Geschrieben am 25. Mai 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von Kitty, Daisy & Lewis, Sicker Man, 22-Pistepirkko sowie eine neue Loungekollektion, gehört von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM), Christina Mohr (CM) und Thomas Wörtche (TW).

Kitty, Daisy & Lewis: Smoking In HeavenAuf Wolke sieben

Dass im Himmel geraucht werden darf, ist doch mal eine schöne Aussicht auf das, was (vielleicht) auf unser irdisches Dasein folgt. Die Londoner Geschwister Kitty, Daisy und Lewis Durham können das so vollmundig behaupten, weil sie augenscheinlich mit den Geistern der Vergangenheit in engstem Kontakt stehen: schon auf ihrem Debütalbum von 2008 erklangen ausschließlich Original-Instrumente aus den 1940er- bis 60er-Jahren, mit denen Kitty, Daisy und Lewis authentischen, rauen Rockabilly-Sound erzeugten, von der stilechten Garderobe ganz zu schweigen. Auch auf „Smoking In Heaven“ – auf dem sich wohlgemerkt nur Eigenkompositionen befinden, also nix von wegen Nachspielen und so – widmen sich die Kinder der Postpunk-Ikone Ingrid Weiss (Raincoats) hingebungsvoll dem ursprünglichen Rock’n’Roll und Rhythm’n’Blues. Aber schon im Opener „Tomorrow“ zeigen die drei, dass sie die strenge Petticoat-Wespentaille gelockert haben und zwar zugunsten von jamaikanischem Ska und Rocksteady. Besonders toll gelingt ihnen die Jamaika-Connection bei „I´m So Sorry“, wo sich der hüpfende Rocksteady-Beat aufs Allerfeinste mit den typisch prustenden Trompeten und coolem Frauengesang verschränkt. Man kann es altmodisch und rückwärtsgewandt finden, dass im Jahre 2011 drei Früh-Twens die Musik ihrer Urahnen spielen. Angesichts digital gleichgeschalteten Elektronikmischmaschs allerorten kann einem der analoge Vintage-Sound von Kitty, Daisy & Lewis aber auch wie eine Offenbarung vorkommen. Wie eine Zigarette auf Wolke sieben. (CM)

Kitty, Daisy & Lewis – Smoking In Heaven (Pre-Listening Sampler) by PIASGermany

Kitty, Daisy & Lewis: Smoking In Heaven. Pias. Die Band auf Myspace und bei Facebook sowie ihre Homepage.
Ein weiteres Video kann hier angesehen werden.

Sicker Man : Nowhere EnterpriseTheatrale Inszenierungen

„… the madness clings to my mind again … and darkness follows my steps” steht programmatisch im CD-Booklet von Sicker Mans viertem Album „nowhere enterprise”. Wahnsinn ist hier natürlich philosophisch und nicht klinisch zu verstehen. Wahnsinn als das Andere der Vernunft. Soll heißen, ein wenig positive Verrücktheit kann nicht schaden, wenn sich ein Musiker von gängigen Songstrukturen absetzen will. Nomen est omen. Sicker Man, mit bürgerlichem Namen Tobias Vethake, ist Theatermusiker (u. a. für das Schauspielhaus Hamburg) und Mitbegründer von Blank Records, und er flechtet charmant die musikalischen Besonderheiten theatraler Inszenierungen in seine Klangwelt ein. An Instrumenten oder Nicht-Instrumenten ist alles erlaubt. So wartet Sicker Man neben Gitarre, Zither, Glockenspiel und Violoncello mit elektronischem Kinderspielzeug und Synthesizer auf. Analoge Effektgeräte verfremden dieses Zusammenspiel zu einem Mikrokosmos, der sowohl sanfte orchestrale Momente als auch unprätentiöses experimentelles Gefrickel in sich vereint. Dabei trägt Vethakes Stimme fast flüsternd durch die 18 Tracks. Als Gastmusiker sind Anticons Hip-Hop-Größe Serengeti, die Berliner Ampient-Pop-Künstlerin Kiki Bohemia und die israelische Sängerin Ofri Brin mit von der Partie. Vordergründig lassen sich die Songs als mit elektronischen Klängen aufpolierte Indiemelodien beschreiben. Das wird gemeinhin Indie- oder Folktronic genannt und findet sich bereits bei Bands wie The Notwist oder Tunng. Und ja, die Sache mit dem Kinderspielzeug kennen wir natürlich von CocoRosie. Das wäre eigentlich egal, wenn Herr Vethake nicht den Anspruch hätte, ausschließlich relevante Neuerungen zu veröffentlichen. Aus Sicht der allgemeinen Musikszene überrascht die Zusammenstellung von Slide-Gitarre, Cello, Hip-Hop-Beat und Jazz dennoch. Ein feines, leises Album mit genügend Eingängigkeit, um es wieder und wieder hören zu wollen. (JA)

Sicker Man : nowhere enterprise. Blank Records (Broken Silence). Der Künstler auf Myspace und bei Facebook.

Various: Comfort Zone – Luxury Downtempo Grooves. Vol. 7Angenehme Loungebeschallung

Die Verwandlung von Muzak in Chillout und Ambient bzw. die Verwandlung von Easy Listening in ein Qualitätsprädikat ist sowieso eines der entscheidenden Kapitel der Pop-Geschichte. Aber never mind – großartige Musik für viele Kontexte ist immer willkommen. „Soft Mixed For Refined Listening Pleasure“ also, „Comfort Zone“, die siebte. Stilsicher und gnadenlos geschmackvoll – doch, doch – zusammengestellt aus allen Sparten von Dub bis Electronica, das gehört zur „Comfort Zone“-Politik, klar. Erstaunlich, wie viele Einzeltitel so richtig gut als Musik sind, und nicht nur als schicke und sehr angenehme Loungebeschallung. Das fängt mit dem Opener, „Black Iris“ von Afterlife an, gilt ganz bestimmt für „Hiding From Love“ von Goloka (was´n Bass!), dito „Back Home“ von Fishtank und ganz besonders für das clever angeflamencote „Autumn“ von Ganga, all at all vermutlich mein Lieblingstitel und schon alleine das Geld wert. Okay, nicht schwärmen, hören. Kann man in der Tat tiefnachts vertragen, auch zum Aufwachen (eine sehr, sehr rare Qualität), in Bars und Lounges, beim Autofahren, in Penthouses und Hinterhöfen, zu Gin Tonic oder Rioja oder Wodka Martini. Nur Kräutertee geht nicht. Mehr ist aber auch wirklich nicht zu sagen. (TW)

Various: Comfort Zone – Luxury Downtempo Grooves. Vol. 7. Repertoire Records.

22-Pistepirkko: Lime Green DeLoreanWieder ein Soundtrack

22-Pistepirkko dürften nach Nokia der erfolgreichste finnische Exportartikel sein – manche sagen sogar, sie seien die einzige gute Band aus Finnland. Eine tolle Karriere haben sie so oder so bereits hingelegt, seit sie sich vor mehr als 30 Jahren als Punkband mit Velvet-Underground-Anstrich gegründet haben. Seitdem sind sie einen weiten Weg gegangen, haben unter anderem Soundtracks zu Kinofilmen beigetragen und zahllose andere Soundtracks inspiriert. Das neue Album „Lime Green DeLorean“ zeigt wieder einmal, warum das so ist. Auch hier dominieren weit ausgreifende Sounds, die so herrlich Bilder im Kopf entstehen lassen. Schon der Opener „Lights By The Highway“ ist ein filigraner, aber dennoch überwältigender Roadmovie-Track, in dem es nach billigem Leder und ausgelaufenem Benzin riecht. Und das geht so weiter, egal ob als elegische Ballade oder als traditioneller Rocksong wie bei „Stupid“. 22-Pistepirkko schaffen es tatsächlich wieder einmal, mit ganz unspektakulären Mitteln so zu klingen wie niemand sonst. (TM)

22-Pistepirkko „Lime Green DeLorean“ by Bone Voyage

22-Pistepirkko: Lime Green DeLorean. Bone Voyage (BB*Island). Die Band auf Myspace sowie die Website von 22-Pistepirkko.