Neue Platten von und mit Conrad Schnitzler, Patti Smith, A Place To Bury Strangers und Maximo Park, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).
Es wächst, schrumpft, schillert...
(TM) Als Conrad Schnitzler letztes Jahr im Alter von 74 Jahren starb, da wird so mancher Hipster gedacht haben: Conrad who? Dabei wäre ein Großteil der heutigen elektronischen Musik ohne diesen Pionier überhaupt nicht denkbar. Er studierte bei Joseph Beuys, war Mitbegründer des Berliner Zodiak Free Arts Lab sowie Musiker bei Tangerine Dream und Kluster. Das Label Bureau B veröffentlicht in diesen Tagen zwei Re-Issues des wegweisenden Künstlers, der Grenzen in der Musik nicht akzeptierte und nach seinen eigenen Regeln lebte. Auch von Zeit ließ er sich nicht beeindrucken: Manche seiner Konzerte dauerten 50 Stunden und mehr. Seine Klänge wurden rein synthetisch erzeugt und klingen dennoch lebendiger als so manche akustische Produktion anderer Kollegen.
„Rot“ war Schnitzlers erstes Soloalbum. Seine Minimalkompositionen sind letztlich alle Meditationen, der erste Titel auf „Rot“ heißt aber auch so. Und zwar zu recht: Fast zwanzig Minuten lang lauschen wir dem sich verändernden, durch verschiedenste Filter gejagten Pluckern eines – ja was: Wassertropfens? Eine Zen-Erfahrung, keine Frage. Auch das anschließende „Krautrock“ strotzt vor Experimentierlust und Anverwandlung: Schnitzler hat sich dafür ganz offensichtlich an Vogelgesängen deutscher Wälder orientiert; diese werden zum Ende hin vom titelgebenden wabernden Rhythmen eingeholt.
Mit „Blau“, erschienen 1974, blieb Schnitzler seiner einmal eingeschlagenen Richtung treu. Harmonie und Rhythmik, Bollwerke der Musiktheorie, legte er einfach ad acta. Für ihn geht es bei Titeln, die z. B. „Die Rebellen haben sich in den Bergen versteckt“ um die bisher unerforschten Gebiete der Klangkunst. Wir hören zu, wie eine scheinbar zeit- und raumlose Klangform sich unter Schnitzlers Händen in kleinsten Partikeln verändert, wächst, schrumpft, schillert – eine faszinierende Reise. Auf beiden Platten gibt es in der CD-Version übrigens Bonustracks, die allein schon den (Wieder-)Erwerb der Alben rechtfertigen.
Conrad Schnitzler: Rot; Blau. Beide Bureau B (Indigo).
Alles andere als gemütlich
(MO) Trotz ihrer inzwischen 65 Jahre zeigt Patti Smith außer grauen Haaren keine Spuren von Altersmüdigkeit, im Gegenteil scheint es so, als laufe sie jetzt erst zur Hochform auf. Nach dem großen Erfolg mit ihrem biografischen Buch „Just Kids“, diversen Ausstellungen als Fotografin und Malerin und dem 2007 veröffentlichten Coveralbum „Twelve“ erscheint nun mit „Banga“ eine Platte mit zwölf neuen Songs. „Banga“ ist der Name eines Hundes, der in Michail Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ auftaucht – aber Smith interessiert sich nicht nur für Tiere der Weltliteratur, sondern für die Welt in ihrer Gesamtheit, im Kleinen wie im Großen.
Rund um „Banga“ lassen sich so viele Geschichten erzählen, dass sie in einer einzigen Rezension gar keinen Platz finden: die meisten Songs entstanden auf einer Kreuzfahrt, die Patti gemeinsam mit ihrem langjährigen Musikerkollegen Lenny Kaye unternahm, ebenfalls mit an Bord war Jean-Luc Godard. Das Schiff hieß Costa Concordia und sank ein halbes Jahr später. Wie immer widmet Patti Smith ihre Lieder den Toten: „This Is The Girl“ ist eine Hommage an Amy Winehouse, „Maria“ ein Requiem für die Schauspielerin Maria Schneider; mit dem rockigen „Fuji-San“ gedenkt sie der Opfer von Fukushima.
Smith feiert aber auch das Leben: „Amerigo“ erzählt vom amerikanischen Gründungsmythos, mit „Nine“ gratuliert sie Johnny Depp zum Geburtstag, „Seneca“ ist ein Wiegenlied für ihr Patenkind. Die Familie spielt für Patti eine große Rolle: ihre Kinder Jackson und Jesse spielen auf dem Album mit, neben vielen Freunden wie Jay Dee Daugherty, Tony Shanahan und Tom Verlaine, der auf der Single „April Fool“ zu hören ist. Die musikalische Grundstimmung ist getragen und melancholisch, Smith’ Stimme stark und fest – und „Banga“ alles andere als ein gemütliches Alterswerk.
Patti Smith: Banga. Columbia (SonyMusic). Zur Homepage.
Ohrschützer nicht vergessen
(TM) Ihren Titel als lauteste Band dieses Planeten dürften sich A Place To Bury Strangers aus Brooklyn mit ihrer dritten Platte „Worship“ endgültig gesichert haben. Mastermind, Sänger und Gitarrist Oliver Ackerman hat seine Kenntnisse bezüglich Effektgeräten erweitert und bietet in dieser Hinsicht so ziemlich alles ihm Greifbare auf.
Musikalisch ist das nach wie vor verortet zwischen 80er-Jahre-Goth, Krautrock und Shoegazermucke. „Es ist unsere Vision davon, wie unsere Musik im Jahr 2012 klingen soll“, sagt Bassist Dion Lunadon. Kein Produzent war zugegen, man machte alles selbst. Herrlich breitseitig abgemischt und eingetütet ist „Worship“ die ideale Begleitung für die Hausbesetzung mit anschließendem -abriss. Ach ja, catchy ist das Ganze auch noch, und man kann dazu in der Indie-Disco so richtig schön depressiv abpoguen. Anbetungswürdig. Bei den Live-Dates aber bitte BITTE! die Ohrschützer nicht vergessen! Hallo?
A Place To Bury Strangers: Worship. Dead Oceans (Cargo).
Live eine sichere Bank
(MO) Sagen wir so: hätten Maximo Park „A Certain Trigger“ nie gemacht, wäre „The National Health“ ein recht gutes Album. Aber – wie auch bei ihren Mitbewerberbands Franz Ferdinand, Kaiser Chiefs, Kooks oder Arctic Monkeys – hinterließ das Debütalbum einen so starken Eindruck, dass es spätere Veröffentlichungen ziemlich schwer hatten. Das soll jetzt nicht allzu pessimistisch klingen, schließlich ist jugendlicher Überschwang und –mut nicht das Einzige, worauf es im Pop ankommt. Aber Paul Smith, Duncan Lloyd, Archis Tiku, Tom English und Lukas Wooller tragen schwer an der Bürde von Knallersongs wie „Apply Some Pressure“ und „Graffiti“, die noch immer die wichtigsten Hits des Quintetts aus Newcastle sind.
Ihre mediokre dritte Platte „Quicken The Heart“ führte Maximo Park in eine Krise und beinah auch in die Bedeutungslosigkeit, doch die Band beschloss, die „Krise als Chance“ zu sehen und weiterzumachen. Neu auf „The National Health“ sind die prominenten Synthiespielereien, die sich mit den typischen rasant-ruppigen Gitarren gut vertragen und in einigen Fällen zu starken Songs führen: der poppige Ohrwurm „The Undercurrents“ und das Soul-Cover „This Is What Becomes of the Broken Hearted“ sind vitale Beispiele für diese glückliche Kombination.
Doch über weite Strecken klingt „The National Health“ müde und uninspiriert, da können auch Paul Smiths emotionaler Gesang und die politisch expliziten Texte (lies/höre „Banlieue“, „When I Was Wild“ oder „Waves of Fear“) wenig ausrichten. Die Rezensentin scheut sich davor, „The National Heart“ zu verreißen, denn schließlich haben Maximo Park ja mal „A Certain Trigger“ zustande gebracht – blicken wir also nach vorn und auf die Festivalbühnen, denn live sind Smith & Kollegen nach wie vor eine sichere Bank.
Maximo Park: The National Health. Vertigo Berlin (Universal). Zur Homepage.