Geschrieben am 26. Oktober 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Alben von und mit PeterLicht, Zun Zun Egui, Wolfgang Frisch, Camille und Johnny Cash, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).

PeterLicht: Das Ende der BeschwerdeKeine klanggewordene Einverständniserklärung

(CM) Dieses Album wird ziemlich sicher ein Erfolg: Seit „Sonnendeck“ von 2001 (noch unter dem Namen Meinrad Jungblut), spätestens aber seit seiner preisgekrönten Teilnahme am Ingeborg Bachmann-Literaturwettbewerb im Jahr 2007 gehört PeterLicht zum … ja, wohin eigentlich?

Der notorisch öffentlichkeitsscheue Musiker, Autor und Theaterregisseur bespielt Indie- und Hochkulturbühnen und behält sich trotzdem vor, ungreifbar zu bleiben – dabei und doch dezidiert dagegen zu sein. Niemand sonst bringt die Verhältnisse so poetisch auf den Punkt und bleibt dabei stets freundlich-nerdig-kluger Mahner, Hinweisgeber, Zweifler.

„Das Ende der Beschwerde“ ist natürlich auch keine klanggewordene Einverständniserklärung: Mit dem parolenhaften „Sag mir, wo ich beginnen soll“ beginnt die Platte wie eine Goldene Zitronen-LP, was sich im Lauf des Albums zumindest musikalisch ändert. PeterLichts Musik ist gefällig, daran gibt es nichts zu beschönigen: gitarrenlastiger Indiepoprock, der an New Order erinnert und zu dem man in Clubs wie Ilse’s Erika tanzen wird. PeterLicht will aber sowieso in deinen Kopf und „durch die Bauchdecken der Infrastruktur“ („Fluchtstück“).

Im Rilke/Sloterdijk-Update „Das Ende der Beschwerde / Du musst dein Leben ändern“ singt er mit samtiger Stimme, „Gesellschaft ist toll, wenn nur all die Leute nicht wärn“; „Meine alten Schuhe“ und „Begrabt mein IPhone an der Biegung des Flusses“ sind PeterLicht’sche Kapitalismuskritik, wie sie bereits in seinem Hauptwerk „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ begründet wurde. PeterLicht beißt in keine Wade und pinkelt auf niemandes Grab, er weiß vielmehr, was zu tun ist: „Schaffen wir uns ab / Führ mich raus.“

PeterLicht: Das Ende der Beschwerde. Motor Music. Zur Homepage und zur Facebook-Seite.

Zun Zun Egui: KatangKein Muckertum

(TM) Absolut hörenswert ist das Debüt der britischen Band Zun Zun Egui. So psychedelisch, wie sie sich mit dem Cover von „Katang“ geben, sind sie tatsächlich. Aber auch der experimentelle Pop von The Talking Heads & Co., die Kompromisslosigkeit und musikalische Monstrosität von Bands wie The Mars Volta sowie Krautrock in all seinen Formen haben im Sound dieses Quartetts ihre Spuren hinterlassen. Man höre „Mr. Brown“ und lasse sich fallen in diesen 12/8-Takt, den zu spielen einen wirklichen Kraftakt bedeutet. Aber in diesen Songs wird nicht Muckertum oder l’art pour l’art betrieben – die Band aus Bristol gibt irgendwie auch der Wut der britischen Gesellschaft eine Stimme. Schließlich sind sie auch nicht durch irgendwelche Internet-Hypes bekannt geworden, sondern durch unermüdliches Auf-der-Bühne-Stehen und danach schnödes Verkaufen ihrer gebrannten CDs.

Die Musik verbindet auf elektrifizierende Weise Elemente des Indie Rock mit Jazz, Funk und Afrobeat, dazu wird u. a. auf Englisch, Japanisch und Französisch gesungen – so funktioniert Globalisierung. Auch wenn der Bandname erst mal schwierig zu merken erscheint – merken sollte man sich ihn trotzdem. Man wird ihm in Zukunft noch öfter begegnen.

Zun Zun Egui: Katang. Bella Union/Cooperative Music. Zur Homepage.

Wolfgang Frisch: Watering The LandAseptisch

(TM) Die besten Voraussetzungen bei seinem neuen Album hat der Österreicher Wolfgang Frisch. Auf „Watering The Land“ schart der mit den Sofa Surfers bekannt gewordene Musiker viele sehr gute Landsleute um sich herum, die als Vokalisten seiner Stücke fungieren, die sich allesamt an Vorbildern der 60er- und 70er-Jahre orientieren.

Der Wiener Pieter Gabriel zum Beispiel hat seinem Namen nicht von ungefähr, denn er klingt tatsächlich sehr nach dem fast gleichnamigen englischen Musiker, und auch die junge Marilies Jagsch kann mit ihrer zerbrechlichen Art begeistern. Und Frisch selbst ist ja sowieso als sehr experimentierfreudig bekannt. Er ließ seine Mitstreiter erst das Material in ihrem Sinne bearbeiten, bevor er selbst dann letzte Hand anlegte.

Große Versprechen also. Allerdings verlaufen die meisten der neun Stücke von „Watering The Land“ dann doch relativ unspektakulär im Sande. Mal ein netter Soundeffekt da, mal eine interessante Melodie hier, aber insgesamt ist dieses eher düstere Album doch ein wenig zu flauschig, um sich länger in den Gehörgängen festzusetzen. Ein klassisches Produzentenalbum, bei dem der Prozess ob seiner Zielgerichtetheit und Funktionalität bewundert werden kann, das aber am Ende auch ein wenig aseptisch wirkt.

Wolfgang Frisch: Watering The Land. Monoscope Productions (Rough Trade). Zur Homepage.

Camille: Ilo VeyouKlangexperiment

(CM) In der aktuellen Ausgabe der SPEX wird anhand der neuen Alben von Björk, Feist und Camille der „Biopop“ definiert, sozusagen die Gegenbewegung zu den Cyber- und Maschinenfrauen der letzten Jahre (Lady Gaga, Robyn, Janelle Monáe). Björk verliert sich in Schöpfungsmythen, Feist huldigt dem Erz und anderen „Metals“ und Camille – pupst. Deutlich hörbar am Ende des Songs „Message“. Womit klar ist: Diese Frau hat Humor und Mut. Bekannt wurde die französische Vokalkünstlerin als Nouvelle Vague-Sängerin: Sie zirpte die loungige Version von „Too Drunk Too Fuck“. Auf ihren Soloalben „Le Fil“ oder zuletzt „Music Hole“ zeigte Camille, was in ihr und ihrer Stimme steckt – viel mehr, als nur Gastsängerin eines semioriginellen Projekts zu sein.

Für die Aufnahmen zu „Ilo Veyou“ zog die frischgebackene Mutter (noch so was Biologisches …) in eine Kirche, um ihren Stücken den größtmöglichen Entfaltungsraum zu bieten. „Ilo Veyou“ ist ein Klangexperiment, die Musik eher Skizze als Song: Vom traditionellen Chanson über Sakral-Opernhaftes bis zum reizenden Hit „Mars Is No Fun“ probieren Camille und ihre Musiker verschiedenste Stilrichtungen aus.

Dreh- und Angelpunkt ist aber der Gesang. Der selten einfach nur Gesang ist: Camille quetscht, zwirbelt, verdreht ihre Stimmbänder, schluckt Magnesiumcarbonat, faucht, dröhnt, krächzt und zwitschert. Sie erfindet Gaga-Sprachen und singt – in verständlichem Französisch – über eine Frau, die ihrem untreuen Mann den Schniedel abschneidet und dann aufisst („Le Banquet“). Und kriegt sich über die Freuden der Mutterschaft gar nicht mehr ein: „Who made me a bubble lady? / my billie buddy bittie baby“ – „Ilo Veyou“ ist irre und verdreht, also das Tollste, was eine Popplatte werden kann.

Camille: Ilo Veyou. Virgin (EMI). Zur Hompage.

Johnny Cash: Bootleg Vol. III Gut gekontert

(TM) Johnny Cash war ein Mann des Volkes – und konsequenterweise trat er immer wieder an ungewöhnlichen Orten auf, wo er den Menschen besonders nah sein konnte. Berühmt geworden sind seine Auftritte in den Gefängnissen von Folsom und San Quentin, aber Cash war bei vielen anderen Gastspielen außerhalb der großen Hallen anzutreffen.

Diese Doppel-CD, Teil 3 der Bootleg-Serie von Columbia/Legacy, präsentiert einige von ihnen, angefangen in den 50er-Jahren, als der junge Cash durch die Südstaaten zog, über das Newport Folk Festival 1964 bis hin zum wunderbaren Auftritt im Weißen Haus am 17. April 1970, bei dem Nixon himself die einführenden Worte sprach und sich ziemlich an Cash ranschmiss. Schön zu hören, wie der Man in Black diesen sehr durchsichtigen Anschleimversuch mit Gospels und Geschichten über einfache arme Leute konterte. Cash wusste, wo er herkam und für wen er spielte. Wahrlich historische Aufnahmen – noch heute hält man in manchen Momenten den Atem an.

Johnny Cash: Bootleg Vol. III. Live Around The World. 2 CD. Columbia/Legacy (Sony Music).

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