Geschrieben am 13. April 2011 von für Musikmag

Blitzbeats

Platten von Architecture in Helsinki, The Naked and Famous, Frederik Köster Quartett, The Pains Of Being Pure At Heart, Max Goldt und Sawoff Shotgun sowie ein Album mit historischen phonographischen Aufnahmen haben sich angehört: Jörg von Bilavsky (JvB), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (CM).

Architecture in Helsinki: Moment BendsMainstreamhits

Vor fünf, sechs Jahren gehörte das australische Musikerkollektiv Architecture in Helsinki zusammen mit Clap Your Hands Say Yeah und einigen anderen Bands zu den Hoffnungsträgern des „Twee“-Sounds. Auf ihren ersten beiden Platten brachten Architecture in Helsinki so viele verschiedene Ideen, Instrumente, Stile und Stilbrüche zusammen und gleichzeitig durcheinander, dass einem ganz schwindlig werden konnte – aber man war auch sehr glücklich nach dem Genuss von „In Case We Die“ (2006) und „Places Like This“ (’07). Das Auf- und Abtauchen unzähliger, via Internet gehypter Bands und neu erfundener Genres in den vergangenen Jahren führte nicht unbedingt dazu, dass man sehnsüchtig auf ein neues Album von Architecture in Helsinki gewartet hätte, aber jetzt ist es da: „Moment Bends“ heißt es und man ist beim Auspacken doch ziemlich gespannt darauf, was sich die Truppe um Songschreiber Cameron Bird hat einfallen lassen.

Die ersten Töne machen klar: die achtziger Jahre haben es der Band angetan, und zwar die ganz großen Mainstreamhits. „Desert Island“ klingt wie ein Bastard-Mix aus Blondies Version von „The Tide Is High“ und „Never Ending Story“ von Limahl, auch die Mitsinghits „Escape“ und „Contact High“ oder das Erasure’eske „That Beep“ hätten vor 25 Jahren ganz oben in den Charts stehen können. Ob sie das heute auch noch können, werden die Fans entscheiden, aber schließlich sind Empire of the Sun und MGMT mit ihrem schamlos eingängigen Melodien auch supererfolgreich.

Man muss sich damit abfinden, dass sich Architecture in Helsinki von ihrem überbordenden 1000-Einfälle-in-einem-Song-Stil zugunsten einer geordneteren Arbeitsweise und einem vergleichsweise überschaubaren Instrumenten-Repertoire aus E-Gitarre, Synthies und Schlagzeug verabschiedet haben – das Talent für Gute-Laune-Popsongs besitzen sie noch immer. Auf die schmalzige Powerballade „B4 3d“ am Schluss hätten die australisch-finnischen Architekten zwar gut verzichten können, aber wer keine Angst vor dem Klang der 1980’er-Jahre hat, wird mit „Moment Bends“ viel Spaß haben. (CM)

Architecture in Helsinki: Moment Bends. V2/Cooperative Music (Universal).
Die Homepage der Band. Architecture in Helsinki bei Facebook und auf Myspace.

The Naked and Famous: Passive Me, Aggressive YouLaune und Launen

Was braucht es in der Musikbranche eigentlich, um bekannt zu werden? Gute Songs, guter Look oder einfach nur einen auffälligen Bandnamen? Wer sich The Naked And Famous nennt, weckt auf jeden Fall schon mal Neugier. Aber verstecken sich hinter der verbalen Effekthascherei auch hörenswerte Sounds? Die fünf Newcomer aus Neuseeland geben mit verspielt-federnden oder wild verrauschten Synthiehymnen jedenfalls ihren jugendlichen Gefühlshaushalt preis. Schwelgen sie mit „Young Blood“, „All Of This“ oder „Punching In A Dream“ in romantisch-rebellischen Gefilden, gehen ihnen mit dem monströs-morbiden „A Wolf In Geek’s Clothing“ und dem wuchtig- verträumten „No Way“ die E-Gitarren und Midi-Sequenzer durch, bevor mit „The Source“, „The Sun“ und „The Ends“ zwischenzeitlich trügerische Ruhe einkehrt. Elektronische Entblößungen und stimmungsvolle Wechselbäder dieser Art machen vielleicht nicht unbedingt berühmt, sicher aber Laune und Launen. (JvB)

The Naked and Famous: Passive Me, Aggressive You. Universal/Fiction.
Die Band auf Myspace und bei Facebook sowie die Website von The Naked and Famous.


Frederik Köster Quartett: MomentaufnahmeAbwechslung garantiert

Wer es im Jazz gerne besonders abwechslungsreich haben will, der liegt mit dem Frederik Köster Quartett niemals verkehrt. Sich sanft in seinem loungigen Sessel nieder- und sich feingeistig berieseln lassen, das ist hier nicht drin. Wenn wie bei „3×211“ urplötzlich die Doom-Gitarren martialische Akzente setzen, wo eben noch Miles Davis’sche Melodien umworben wurden oder der Gast Niels Klein im eröffnenden „Arabesque“ mit der Bassklarinette herrliches Understatement betreibt, dann ist der Hörer bei allem Vergnügen, das er empfindet, auch immer wieder gefordert. Zudem gibts sich Köster betont kontextorientiert; gut, dass Buddhismus Thema von Jazzstücken sein kann, konnte man sich schon denken, aber die Studentenunruhen des Jahres 1967? Aber ja, geht auch („2. Juni“). Diese Musiker nehmen Einflüsse aus den unterschiedlichsten Genres von Rock über Minimal Music bis zu elektronischen Beats auf und setzen sie in hochenergetische Improvisationen um – Abwechslung garantiert. „Dass wir jeden Tag anders klingen, ist klar“, sagt Köster zu den Volten, die seine Musik schlägt. „Das ist ja: Jazz…“ Und was für welcher. (TM)

Frederik Köster Quartett: Momentaufnahme. Traumton Records (Indigo).
Die Homepage des Quartetts.

The Pains Of Being Pure At Heart: BelongFröhliche Leichtigkeit trifft auf tiefschwarze Tristesse

„Belong“, das zweite Album des New Yorker Quartetts The Pains Of Being Pure At Heart, klingt so, als hätte ein einziger Song dafür Pate gestanden: „1979“ von den Smashing Pumpkins. In ihren zehn neuen Tracks variieren die Pains den Themenkomplex Jungsein-Verliebtsein-Außenseitersein und schwelgen dabei tief in College-Indiepop mit fuzzy Gitarren und ungestümen Drums. Auch auf ihrem Debütalbum von 2009 zitierte sich die Band um Sänger und Texter Kip Berman fröhlich durch den Indie-Kosmos, vorwiegend mit Twee-Adaptionen von The Jesus and Mary Chain und My Bloody Valentine. Inzwischen sind die Pains auf ihrer Recherchetour durch die Vergangenheit ein paar Jahre weiter und haben sich mit der Unterstützung von Star-Producer Flood für einen satteren, kräftigeren Sound mit eingängigen Melodien entschieden. Die Single „Heart in Your Heartbreak“, „The Body“, „Girl of 1000 Dreams“ oder das balladeske „Anne With an E“ rühren an genau denselben Saiten wie der Pumpkins-Hit „1979“: Jungsein ist toll, aber mit Schmerzen verbunden. Oder schon lange vorbei, dann tut´s noch mehr weh. Ganz abgesehen von den mal zuckersüßen, mal eher zornigen Gitarre-Keyboard-Gesang-Kaskaden, die von Sonic Youth und The Cure nicht weit entfernt sind. Fröhliche Leichtigkeit trifft auf tiefschwarze Tristesse, Songs wie „My Terrible Friend“ oder „Heaven´s Gonna Happen Now“ bestehen aus der erschütternden Mischung aus Verwirrung und Klarsichtigkeit, die man nur als Teenager hatte. „Belong“ rührt zu Tränen und macht glücklich – mit jedem Song. Auch wenn ein paar
Miesepeter wieder behaupten werden, dass das alles doch so klingt wie schon mal gehört. Macht dieses Mal ausnahmsweise gar nix. (CM)

The Pains Of Being Pure At Heart: Belong. Pias.
Die Website der Pains. Die Künstler bei Facebook und auf Myspace.

Max Goldt: L'Eglise Des Crocodiles Skurrilitäten

Legendär sind die minimalistischen Hörstücke von Max Goldt, von denen bei Gagarin Records schon einige wieder der Allgemeinheit zugänglich gemacht wurden. Nun sind mit „L’Eglise Des Crocodiles“ zwölf weitere Stücke erhältlich. Sie beinhalten die sechs Stücke der gleichnamigen EP aus dem Jahr 1983, die für diese Ausgabe neu gemastert wurden. Im zweiten Teil folgen bisher unveröffentlichte Werke. Dort begegnet man absurden Figuren wir der Tante Rahmbein, die sich wegen Verlusts ihres Notizbuchs in einem Napfkuchen erstickt, oder dem gruseligen Bänkellied „Ich baumle mit de Beene“, einer finsteren Moritat aus dem alten Berlin. Für all das benötigt Goldt meist nicht mehr als Akustikgitarre, Zither, ein paar Effektpedale und einen Multitrackrekorder – und natürlich seine Stimme, die er gern und oft verfremdet. „L’Eglise Des Crocodiles“ ist eine der schönsten halben Stunden, die man mit musikalischen und dichterischen Skurrilitäten verbringen kann. (TM)

Max Goldt: L’Eglise Des Crocodiles. Gagarin Records.
Der Künstler bei Facebook.

Various: Historical Recordings Vol. 1Vergangenheit, wie sie hätte sein können

Ebenso bei Gagarin erscheint diese ganz und gar zauberhafte Compilation aus der Hand des Musikers, Komponisten und Gagarin-Labelbosses Felix Kubin. Schon des öfteren hat sich Kubin ja auch als Hörspielproduzent hervorgetan, und so kann man denn, wenn man will, diese Aufnahmen hintereinander anhören als Entwurf einer Vergangenheit, wie sie hätte sein können. Die „Historical Recordings“ erscheinen wie es sich gehört nur auf Vinyl, und zwar in einer opulenten Version mit reichlich Kontextmaterial. Nichts genaues weiß man aber nicht: wenn Kubin behauptet, man höre bei „Fernmeldeamt Finnland“ zum Beispiel tatsächlich das Rauschen von Ektoplasma, so liegt der Schluss nahe, dass das eine glatte Erfindung ist. Aber was soll’s, so oder so lauscht man den akustischen Schönheiten aus den gar nicht mal geheimen, sondern nur ganz und gar vergessenen Vinyl-Archiven dieser Soundwelt mit wachsender Freude, denn sie sorgen für ebensoviel Spaß wie blankes Erstaunen. Phonographie ist hier reiner Spieltrieb, den Reim darauf darf sich der Hörer gern selbst machen. (TM)

Various: Historical Recordings Vol. 1. Gagarin Records (Vertrieb: A-Musik).

Sawoff Shotgun: For Our SanityTrash ohne Tiefgang

Österreich ist für Trash immer gut. Entweder tarnt er sich im subversiv-ironischen Krimigewand und vermag sogar Hintergründiges zu verbergen oder er versteckt sich hinter der Maske eines geschminkten Poptrios aus Graz. Der süßliche Elektropop der drei Schwestern von Sawoff Shotgun verklebt sofort die Gehörgänge („Kids On Coke“, „Go Commando“, „A Regular Basis“) und lässt kaum mehr Raum für Tiefgang. Der Mainstream ihrer Melodien gerät nur selten ins Stocken. Ausnahmen sind die porentief reinen Tracks „My Fresh Dress“ oder „We Are The Cleanest Girls“ oder die aggressiv-pulsierenden Songs „Feet Not Inches“ und „Namedrops“: Hier verwandelt sich der Pop-Trash bisweilen zu glitzernden Pop-Perlchen. Doch mögen sich die drei Grazien auf der Bühne, auf ihrem Cover und in ihren Texten auch noch so grotesk gerieren, so richtig will der Funke nicht überspringen. Weder als Popmusiker noch als Ironiker sind sie ernst zu nehmen. Am Ende ist nämlich alles doch nur „Entertainment For Everyone“, wie es in ihrem ultrakurzen Bonustrack heißt. (JvB)

Sawoff Shotgun: For Our Sanity. Sevenahalf (Broken Silence).
Die Website der Band. Sawoff Shotgun auf Myspace sowie bei Facebook.

Laune und Launen

Was braucht es in der Musikbranche eigentlich, um bekannt zu werden? Gute Songs, guter Look oder einfach nur einen auffälligen Bandnamen? Wer sich „The Naked And Famous“ nennt, weckt auf jeden Fall schon mal Neugier. Aber verstecken sich hinter der verbalen Effekthascherei auch hörenswerte Sounds? Die fünf Newcomer aus Neuseeland geben mit verspielt-federnden oder wild verrauschten Synthiehymnen jedenfalls ihren jugendlichen Gefühlshaushalt preis. Schwelgen sie mit „Young Blood“, „All Of This“ oder „Punching In A Dream“ in romantisch-rebellischen Gefilden, gehen ihnen mit dem monströs-morbiden „A Wolf In Geek’s Clothing“ und dem wuchtig- verträumten „No Way“ die E-Gitarren und Midi-Sequenzer durch, bevor mit „The Source“, „The Sun“ und „The Ends“ zwischenzeitlich trügerische Ruhe einkehrt. Elektronische Entblößungen und stimmungsvolle Wechselbäder dieser Art machen vielleicht nicht unbedingt berühmt, sicher aber Laune und Launen.

The Naked and Famous: Passive Me, Aggressive You

Universal/Fiction

www.thenakedandfamous.com/

www.myspace.com/thenakedandfamous

Young Blood

http://www.myvideo.de/watch/7936244/The_Naked_And_Famous_Young_Blood

oder

Tags : , , , , , ,