Geschrieben am 5. September 2015 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Destroyer, Schnipo Schranke, Max Richter und Boy, gehört von Tina Manske.

destroyer_poisonseasonDestroyer: Poison Season

So so, Destroyer schreibt also gute Songs und muss abgefeiert werden? Was das deutsche Feuilleton jetzt auch entdeckt hat, wussten wir natürlich schon viel früher, seit mindestens zehn Jahren, spätestens seit dem Meisterwerk „Notorious Lightning“ reden wir uns darüber den Mund fusslig. Aber gut, manche brauchen eben länger, und besser spät als nie. Dan Bejar aka Destroyer ist ein Genie, nicht weniger als das. Und mit seinem neuen Album „Poison Season“, seiner mittlerweile 13. Veröffentlichung, wenn ich richtig gezählt habe, beweist der David Bowie unserer Zeit das wieder deutlich.

Auch wenn Destroyer mit „Poison Season“ seine eingängigste Platte bis dato vorlegt, so verlangt er doch seinem Publikum auch immer noch einiges ab – vom wunderbaren „Time Square“ beispielsweise packt er drei Versionen auf das Album, sie bilden sozusagen das Gerüst, den roten Faden. Nach der getragen gehaltenen Ouvertüre kommt aber zunächst „Dream Lover“, die erste Single, sie zieht mit mächtiger Kraft in das Universum, das „Poison Season“ darstellt. Herausragend und unbedingter Anspieltipp: das jazzig-entspannte „Archers On The Beach“. Komposition, Arrangements, kryptische Texte: Bejar zu huldigen heißt, auf Jahre hinweg Lieblingsalben zu haben, auf denen man bei jedem Hören etwas Neues entdecken kann.


Destroyer – Girl in a Sling von asif62821

Destroyer: Poison Season. Dead Oceans (Cargo).

schniposchranke_sattSchnipo Schranke: Satt

„Dass ihr euch in dieser Hitze diesen Scheiß antut, Respekt!“, riefen Schnipo Schranke bei ihrem Auftritt auf dem Popkultur Festival in Berlin Ende Juli ihren Fans zu, und tatsächlich heizten die Songs des Duos die eh schon stickige Kantine des Berghain noch mächtig auf. Kaum ein Jahr nach ihren ersten Auftritten und dem beginnenden Hype kommt nun also endlich das Debütalbum von Daniela Reis und Fritzi Ernst in die Läden. Sie sind das Pop-Phänomen der Stunde, keiner kommt an ihnen vorbei. Sie kommen allerdings nicht aus dem Nichts, denn Vorbilder haben die beiden jede Menge. Ihr schnodderiger Stil erinnert mehr als einmal an die frühen Lassie Singers, an die lässigeren der frühen NDW-Stars sowieso, und an die Hamburger Schule. Das auf sie angewendete Epitheton lautet „provokant“ – es kommt ja auch nicht so häufig vor, dass deutscher Pop Sperma und Pisse thematisiert.

Apropos „Pisse“: Wir sind uns wohl einig, dass, sollte der Stern von Schnipo Schranke jemals wieder sinken, dieser Song auf ewig bestehen wird. Zuhauf finden sich auf „Satt“ Sätze zum Auf-T-Shirts drucken: „Schon als Kind war ich sehr schlau/ doch das ist lange her“, es geht die ganze Zeit um die Liebe, um die Sehnsucht danach und ihre Unmöglichkeit, und es ist mehr als zu begrüßen, dass hier auch mal Frauen körperliche Begehrlichkeiten äußern. Wir allerdings freuen uns auf die hoffentlich bald mal beginnende Diskussion, ob Schnipo Schranke nun tatsächlich ein Provo-Duo sind, das den jungen Frauen von heute die Chance auf neue Rollenbilder verspricht, oder etwa doch – zumindest in Ansätzen – der rape culture in die Hände spielen.

Schnipo Schranke: Satt. Buback (Indigo).

maxrichter_sleepMax Richter: Sleep

Die wohl ambitionierteste Platte dieses Frühherbstes kommt aber vom britischen Komponisten Max Richter – eine Hommage an den Schlaf und seine Bewusstseinszustände. „Sleep“ ist ein „achtstündiges Wiegenlied“, wie der Meister selbst erklärt. Es existieren zwei Versionen des Stückes, eine in voller Länge sowie eine abgespeckte, einstündige Version. Die Uraufführung findet im Oktober in Berlin statt, von Mitternacht bis acht Uhr morgens, die Zuhörer werden auf Liegen gebettet und sollen tatsächlich – zumindest temporär – einschlafen, während das Orchester natürlich durchspielt.

Es handele sich dabei, so Richter, um „ein Experiment, um zu verstehen, wie wir Musik in verschiedenen Bewusstseinszuständen erleben. Für mich ist der Schlaf etwas Wunderbares, und das ist er für mich seit meiner Kindheit.“ Und die Musik? Ist ebenso etwas Wunderbares wie gelungener Schlaf. Repetitionen und langsame Wellenbewegungen sind vorherrschend in diesen Kompositionen, denen man sich anvertrauen kann wie der mütterlichen Brust.

Max Richter: Sleep. Deutsche Grammophon (Universal).

boy_wewerehereBoy: We Were Here

Ach doch, eines noch: mit „We Were Here“ steuerte das Duo BOY diesem Sommer seinen Ohrwurm bei, eine wunderbare Hymne auf das Leben, auf das Spurenhinterlassen, auf den Glauben daran, dass man auch im größten Dreck seinen bleibenden Abdruckhinterlassen kann. Zwar wiederholen Valeska Steiner und Sonja Gross auf ihrem neuen Album diesen Song nur noch in mehr oder weniger feinen Abstufungen, aber dieser Titelsong wird bleiben. They were here, it was really love!

Boy: We Were Here. Grönland.

Tina Manske

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