Geschrieben am 31. August 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von Kim Wilde, The Drums und Megafaun sowie eine Compilation mit jazzigen Frauen – gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM)

Kim Wilde: SnapshotsÖfter mal was trauen

(CM) Kim Wilde hat schon immer gern gecovert: einer ihrer größten Hits, „Keep Me Hanging On“, stammt im Original von den Supremes, 2003 feierte sie mit dem gemeinsam mit Nena gesungenen „Anyplace, Anywhere, Anytime“ („Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“) ein fulminantes Comeback. Wilde ist dreißig Jahre nach ihrem Welterfolgsdebüt „Kids In America“ inzwischen wieder so gut im Geschäft, dass sie sich mit „Snapshots“ eine reine  Herzensangelegenheit gönnt: auf diesem Album singt sie ausschließlich Lieder anderer Leute und hat dabei ganz offensichtlich jede Menge Spaß. Die Songauswahl überrascht: Kim Wilde interpretiert keine totgenudelten „Pop-Classics“; sie stöbert im Elektropop- und Wave-Fundus der achtziger und neunziger Jahre und verbeugt sich auch vor jüngeren KollegInnen. Der Opener „It´s Alright“ war dereinst ein großer Hit der britischen Boygroup East 17, „About You Now“ wurde von den Sugababes gesungen. Mrs. Wilde mag außerdem The Cure („In Between Days“), Black („Wonderful Life“), Erasure („A Little Respect“), Suede („Beautiful Ones“) und sogar Postpunk in Form des Buzzcocks-Songs „Ever Fallen In Love“. Viel Leidenschaft steckt sie in ihre Interpretationen von Cilla Blacks „Anyone Who Has A Heart“ und Kirsty MacColls „They Don´t Know“, das auch schon von Tracey Ullman gecovert wurde. Zu jedem Song schreibt Kim Wilde in paar persönliche Zeilen und macht „Snapshots“ so zu einer vertraut-familiären Angelegenheit. Am allerschönsten wäre es, wenn sich Kim Wilde und ihr musikalischer partner in crime, Bruder Marty Wilde, öfters mal was trauen würden: lediglich im letzten Song, einer Duettversion von David Bowies „Kooks“ mit Hal Fowler, weichen sie vom erfolgserprobten Synthie+E-Gitarren-Autoscooter-Sound ab und vermitteln eine Ahnung davon, wie gut Kim Wilde heutzutage sein könnte.

Kim Wilde: Snapshots. Columbia (Sony). Zur Homepage.

The Drums: PortamentoZwei Hälften

(CM) Die Rezensentin war eigentlich schon im letzten Jahr fest dazu entschlossen, die New Yorker Hipster-Band The Drums als übertriebenen Hype zu brandmarken und mit diversen Plagiatsvorwürfen bloßzustellen. Aber da hatte sie „Let´s Go Surfing“ noch nicht gehört, diesen überirdisch tollen Song, zusammengeklaut aus Beach Boys-Harmonien, The Cure-, Smiths- und Joy Division-Gitarren und allerlei anderen Versatzstücken – und wer könnte der Stimme von Jonathan Pierce widerstehen? Zum Debütalbum der Drums konnte man seine verschwendete Jugend betrauern und dazu noch fröhlich mitsingen – aber man vermutete auch, dass The Drums nur einen Sommer lang tanzen/surfen würden und fand das gar nicht so schlimm, schließlich gab es ja dieses schöne Album. Als es im Frühjahr hieß, The Drums würden sich aufgrund interner Querelen auflösen, legte man die Band gedanklich ad acta. Umso überraschender kam dann die Kunde von „Portamento“, dem neuen Album, das qua Titel eine Übergangs- oder Entscheidungssituation bezeichnet. Davon ist am Anfang erst mal nichts zu spüren: „Book Of Revelation“, „Days“, die Single „Money“ und das herrzerreißende „Hard To Love“ rühren an denselben Saiten, die schon beim ersten Album angeschlagen wurden. Atmosphärisch schwingend zwischen Teenage Drama, jugendlichem Überschwang und Trauer über das Erwachsenwerden, musikalisch zwischen den 1960ern und 80ern changierend, Simon Reynolds‘ „Retromania“ lässt grüßen. Ist man also schon wieder den diebischen Poseuren von der US-Ostküste emotional hilflos ausgeliefert, weil man gar nicht anders kann als ihre bittersüßen Melodien zu lieben? Zum Glück nicht ganz. Denn ab Song Nummer sieben („Searching For Heaven“) bricht „Portamento“ ziemlich ein. Die Band eiert herum, versucht sich an elektronischen Balladen (?!) und wiederholt ständig den immergleichen Beat aus einem alten Joy Division-Stück. Nach der ersten Hälfte von „Portamento“ kann man sich also getrost wieder anderen Dingen zuwenden.

The Drums: Portamento. Cooperative (Universal). Zur Homepage und myspace.

Megafaun: ditoSehnsuchtsmusik

(TM) Megafaun, das sind die alten Mitstreiter des mittlerweile auch über die Grenzen des Indie-Fantums bekannt gewordenen Waldschraten Justin Vernon aka Bon Iver, der als Singer/Songwriter allseits für Begeisterung sorgt. Der hielt dann auch gleich großes Lob bereit, indem er auf pitchforkmedia sagte, er habe beim Hören von „Megafaun“ geheult wie ein Mädchen, weil das alles so gut sei. Brad Cook, Phil Cook und Joe Westerlund machen allerdings auch als Megafaun noch im Großen und Ganzen dieselbe Musik wie zu Zeiten ihrer alten Band DeYarmond Edison. Das Album enthält hochwertige Americana, und wenn das jetzt wie der Waschzettel eines Medikamentes klingt, so ist das vielleicht gar nicht so verkehrt.

Schon der Opener „Real slow“ macht es Liebhabern dieser uramerikanischen Sehnsuchtsmusik unmöglich, sich nicht in diese von der melancholischen Abendsonne durchfluteten, westcoastgetränkten, die endlose Straße unter sich abrollenden Songs fallen zu lassen. Obwohl: im Laufe von „Megafaun“ wird dann doch noch experimentiert, wird elektronisch rumgespielt und auch mal disharmonisch ausgebrochen und mit Jazzeinlagen und wilden Rhythmuswechseln bezaubert (hier besonders hervorzuheben: „Isadora“), aber bezeichnend für das Album bleiben doch der wunderschöne Satzgesang und die filigrane Beherrschung der Instrumente auf Perlen wie „Hope You Know“ und „Second Friend“ (Beatles!). Illustres Bespielen der Traditionen – so macht es Spaß.

Megafaun: dito. Crammed Discs (Indigo). Zur Homepage.

Terri Lyne Carrington: The Mosaic ProjectJazzfrauen

(CM) Wenn es stimmt, was die Schlagzeugerin, Sängerin, Produzentin und Hochschulprofessorin Terri Lyne Carrington behauptet, sieht es für die Zukunft von Musikerinnen echt gut aus: Carrington wollte nämlich schon vor mehr als 25 Jahren ein Album wie „The Mosaic Project“ machen. Damals scheiterte ihr Vorhaben, eine Jazz-Platte nur mit Komponistinnen, Musikerinnen und Sängerinnen aufzunehmen, schlicht und einfach daran, dass es vor allem im Instrumentalisten-Bereich so wenige Frauen gab. Das sei heute anders, weshalb „The Mosaic Project“ endlich verwirklicht werden konnte. Terri Lyne Carrington versammelte Kolleginnen wie Sheila E., Esperanza Spalding, Geri Allen, Cassandra Wilson, Nona Hendryx, Gretchen Parlato, Dianne Reeves, Dee Dee Bridgewater und viele mehr, um neue Songs zu schreiben und aufzunehmen, die sich am traditionellen Jazz orientieren und gleichzeitig in die Richtungen Pop, Soul und Funk öffnen. „Sharp shapes with blurred edges“ sollte das Mosaik bekommen und so hört es sich auch an: Nona Hendryx‘ volle, tiefe Stimme eröffnet das Album mit „Transformation“, Sheila E. veredelt gleich vier Stücke mit ihrem unverwechselbaren Percussion-Style, der schon vielen Prince-Songs den richtigen Drive gab, Carrington selbst trommelt am liebsten im Bebop-Beat, hält sich aber tendenziell eher im Hintergrund und überlässt die große Bühne ihren Kolleginnen. Ob groovend oder balladesk: die Stimmung ist positiv, warm, elegant, lebensfroh. Coverversionen wie von den Beatles („Michelle“) und Al Green („Simply Beautiful“) sind für Jazz-Alben obligatorisch und runden „The Mosaic Project“ durchaus ab, wären aber – außer für den Spaß der Interpretinnen – gar nicht nötig gewesen. Auch wenn einige Stücke recht glatt und (alters-)milde klingen, demonstriert „The Mosaic Project“, dass Jazz heutzutage kein reines Männergeschäft mehr ist.

Terri Lyne Carrington: The Mosaic Project. Concord Jazz. Zur Homepage mit vielen Videos und zum Label.

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