Geschrieben am 23. Oktober 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Mit einer Benefiz-Compilation für Fela Kuti sowie  neuen Platten von und mit Poliça, Polly Scattergood, Omar Souleyman und ABBA, gehört von Tina Manske.

various_redhotandfelaAfrobeat-Klassiker

Am 15. Oktober wäre Fela Kuti, der große Meister des Afrobeat, 75 Jahre alt geworden (hätte ihn 1997 nicht eine AIDS-Erkrankung zu seinen Ahnen gerufen). Aus diesem Anlass haben sich Musiker aus verschiedensten Genres zur Produktion dieser Benefiz-Compilation zusammengetan, deren Erlös für AIDS-Projekte gestiftet wird (Red Hot ist eine Organisation in New York, die sich der Bekämpfung von AIDS widmet).

Die Liste der Mitwirkenden liest sich prima: Mit dabei sind u. a. das Kronos Quartet, My Morning Jacket, Childish Gambino, Tony Allen und Tunde Adebimpe (von TV On The Radio), um nur einige wenige zu nennen. Den Einfluss Kutis auf die moderne Popmusik kann man wahrscheinlich nicht überschätzen, und hier hat man die direkte Verbindung vor Augen. All die Afrobeat-Klassiker erscheinen hier in neuen Interpretationen.

Einer der Höhepunkte ist sicherlich die 14-minütige Version von „Trouble Sleep Yanga Wake AM“ von My Morning Jacket, zusammen mit Merrill Garbus (von den Tune-Yards) und Brittany Howard (von den Alabama Shakes). Klar, dass Hip-Hop in diesem Kontext eine wichtige Rolle spielt, schließlich hat er dem Afrobeat jede Menge zu verdanken. Die Beteiligung von Hip-Hop-Künstlern wir Nneka, Dead Predz und Questlove (von The Roots) unterstreicht das.

Various: Red Hot + Fela. Knitting Factory (Rough Trade).

polica_shulamithFrieden?

Es gerade mal anderthalb Jahre her, dass „Give You The Ghost“ von Poliça rauskam und aus dem Stand zu einer der erfolgreichsten Platten des Jahres 2012 wurde. Nun erscheint der Nachfolger und zeigt die Band in äußerst fittem Zustand. Der Albumtitel „Shulamith“ erinnert an die feministische Aktivistin und Denkerin Shulamith Firestone. Sängerin Channy Leaneagh sagt dazu: „Sie ist meine Muse und mein Mentor. Ich möchte, dass die Menschen von ihr wissen. Außerdem heißt ‚Shulamith‘ auch ‚Frieden‘, und es kann keiner Band schaden, dieses Wort ein paar Jahre über der Eingangstür zu tragen.“

Allzu friedlich aber geht es in den Stücken der neuen Platte nicht zu. Wieder vereinen Poliça in ihrer Musik Elemente aus R&B, Elektro und Dub, eine Mischung, die den Sound der Band ziemlich unverwechselbar macht. Der Opener „Chain My Name“ geht gleich mit treibenden Beats voran, „Vegas“ präsentiert flirrend-quietschige Soundgebirge, durch die sich Leaneagh tapfer und mit typisch verhalltem Gesang bewegt.

Poliça: Shulamith. Memphis Industries (Indigo).

pollyscattergood_arrowsAlles gesehen und alles gefühlt

Ihr nach ihr selbst benanntes Debüt ist hierzulande noch immer nur als Import zu bekommen, nun erscheint der zweite Longplayer der ätherischen Polly Scattergood. In ihren stärksten Momenten klingt die 25-Jährige wie eine junge Kate Bush, so etwa im traumgleichen „Cocoon“, das zu recht zur Single avancierte. Trotz ihrer jungen Jahre allerdings wirkt Scattergood wie eine, die schon alles gesehen und alles gefühlt hat und uns jetzt daran teilhaben lässt.

Dabei macht sie gern auf Disco, nicht nur beim „Disco Damaged Kid“ betitelten Song. „Subsequently Lost“ ist auch so ein Disco-Stomper, dessen etwas platten Rhythmen durch Scattergoods sanfte Stimme aber wunderbar abgefangen werden. Dagegen stehen dann wieder unwiderstehliche, fast nur vom Piano begleitete Stücke wie „Miss You“.

Das fett produzierte „Wanderlust“ sollte man unbedingt in Verbindung mit dem tollen Video hören. Und „I’ve Got A Heart“ ist eine der schönsten, geigentränenden Schlussmach-Balladen der jüngeren Popgeschichte. „I’ve got a soul and it’s as sad as they come/ because it used to feel everything and now it’s just numb.“ Manchmal ist man einfach sprachlos.

Polly Scattergood: Arrows. Mute (Goodtogo).

omarsouleyman_wenuwenu‚Syrischer Techno‘

Bis vor kurzem hat er noch Musik auf Hochzeiten gemacht, jetzt ist er der Lieblingsvorzeige-Weltmusiker der großstädtischen Hipster: der 47-jährige Omar Souleyman aus Syrien ist auf jeden Fall ein Phänomen. Er hat Remixes von Björks „Biophilia“ veröffentlicht und tritt bei Festivals wie Glastonbury und Primavera auf. ‚Syrischer Techno‘ wird sein Sound genannt, und tatsächlich haben die Stücke auf „Wenu Wenu“ viel mit der aktuellen Clubmusik gemein. Sie sind beatbasiert, und ihr Fundament ist die Wiederholung bis hin zur Trance. Über polythythmischen Beats dengelt unermüdlich eine elektrische Bozouki – Musik, zu der man sofort tanzen möchte.

Die aktuelle politische Situation nun bringt Omar Souleyman auch einem breiteren Publikum zur Kenntnis. Doch politische Themen tauchen in seinen Stücken gar nicht auf. Hier geht es um die traute Zweisamkeit, das Glück der Liebenden, eben das, was das Leben selbst in wilderen Zeiten lebenswert macht. Kein geringerer als Kieran Hebden aka Four Tet sorgt als Produzent dafür, dass der eklektische Sound aus Morgen- und Abendland so richtig schön wummst.

Omar Souleyman: Wenu Wenu. Domino Records.

abba_ringring_deluxeeditionFür Hardcore-Sammler

„Ring Ring“ war das erste ABBA-Album und erschien im Jahr 1973. Mit dem Titelsong hatten die vier versucht, den nationalen Entscheid zum Grand Prix Eurovision de la Chanson zu gewinnen und hatten dabei den dritten Platz belegt. Noch heute wird man ein wenig blass, wenn man diesen perfekten Popsong hört. Der Rest des Albums ist, wie man weiß, eher nicht so ins kulturelle Gedächtnis übergegangen – zu kindlich und unfertig wirken Songs wie „People Need Love“ oder „Nina, Prima Ballerina“, auch wenn hier und da schon ein wenig der Genius aufblitzt.

Überhaupt ist diese „Deluxe Edition“ sehr sehr abgespeckt, dem gemeinen ABBA-Fan bietet die CD nichts wirklich Neues mehr, auch wenn einige abstruse Versionen enthalten sind („Ring Ring“ auf deutsch, du meine Güte! Oder, noch schlimmer, der rein deutsche Song „Wer im Wartesaal der Liebe steht“…). So richtig dreist wird’s aber, wenn es an die DVD geht: da finden sich gerade mal vier Videos, Gesamtspielzeit gefühlte 10 Minuten, und eines davon ist auch noch eine reine Albengalerie (die „TV-Dokumentation von 2012“ mit vielversprechenden musikalischen Insights von Benny Andersson ist grade mal ein paar Minuten lang). Wirklich nur was für Hardcore-Sammler.

ABBA: Ring Ring (Deluxe Edition). CD + DVD. Polydor (Universal).

Tina Manske

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