Geschrieben am 22. August 2012 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit H2O, Holly Cole, Foals, Adrian Sherwood, Barbara Morgenstern, Eleni Mandell sowie Remixes bekannter Electro-Hits, gehört von Ronald Klein (RK), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

H2O: Don’t Forget Your RootsFreundliche Straight-Edge-Jungs

(RK) Es klingt ein bisschen so, wie man es aus amerikanischen High-School-Filmen kennt: Toby Morse ackert hart. Als Roadie schleppt er die Instrumente und das Equipment der Hardcore-Legende Sick Of It All. Irgendwann jammt man zusammen und die Musiker drängen Tony dazu, selbst Musik aufzunehmen. Gesagt, getan. H2O nannte er seine Formation, die seit 1996 für Melodic Hardcore steht, dem Klang Shelters nicht unähnlich.

Bleiben wir bei filmischen Assoziationen: Dankbarkeit ist auch eine Tugend, die sich gut in Szene setzen lässt. Und so nahm die Band fünfzehn Kracher auf, die wichtig für die eigene Entwicklung waren. Man kennt sie alle. „Attitude“ der Bad Brains ist genauso vertreten wie „Pride“ von Madball oder „Sick Boys“ von Social Distortion. Klar, dass Sick Of It All mit „Friends Like You“ gewürdigt werden. Bei vielen anderen Bands klänge „Don’t Forget Your Roots“ nach peinlichem Musikantenstadl. Doch nicht bei den freundlichen Straight-Edge-Jungs mit den bunten Tattoos. Der High-School-Film geht nach 16 Jahren weiter. Und die Sonne scheint auch die dunkelsten New Yorker Hinterhöfe.

H2O: Don’t Forget Your Roots. Bridge Nine Records (Soulfood). Hier gehts zur Homepage.

Holly Cole: NightPlatte für 2 Uhr morgens

(TM) Was weibliche Jazz-Vokalisten manchmal so unerträglich macht, ist ihre affektierte Art: dieses auf Teufel komm raus Gehauche und Geseufze, dieses dunkel Rollende, den Ton nicht Treffende, dieses Gschafft-is-nix-aber-guck-wie-lasziv-ich-auf-dem-Piano-liege. All das vermeidet die Interpretin Holly Cole dankenswerterweise auf ihrem neuen Album „Night“. Cole hat alle stimmlichen Möglichkeiten, aber sie hält sie im Zaum, was ihre Interpretation umso intensiver macht. Sie widmet das Album der kreativen Zeit der Nacht, ihrer Magie und ihrer Möglichkeiten. Der banale Alltag steht still, und man hat – im geglückten Fall – endlich Zeit, das zu tun, was man gerne tut.

Zwischen Jazz und Pop gilt Cole als eine der zuverlässigsten Interpretinnen, was sie auch mit „Night“ wieder einmal beweist. Nicht, dass sie dabei in der Intonation besonders überraschen würde, die Überrumpelung liegt eher in der Vermischung von Songs von sagen wir Tom Waits („Walk Away“) bis hin zu der amerikanischen Folklegende Gordon Lightfoot („If You Could Read My Mind“). Erster Anspieltipp aber ist das wunderbare „You Only Live Twice“ aus der Feder von John Barry, hier als adagio wiedergegeben – in der Nacht hat man eben etwas mehr Zeit als sonst. Herrliche Platte für 2 Uhr morgens.

Holly Cole: Night. Tradition & Moderne (Indigo). Zur Homepage.

Foals: TapesMusik-Dramaturgie für Autodidakten

(RK) Die englische Math-Rock-Band Foals hat nach zwei Longplayern (2008 und 2010) und einigen Singles lange nichts mehr von sich hören lassen. Das aktuelle Lebenszeichen stellt eine Kompilation von Songs dar, die der Band einen fluffigen Sommer beschert. Wer erinnert sich nicht gern an Mix-Tapes, die früher quasi zur Grundausstattung einer echten Freundschaft gehörten – geb ich dir meins, gibst du mir deins. Die Songs wurden mit Bedacht ausgewählt und in der richtigen Reihenfolge auf die Kassette gebracht – ein Grundkurs Musik-Dramaturgie für Autodidakten.

Und die Foals scheinen damals eifrig mit dabei gewesen zu sein. „Tapes“ besticht schon mal mit einer A- und einer B-Seite. Logisch, CDs können nicht umgedreht werden. Jedenfalls beschert das keinen nennenswerten Effekt. Also denkt man sich die Seiten einfach dazu. Los geht es übrigens mit Nicolas Jaars „Variations“ im Remix. Ein paar weitere Smash-Hits (analog zu den großen Pop-Songs der 80er) stammen von den formidablen Teengirl Fantasy, von den hippen Sepalcure und dem von allen geliebten Marshall Jefferson. Aus minimalen Beats entwickelt sich ein schwüler Disco-Sound, der richtig funky aus den Boxen dröhnt. Da hat sich definitiv jemand einen Kopf gemacht beim Zusammenstellen. Toller sommerlicher Soundtrack. Und gar nicht schlimm, dass es keine neue Foals-Platte mit nerdigem Math-Rock gibt.

Foals: Tapes. K7! Hier geht es zur Homepage.

Adrian Sherwood: Survival & ResistanceAvantgarde-Dub

(TM) Und noch ein Platte für die späten Stunden, wenn die Hitze des Tages noch in den Zimmern hängt, und man selbst im besten Fall mit einem Drink in der Hängematte: Der Musiker und Producer Adrian Sherwood (in seiner nun auch schon 30 Jahre andauernden Karriere u. a. für Nine Inch Nails, Blur, Primal Scream tätig) kennt sich aus mit fettem Sound, was er mit seinem dritten Soloalbum „Survival & Resistance“, das auf seinem eigene Label On-U Sound erscheint, eindrucksvoll beweist. Wurzelnd in Reggae und Dub durchzieht der Bass als Hauptschlagader Sherwoods Kompositionen, die immer wieder interessante Ausflüge in Elektro, Weltmusik und Jazz machen. Dieses Album aber ist noch etwas, nämlich düsterfinsterschwarzchwarzschwarz.

Das zeigt sich in dunklen Pianolinien, in überraschenden elektronischen Verfremdungen, in den immer wieder mit leichter Hand exakt auf den Punkt bestechenden Overdubs, Echos, Delays. Dazu thematisiert Sherwood in den Texten die politische Krise der Gegenwart. Das ist Avantgarde-Dub, wie wir ihn lieben und wie er das Genre, das derzeit glücklicherweise einen neuen Hype erlebt, weiterhin befeuern kann.

Adrian Sherwood: Survival & Resistance. On-U Sound (Rough Trade). Zur Homepage.

Barbara Morgenstern: Sweet SilenceReduziert

(RK) Die Wahlberlinerin Barbara Morgenstern ließ sich fast vier Jahre Zeit, neues Material zu veröffentlichen. Statt da weiterzumachen, wo „BM“ (2008) endete, entschied sich die 41-Jährige für einen neuen Weg, den maßgeblich Produzent Marco Haas (besser bekannt als T.Raumschmiere) prägte. Der Sound ist deutlich reduzierter, ein wenig kühler, was der rein digitalen Klangschmiede zu verdanken ist. Die vertrackten Songs, die analoge Synthis begleiteten, scheinen erst einmal vorbei. Viel mehr dominiert eine klare Linie, die das Material deutlich clubkompatibler macht. Vor allem das instrumentale „Hip Hop Mice“ oder das zurückgelehnte „Jump Into The Life-Pool“ ragen hervor. Sehr dichte Platte, die auch fernab des Berlin-Kontexts wunderbar funktioniert.

Barbara Morgenstern: Sweet Silence. Monika Enterprise. Zur Homepage.

 Ein glücklicherer Mensch

(MO) Hält man sich die Umstände vor Augen, unter denen die amerikanische Songwriterin Eleni Mandell ihr neues Album „I Can See The Future“ fertigstellte, möchte man den Hut vor ihr ziehen oder – angebrachter vielleicht – sie ganz fest umarmen und ihr auf beide Schultern klopfen. Nach der letzten Platte „Artificial Fire“ (2009) trennte sie sich von ihrem Partner, wollte aber unbedingt ein Kind. Eleni wurde per Samenspende schwanger und bekam – Zwillinge. Alleinerziehend.

Die Aussicht auf eine anstrengende Zukunft stoppte ihre Kreativität aber keineswegs: Kurz vor der Geburt ihrer Kinder ging Mandell mit Producer Joe Chiccarelli (The Shins) ins Studio und nahm dieses zauberhafte Album voller Licht und Hoffnung auf, das so entspannt klingt wie noch keines von ihr.

Wie auch früher schon ist Mandells enge Beziehung zu Country und Folk unüberhörbar, aber die neuen Songs klingen weniger rau und indierockig, sind dafür sanfter und eleganter, Elenis Stimme selbstbewusst und stark. Leichtes Sixties-Timbre schwebt über Stücken wie der Single „Magic Summertime“ und dem selbstironischen „I´m Lucky“; das Duett mit dem programmatischen Titel „Never Have To Fall In Love Again“ mit Alternative-Folker Benji Hughes erinnert an Nancy Sinatra und Lee Hazlewood. Soul- und Gospeleinflüsse finden sich in „Who You Gonna Dance With“ oder „Bun In The Oven“, das sich wie die meisten anderen Songs so witzig wie fatalistisch mit Elenis Rolle als (werdende) Mutter auseinandersetzt.

Sie sei jetzt ein glücklicherer Mensch, gab die frischgebackene Mama Mandell vor kurzem zu Protokoll – und so kitschig das auch klingen mag, „I Can See The Future“ spiegelt dieses Glück in dreizehn Songs wider.

Eleni Mandell: I Can See The Future. Makemydayrecord (Alive). Zur Homepage.

Various: Electrospective – The Remix AlbumEnzyklopädie der Maxi-, Extended- oder Special Version

(MO) In den letzten Blitzbeats haben wir den Sampler „Electrospective“ vorgestellt, der in knapp vierzig Tracks die Entwicklung der elektronischen Popmusik von 1960 bis heute aufzeigt. Da „Electrospective“ ein langfristig angelegtes Projekt ist, folgt bereits jetzt die zweite Veröffentlichung der Reihe: „The Remix Album“ versammelt, richtig, 24 Remixe bekannter Electro-Hits (andere Auswahl als bei Album Nummer eins).

Wer jetzt glaubt, sich getrost anderen Neuerscheinungen zuwenden zu können, weil Remixe langweilig und verzichtbar sind und allerhöchstens für Technotempel geeignet, sollte sich schleunigst umentscheiden. Die kundigen Kuratoren Stuart Paterson und Jon Wilson haben jeden Remix so ausgesucht, dass anhand der spezifischen, zeit- oder DJ-typischen Sounds dieses Doppelalbum eine Enzyklopädie der Maxi-, Extended- oder Special Version bietet.

Buchautor Bill Brewster („DJ History“) erklärt in den Linernotes, wie, wann und wo die Ursprünge des Remixens liegen und wie sich nach dem ursprünglichen Ansatz – den Originalsong mit Breaks und Loops zu strecken und damit dancefloortauglicher zu machen – in den 1990er-Jahren eine neue Form des Mixing entwickelte, nämlich den Ur-Track in seine Einzelteile zu zerlegen, mit Stücken aus anderen Songs zu vermischen (Sampling) und dadurch komplett neue Stücke schafft. Viele der ausgewählten Tracks auf „The Remix Album“ sind tanzbar, Kevin Saundersons früher Techno-Remix von Neneh Cherrys „Buffalo Stance“ verändert den Hit kaum, unterfüttert ihn aber mit knallharten Beats, was hervorragend zu Nenehs Stimme passt.

Was Philadelphia Beatz aus dem „Love Song“ von Simple Minds machen, ist auf positive Weise respektlos: der Song wird zerhäckselt und zerschreddert, dass vom typischen Simple Minds-Pomp nur wenig übrigbleibt. Larry Levans Mix für Grace Jones‘ „I´m Not Perfect (But I´m Perfect For You)“ lässt für einige Minuten die tiefsten Achtziger wieder auferstehen, der Remix von OMDs „Talking Loud And Clear“ konzentriert sich auf die Percussion, sodass das Stück beinah klingt, als wäre der Schlagzeuger von Trio am Werk. Kurzum: lohnt sich!

Various: Electrospective – The Remix Album. A Collection of Rare Electronic Mixes. 2 CD. EMI. Mehr Infos gibt es hier, hier und hier und auf der Homepage.

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