet, der ein „wildes Leben“ führte und bei einem Motorradunfall in Peru starb. Die Welt von Pure Bathing Culture besteht also keineswegs nur aus hipsterigen „Portlandia“. Das Unheil wird nicht verschwiegen, aber wunderschön verpackt.
Pure Bathing Culture: dito. Memphis Industries. Zur Facebook-Präsenz.
Visuelle Popfrische
(RK) Das war alles sehr übersichtlich in den 90er-Jahren. Pro-Pain gröhlten „Death On The Dancefloor“, Michael Jackson zwitscherte „Blood On The Dancefloor“ und die meisten grimmig drein blickenden, dickbäuchigen Macker trugen T-Shirts mit dem Spruch „Harte Männer tanzen nicht“. Die amerikanische Formation Blood On The Dancefloor vereint von all diesen Elementen ein wenig, sieht aber seeehr jugendlich aus. Bunte, toupierte Haare, lustige Kontaktlinsen und eine modische Bekleidung führen sie auf die Poster zahlreicher Teenie-Postillen.
Aber was erschwerend hinzukommt: Das Duo aus dem sonnigen Florida wird nicht nur wegen der visuellen Popfrische angeschmachtet, sondern liefert auch noch Ohrwurm an Ohrwurm ab. Da sägen am Anfang die Gitarren, dass selbst gestandene Metaller feuchte Augen bekommen. Zwischendurch gibt es dufte, leicht verdauliche Beats in einer Vielfalt, als hätten Dahvie Vanity und Jayy von Monroe Paul Kalkbrenner gekidnappt und kurzerhand zum dritten Bandmitglied erkoren.
Die Metal- und Elektro-Elemente führt schließlich der Gesang zusammen, den Bands wie Linkin‘ Park perfektionierten. Plötzlicher Stilwechsel bei „World’s Away“: eine astreine Ballade, die selbst von Fans von Poison und Warrant vorzüglich finden dürften. Wie das alles mit dem Albumtitel zusammenpasst? Natürlich gar nicht. Hier stimmt einfach alles, ist quasi voll in der Mitte der Gesellschaft statt am Rand.
Das Produzententeam hat in jedem Fall ganze Arbeit geleistet, eine Platte zu erschaffen, die eine seeehr breite Masse mögen wird – Konsens-Alternative, die den Titel der Platte vollkommen konterkariert. Das ist in etwa so sehr Außenseitertum wie es Bon Jovi mit „Wanted Dead Or Alive“ zelebrierten. Wem das nichts ausmacht, erhält ein Sack voller Hits unterschiedlicher Couleur. Eine wilde Mischung, die früher undenkbar gewesen wäre: Euro-Trash meets Alternative meets Hardcore meets Kitschballaden. Schon erstaunlich.
Blood On The Dancefloor: The Anthem Of The Outcast. Eastworld (Intergroove). Zur Website, zur Facebook-Präsenz.