Geschrieben am 12. Oktober 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von Mirel Wagner, Emika, Erasure, Mutter, Alison Moyet und Meyer Baumgärtner Meyer, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).

Mirel Wagner: ditoMirel Wagner: dito

(CM) Stimme, Gitarre, ein paar Blues- und Folkakkorde, sonst nichts: Die finnische Singer-/Songwriterin Mirel Wagner spielt die minimalistischste Musik, die man sich nur vorstellen kann. Obwohl es keine Hooklines und Refrains zum Festhalten gibt, entwickeln die Songs einen magischen Sog, der die Hörer tief in die Dunkelheit hineinzieht. Denn dunkel und unheimlich ist es in den Liedern der 23-jährigen: die nekromantische Moritat „No Death“ würde gut auf ein Album von Nick Cave passen, auch „The Well“, „Despair“ und „The Road“ verbinden Hoffnungslosigkeit und Verlangen, Nihilismus und Sinnsuche in einer Eindringlichkeit, die man sonst nur bei Leonard Cohen, PJ Harvey und Cave findet. Der schwarze Humor von „No Hands“ und „Joe“ offenbart sich nicht sofort, verblüfft dann aber umso mehr. Die Musik von Mirel Wagner ist nichts zum Nebenbeihören, man sollte seine zwei, drei besten Freunde einladen, das Licht dimmen oder gleich am Lagerfeuer zusammen rücken und dann den Rotwein kreisen lassen. Wagners Debütalbum sei „das Gegenteil davon, wie eine junge Frau in ihren frühen Zwanzigern klingen sollte“, schrieb eine Kritikerin. Wir finden das äußerst begrüßenswert.

Mirel Wagner: dito. Bone Voyage (Cargo). Zu MySpace.

Emika: ditoEmika: dito

(TM) Ebenso düster wie Mirel Wagner ist auch die in Berlin lebende Britin Emika gestimmt, aber sie lässt es anders raus. Emikas Liebe gehört dem Dubstep, dem Trip-Hop, dem Slowmo-Techno. Sie klingt, als wäre sie rund um die Uhr verkabelt – eine kühle Maschine, die den Menschen von ihren Unzulänglichkeiten singt. Würde Britney Spears einmal ihre Antidepressiva weglassen und versuchen, einen Hit zu schreiben, käme eventuell so etwas heraus wie das überwältigend klug gemachte „Double Edge“, eine Diskussion darüber, ob Nichtwissenwollen nicht doch eigentlich das bessere Lebensmodell ist – der Track ist von vorne bis hinten ein verweigerter Megabuster-Discohit, und man sitzt fasziniert vor diesem schillernden Scherbenhaufen. Da rollt der Bass bedrohlich über eine romantische Klaviermelodie und werden nicht nur Körper in Hälften geschnitten („Which side do you pick?“), sondern auch die Gesangslinien durch Häcksler geschickt. Und man erkennt plötzlich auch, weshalb Schwerter zweischneidig sind: damit es doppelt wehtut. Und so ist das gesamte Debütalbum dieser bemerkenswerten Künstlerin: ein Wonnebad für Nachtschattengewächse. Wie passend auch, dass „Emika“ mit einem neoklassizistischen Klavierstück endet – so zeigt sich die breite Musikalität der klassisch ausgebildeten Musikerin.

Emika: dito. Ninja Tune (Indigo). Zu MySpace und Facebook.

Erasure: Tomorrow´s WorldErasure: Tomorrow´s World

(CM) Mit jedem neuen Album von Erasure zeigt sich, dass Vince Clarke und Andy Bell leider nicht mehr die besten Verwalter ihres eigenen Erbes sind. Für „Tomorrow´s World“ holten Erasure den jungen britischen Producer Vincent „Frankmusic“ Frank an Bord, der die Tracks zwar mit ein bisschen Dubstep und Elektro-Walzer-Elementen aufpeppt, sonst aber keine bahnbrechenden Ideen liefert. Tracks wie „Be With You“ oder die Single „You´ve Got To Save Me Right Now“ pluckern im altbekannten 4/4-Takt dahin, die obligatorische Ballade heißt diesmal „Just When I Thought It Was Ending“, ganz klar auf große Hallen hingestrickt ist „When I Start To (Break It All Down)“. Erasure sind ja nicht allein damit, dass ihnen nach knapp dreißig Jahren Bandgeschichte die Ideen ausgehen: den beiden anderen relevanten Elektro-Pop-Bands aus den Achtzigern geht es schließlich genau so. Nur gelingt es Depeche Mode und den Pet Shop Boys immer wieder, ihren typischen Sound zu hinterfragen und neu zu definieren. Die für Erasure einstmals so charakteristische Mischung aus Euphorie und Hedonismus klingt dagegen heute blass und müde, Andys Stimme lustlos und brüchig. Was bleibt nun den Erasure-Fans, zu denen sich auch die Rezensentin zählt? Zu den anstehenden Konzerten gehen (Anfang November!), sich von der gewiss wieder umwerfenden Bühnenshow verzaubern lassen und hoffen, dass Vince und Andy auch „A Little Respect“, „Victim Of Love“ und „Sometimes“ spielen…

Erasure: Tomorrow´s World. Mute. Zu Bandpage und Labelpage.

Mutter: Mein kleiner Krieg Mutter: Mein kleiner Krieg

(TM) Die Berliner Band Mutter macht mal wieder keine Gefangenen. Erst ein Jahr ist es her seit ihrem Album „Trinken Singen Schießen“, da stehen sie mit „Mein kleiner Krieg“ schon wieder vor der Tür. Und ihr neues Album ist tatsächlich keine Friedensmission. Denn manche Leute, die kann man nur mit klaren Worten niederringen, und klare Worte hat die Band um Sänger Max Müller immer auf Lager. Der Opener „Von dem schönen Schein und dem dummen Sein“ zum Beispiel nimmt unprätentiös all die Lügen unserer Gesellschaft aufs Korn, „Regenwurm“ singt das Klagelied eines Benachteiligten, der gern lieber ein Kriechtier wäre, wenn er dann keinen Liebesschmerz mehr fühlen müsste, und tja, „Wo die Sonne nicht scheint“ endet dann tatsächlich gefühlt im Arsch. So muss sich das anhören, wenn man ganz und gar nicht einverstanden ist. Mutter nehmen sich überdies die Zeit für elaborierte Auftakte mit schweren, angepissten Gitarren, wie die ersten vier Minuten auf „Stimmen (kannst du sie hören)“, das in einer langen Lärmkaskade endet. „Das ist mein kleiner Krieg, ich führe ihn jeden Tag“, aber was sag ich, wir wissen doch alle, wovon Mutter reden. Sie zeigen, dass man nicht allein ist.

Mutter: Mein kleiner Krieg. Die eigene Gesellschaft. Zur Bandpage.

Alison Moyet: The Best of 25 Years... RevisitedAlison Moyet: The Best of 25 Years… Revisited

(CM) Dass Alison Moyet eine großartige Sängerin ist, steht außer Frage. Bei Yazoo waren ihre raumgreifenden Vocals die perfekte Ergänzung zu Vince Clarkes sehnsuchtsvollen Synthie-Melodien. Anders stellt sich Moyets Solowerk dar: angesichts ihrer gerade erschienenen Best-of-Compilation wird schmerzhaft klar, wie viel Unheil unfachmännisch eingesetzter 80er-Synthie-Bombast anrichten kann, vor allem, wenn der entscheidende Funke Kompositions- und Produktionsgenialität fehlt. Nach der Trennung von Clarke war Alison Moyet mit unkaputtbaren Powerballaden wie „Love Resurrection“ oder „Invisible“ zwar äußerst erfolgreich, aber sie selbst schreibt in den Linernotes zu „The Best of…“, dass sie viele ihrer Hitsingles nicht mehr live singen mag. Das kann man ihr nicht verübeln, enn Songs wie „All Cried Out“ oder „Weak In The Presence Of Beauty“ sind veritable Kitsch-Bomben, nach deren Genuss man sich wünscht, Alisons umwerfende Blues-Stimme ohne störendes Beiwerk zu hören. Dieser Wunsch erfüllt sich auf CD 2: eine live eingespielte Studiosession mit fast nackt ausgezogenen Arrangements macht selbst „All Cried Out“ erträglich. Moyets Stimme dominiert die Stücke, ist soulig, jazzig, ganz die gereifte Diva. Nur beim Yazoo-Hit „Situation“ hätte man gerne Vince Clarkes knallige Synthiebeats wieder dabei…

Alison Moyet: The Best of 25 Years… Revisited. Doppel-CD. Sony Music. Zur Homepage.

Meyer Baumgärtner Meyer: MeltMeyer Baumgärtner Meyer: Melt

(TM) Gitarrengewichse sagen die einen, Kunst die anderen. Die beiden Brüder Peter und Bernhard Meyer an Gitarre und Bass und Drummer Moritz Baumgärtner sind als Meyer Baumgärtner Meyer mitten dazwischen und machen ihr eigenes Ding. Jazz ist das zwar auch, doch die Musik des Trios lehnt sich stark an Indierock- und Elektro-Strukturen an, was dazu führt, dass man es hier tatsächlich weitgehend mit noch nicht gehörter Musik zu tun hat – Progrock für Feingeister, sozusagen. Konsequentes konzentriertes und wiederholtes Hören bietet sich an, will man nach und nach all die Feinheiten hören, die sich in den neun Tracks verstecken. iTunes-Adepten, die bei einem Song innerhalb von 30 Sekunden-Snippets entscheiden, ob sie ihn mögen oder nicht, werden mit diesen Monstern nicht glücklich werden, alle, die offenen Geistes sind, hingegen schon.

Meyer Baumgärtner Meyer: Melt. Traumton Records (Indigo). Zur Homepage.

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