Geschrieben am 29. Mai 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue (und nicht ganz so neue) Platten von und mit den Bay City Rollers, Jazzkantine, David Bowie, ADULT. und Conrad Schnitzler, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

baycityrollersIn Maßen genießen

(MO) Die Reihe “Original Album Classics” von Sony ist offensichtlich irrsinnig erfolgreich. Schon anhand des stetigen Outputs mit immer neuen günstigen Packages alter Platten gewinnt man den Eindruck, als ob es im Pop eigentlich nur Sony-Künstler gäbe. Zurzeit sind 340 verschiedene Ausgaben erhältlich, die Zahl steigt aber schon während des Tippens dieser Zeilen exponential. Aus der Menge der Veröffentlichungen kann der/die gewöhnliche Konsument/in also immer nur per Zufallsgenerator herausgepickte Pakete zur Kenntnis nehmen, bei mir waren das unlängst die Bay City Rollers und Jazzkantine mit jeweils fünf CDs.

Obwohl beide Bands keinerlei Gemeinsamkeiten aufweisen, erzielten die Packages denselben Effekt: einerseits erfreue ich mich an der Illusion einer „Gesamtausgabe“ (was diese Pakete meistens gar nicht sind), andererseits hätte ich die Alben einzeln niemals gekauft. Die Bay City Rollers wecken zunächst nostalgisch-verklärte Gefühle: waren die Jungs (LES MCKEOWN!) nicht niedlich, trotz dieser albernen Tartan-Verkleidung? Pop der mittleren 1970er-Jahre war nun mal – ähem – nicht wirklich gut, und machen dafür Bubblegum-Hits wie „Keep On Dancing“ oder „Bye, Bye Baby“ nicht großen Spaß! Jjjjein. Vor allem nicht in geballter Ladung, weshalb man immer nur ein Album aus der knappen Papphülle ziehen darf. Dann unbedingt ein paar Tage pausieren, und man kann z. B. mit dem regelrecht tragisch umwölkten Abschiedsalbum der BCR, „It´s A Game“ von 1977 fortfahren.

Das deutsche Jazz-Pop-HipHop-Funk-Kollektiv Jazzkantine war nie wirklich mein Fall, trotz interessanter Musiker und Nebenprojekte. Zu gezwungen lässig und lustig kochte mir die Kantine zumeist, dennoch ist mir ein spektakulär ausuferndes, beinah schon freejazziges Open-Air-Konzert auf dem Frankfurter Römer ca. 2001 noch lebhaft in Erinnerung. Zuhause langweilt die immergleiche Mischung aus funky Bässen und familienkompatiblem Sprechgesang ein wenig. Auch bei dieser Box gilt: in Maßen genießen und die Highlights zelebrieren: Das Album „Heiß und fettig“ von 1995 ist ein solches.

Die BAY CITY ROLLERS mit den Original-Alben:
Rollin‘ (1974)
Once Upon A Star (1975)
Wouldn’t You Like It (1975)
Dedication (1976)
It’s A Game (1977)

JAZZKANTINE mit den Original-Alben:
1. Jazzkantine (1994)
2. Heiß und fettig (1995)
3. Geheimrezept (1998)
4. In Formation (2000)
5. Futter für die Seele (2002)

Bay City Rollers Original Album Classics. Sony BMG. Box-Set, 5 CDs.

Jazzkantine Original Album Classics. Sony BMG. Box-Set. 5 CDs. Zur Homepage des Labels und zur Homepage der Jazzkantine.

davidbowie_zeitIm Bett mit David Bowie

(TM) Es hat ja so manches auch was Gutes: Liegt man beispielsweise mit einem Infekt und einer Wärmflasche im Bett, kann man jetzt die Zeit dazu nutzen, sich David Bowies in den Berliner Jahren 1977-79 entstandenen drei Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ im Paket anzuhören. Wie jeder, der sich annähernd für Musik interessiert, weiß, waren das die entscheidenden, weil ungemein fruchtbaren Jahre in Bowies Karriere. Er experimentierte mit neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, mit instrumentellen Stücken, dem Einsatz von Synthesizern und krautigen Elementen. Ergänzend ist in der „Zeit!“-Edition „Stage“ mit dabei, ein Doppel-Livealbum, aufgenommen auf Bowies Isolar II-Welttournee und 1978 erschienen.

Die Edition dürfte besonders für diejenigen interessant sein, die ihre Sammlung vervollständigen wollen, denn den bereits 2005 remasterten Songs fügt „Zeit!“ nichts Neues hinzu. Allerdings gibt es kein Argument dagegen, diese bahnbrechenden Alben auch mehrmals im Schrank stehen zu haben.

Ebenfalls bei EMI erschienen ist die 40-Jahre-Jubiläumsedition des 1973 veröffentlichten „Aladdin Sane“. Auch dies eine schöne Wiederaufarbeitung eines der frühen Alben Bowies, auf dem er nach seiner Ziggy-Zeit eine neue Rolle ausprobierte. Ob man allerdings die Texte des Albums-Sleeves in Miniaturschrift auf die kleine CD-Hülle drucken muss, da gehen die Meinungen auseinander.

David Bowie: Zeit!; David Bowie: Aladdin Sane. 40th Anniversary Edition. Beide EMI.

adult_thewaythingsfallTheatralisch depressive Gesten

(MO) Ich bitte um Verzeihung, aber beim Detroiter Duos ADULT. bestehen bei mir massive Verständnisprobleme: Nicola Kuperus und Adam Lee Miller werden häufig als Electroclash-Act beschrieben, der „düsteren, entblößten, rasierklingenscharfen Synth-Pop und knurrenden Elektro-Punk…“ (Zitat Pitchfork) spielt; das Presseinfo fügt noch Begriffe wie bahnbrechend, surrealistisch und denkwürdig hinzu – „The Way Things Fall“, erstes ADULT.-Album seit sechs Jahren und das insgesamt fünfte seit Bandgründung anno 1997, bietet nichts von alledem. Vielleicht stimmt aber auch mit meiner Musikanlage irgendwas nicht und ich kann die bahnbrechenden Sounds einfach nicht hören.

Was ich höre, ist ein gefälliger, durchaus tanzbarer und bei allem Respekt ziemlich altmodischer Mix aus Alien Sex Fiend-Anmutungen (nur ohne deren fieses, nervenaufreibendes Synthie-Geschepper, ganz abgesehen von Nik Fiends Alien-Vocals), 80´s-EBM à la Nitzer Ebb (allerdings wesentlich moderater und weniger martialisch) und Kuperus’ dunkel-geheimnisvollen, mit viel Hall unterlegten Vocals, die gewiss mit dafür verantwortlich sind, dass ADULT. hierzulande besonders beliebt sind. Das erscheint mir total schlüssig: vor meinem inneren Auge erscheinen sofort Heerscharen schwarzgewandeter Post-Wave-Goths, die eingehüllt in Trockeneisnebel durch Leipzig (WGT!) wabern und zu Textzeilen wie „Why do you do this to me / this new frustration“ („New Frustration“) oder „Will we / will we live like this forever“ („Tonight, We Fall“) mit lackledern behandschuhten Händen theatralisch depressive Gesten machen.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass mir „The Way Things Fall“ eigentlich ganz gut gefällt, schließlich ist das die Musik meiner Jugend – aber in Zeiten von The Knife oder meinethalben sogar HK 119 ADULT. als den heißen Scheiß auf dem Elektrosektor zu verkaufen, finde ich reichlich übertrieben.

ADULT.: The Way Things Fall. Ghostly International. Zur Homepage.

conradschnitzler_conrad&sohnPrototechno?

(TM) Zwei neue Reissues aus dem Werk des Elektronikpioniers Conrad Schnitzler sind beim Label Bureau B erschienen. „Contempora“ versammelt musikalische Skizzen, die im Jahr 1981 zum ersten Mal veröffentlicht wurden. In den kurzen Stücken ist der ganze Schnitzler enthalten, es scheinen, kaleidoskopartig, aber immer nur gewisse Facetten seiner Gesamt“ausstattung“ auf. Eine gute Möglichkeit für Newbies, hier einen der entscheidenden Impulsgeber der elektronischen Musik in nuce kennenzulernen, und für alle anderen natürlich ein herrlicher Steinbruch an Ideen.

„Conrad & Sohn“ hingegen, ebenfalls aus dem Jahr 1981, war – wie der Titel schon sagt – eine Zusammenarbeit zwischen Schnitzler und seinem Sohn Gregor; dabei stammen sieben Stücke von Conrad, zehn von seinem Sohn. Es ist der direkte Vergleich zweier Künstler, die mit demselben Equipment verschiedene Herangehensweisen ausprobieren. Den Stücken von Gregor Schnitzler ist die Nähe zu NDW und Industrial anzuhören, während sein Vater – trotz totaler Abstraktion und extremer Verfremdungselemente, insbesondere in der Stimme – ebenfalls Anregungen an damals aktuelle Musikströmungen einarbeitet. Spinn ich, oder ist das schon Prototechno?!

Conrad Schnitzler: Contempora; Conrad & Sohn. Reissues. Beide Bureau B (Indigo). Zur Homepage des Labels.

Tags : , , , ,